Vor Kabinettsklausur Wirtschaft fordert spürbare Entlastungen
Die deutsche Wirtschaft schwächelt, die Stimmung bei vielen Firmen ist schlecht. Vor der Kabinettsklausur kommende Woche stellen Verbände klare Forderungen an die Regierung, etwa Steuerentlastungen und Bürokratieabbau.
Wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage in Deutschland haben Wirtschaftsverbände ein Entlastungspaket für Unternehmen gefordert. Vor der Kabinettsklausur kommende Woche in Meseberg sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Peter Adrian, der Nachrichtenagentur dpa: "Vor fast einem Jahr hat die Bundesregierung ein sogenanntes Belastungsmoratorium beschlossen. Seitdem sind die Belastungen für die Unternehmen aber deutlich größer geworden."
Aus Berlin und Brüssel kämen aus Sicht der Unternehmerinnen und Unternehmen ständig mehr Pflichten, Anforderungen und Einschränkungen. Es brauche einen klaren Kurswechsel - vor allem mehr Tempo für alle Planungs- und Investitionsvorhaben. Das helfe beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Sanierung von Brücken und Schulen genauso wie bei der Digitalisierung.
Familienunternehmer mit Zehn-Punkte-Plan
Nach einem schwierigen Winter ist das Wachstum auch im Frühjahr nicht in Schwung gekommen. Im zweiten Quartal stagnierte das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorquartal.
Die Stiftung Familienunternehmen und Politik fordert wettbewerbsfähige Bedingungen: Die Deindustrialisierung und die bereits laufende Abwanderung der Unternehmen müssten gestoppt werden. In einem Zehn-Punkte-Plan fasst der Verband konkrete Forderungen zusammen: So müsse die EU-"Überregulierung" gestoppt und der Bürokratieabbau schnellstmöglich vorangetrieben werden.
Zudem sei seine Senkung der Unternehmenssteuer notwendig und beim Klimaschutz müsse es Versorgungs- und Planungssicherheit geben. Auch müssten die Arbeitskosten gesenkt, die Produktivität angekurbelt und die Verwaltung zugunsten der Erfüllung ihrer Kernaufgaben entlastet werden.
Mittelständler sehen "neue Dimension"
Auch der Verband der Mittelständler ist alarmiert: In einer Umfrage bezeichneten mehr als 62 Prozent der befragten Firmen die Lage als schwierig, mehr als jedes vierte Unternehmen beschreibt die Situation sogar als sehr schlecht. Fast jedes zweite befragte Unternehmen will demnach in den kommenden zwölf Monaten keine Neueinstellungen vornehmen - mehr als sieben Prozent der Firmen denken über einen Stellenabbau nach. Der Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands, Christoph Ahlhaus, sagte, die Ergebnisse der Umfrage bewegten sich in einer "neuen Dimension".
In der Umfrage nannten 37 Prozent der befragten Firmen auf die Fragen, was das größte Risiko für das Unternehmen sei, hohe Steuern und Abgaben sowie hohe Energiepreise. Dahinter folgten Bürokratie in Deutschland und der EU sowie der zunehmende Fachkräftemangel. Der Bundesverband forderte mit Blick auf die Kabinettsklausur einen "politischen Neustart".
Wirtschaft für Industriestrompreis - Scholz dagegen
Auch der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, forderte im Interview mit der dpa Entlastungen: So sollte das Bundeskabinett jetzt zügig für tragfähige Energiepreise sorgen und dafür die Stromsteuer absenken oder abschaffen, die Netzentgelte reformieren und die Einführung des Industriestrompreises beschließen. Die Subventionierung ist in der Ampel umstritten. Die SPD-Fraktion und die Grünen sind dafür, die FDP und Bundeskanzler Olaf Scholz sehen sie allerdings weiter skeptisch.
Einig sei man sich, dass die Strompreise runter müssten, so Scholz gegenüber den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Um den Strompreis aber dauerhaft zu subventionieren, dafür "fehlen uns nicht nur das Geld, sondern auch die rechtlichen Möglichkeiten". Deshalb setze die Bundesregierung vor allem auf einen schnelleren Ausbau von Windkraft und Solarenergie. Dadurch würde der Strompreis mittelfristig niedriger sein als in Ländern, die auf Atomkraft bauen.
Buschmann setzt auf Lindners Wachstumschancengesetz
Das Bundeskabinett trifft sich am Dienstag und Mittwoch zu seiner Klausur in Meseberg. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) forderte die Ampel-Koalitionspartner im Vorfeld auf, in Meseberg das Thema Wirtschaftswachstum zu priorisieren. "Wir brauchen eine klare Priorität auf Wachstum und Wohlstand. Denn vor dem Verteilen kommt das Erwirtschaften", sagte Buschmann der "Welt am Sonntag".
Er kritisierte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) für ihren Widerstand gegen das "Wachstumschancengesetz" von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Das Gesetz sieht milliardenschwere Steuererleichterungen für Unternehmen vor. Paus hatte die Vorlage im Streit mit Lindner um die Kindergrundsicherung im Kabinett vergangene Woche blockiert. Wichtig sei, dass das "Wachstumschancengesetz" jetzt schnell kommt, sagte Buschmann. "Bei unserer wirtschaftlichen Lage können wir uns keine weitere Verzögerung leisten."
Trotz aller Sorgen aus der Wirtschaft sieht der Bundeskanzler Deutschland für die Zukunft gut aufgestellt. Die Bundesrepublik habe "die besten Voraussetzungen dafür, dass wir auch in zehn, 20 und in 30 Jahren technologisch in der Spitzenliga spielen", sagte Scholz im Interview mit den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. "Wir dürfen den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht schlechtreden", sagte er. Deutschland habe weiterhin gute wirtschaftliche Perspektiven.