"Chinatown" im Hunsrück Wenn die China-Angst umgeht
Die Kritik wächst, dass China eine skrupellos expansionsorientierte Wirtschaftspolitik betreibe. Der skeptischere Blick auf Investitionen aus dem Land macht sich auch in einem kleinen Dorf im Hunsrück bemerkbar.
Der Name, den sich das deutsch-chinesische Handelszentrum im 3000-Einwohnerdorf Hoppstädten-Weiersbach gegeben hat, spricht für große Pläne: "Headquarter der Weltfabrik". Dahinter verbergen sich - so genau kann oder will einem das niemand sagen - bis zu 300 Kleinstfirmen, die chinesische Produkte ein- oder deutsche Produkte nach China ausführen. 2011 hatte ein deutsch-chinesisches Unternehmerpaar die Idee, ein brachliegendes ehemaliges Kasernengelände der US-Streitkräfte in ein ziviles Wohn- und Gewerbegebiet umzubauen.
Sie sanierten die Wohnblocks der einst hier ansässigen Soldatenfamilien, bauten neue Bürogebäude daneben und nannten das Ganze - wegen der alten Eichen hier - "Oak Garden". Schnell belebte sich das neue Viertel, und plötzlich gehörten junge Chinesen mit teuren Autos zum Ortsbild der ansonsten eher strukturschwachen Region. Geschäftsführerin Jane Hou ließ ihre Verbindungen in die chinesische Millionenmetropole Shenzen spielen.
Finanzspritze für die Region
Bei Landkreis und Gemeinden stießen die Unternehmer auf offene Ohren. Der Wirtschaftsförderer des Kreises, Michael Dietz, unterstützte das Projekt nach Kräften. Und auch der Bürgermeister, Bernhard Alscher, hatte keine Berührungsängste mit den geschäftstüchtigen Einwanderern: "Bis Corona kam, entwickelte sich das für beide Seiten sehr gut. Aus der Gewerbesteuer floss jedes Jahr ein mittlerer sechsstelliger Betrag in die Kassen, und leerstehende Immobilien fanden neue Interessenten."
Dazu kam, dass aus der Renovierung der Wohnblocks und dem Neubau dreier Bürogebäude Millionenbeträge an Handwerksbetriebe der Region flossen. "Das Projekt hat meine Erwartungen erfüllt", sagt Dietz im Gespräch mit tagesschau.de.
Mit Corona brach der Zuzug ein
Doch die Zeiten haben sich geändert. 2020 kam Corona, und die Zuwanderung aus China stagnierte. Während Chinas Null-Covid-Strategie mit seinen harten Lockdowns das Leben dort veränderte, Ein- und Ausreisen nicht mehr möglich waren, gingen in Deutschland die meisten weiter ganz normal zur Arbeit. Das veranlasste einige Chinesen, dem Hunsrück ängstlich den Rücken zu kehren, weil sie annahmen, hierzulande wäre ihre Gesundheit in Gefahr. Der Zuzug nach Hoppstädten-Weiersbach brach massiv ein.
Doch tatsächlich verzeichnete der "Oak Garden" bereits 2018 einen spürbaren Einbruch an Firmenansiedlungen. Wirtschaftsförderer Dietz stellt dazu klar: "In diesem Jahr hatte die Bundesrepublik die Einwanderung für selbstständige Firmengründer erschwert. Vorher war man viel großzügiger gegenüber Personen, die hier investieren wollten. Jeder Einwanderer hatte 250.000 Euro Eigenkapital im Gepäck, bekam zunächst ein begrenztes Aufenthaltsrecht und später das Niederlassungsrecht. Plötzlich wurden kaum noch Visa vergeben."
Wer jetzt so tue, als sei er überrascht von Chinas Art zu wirtschaften, sagt der mittlerweile pensionierte Dietz weiter, der sei unehrlich. "China hat seit Jahrzehnten klare Ziele und Interessen. Die hat Xi Jingping aber schon vor zehn Jahren in Bücher geschrieben. China hat kopiert, aber auch Dinge, die wir vernachlässigt haben, weiterentwickelt und mit viel Geld gute Leute abgeworben. Wir können den Chinesen nicht unsere Kultur aufdrängen, aber wir müssen ihnen auch nicht erklären, wie man wirtschaftet."
"China muss mehr Verantwortung übernehmen"
Für Oliver Wieck, Generalsekretär des deutschen Nationalkomitees der Internationalen Handelskammer, kurz ICC Germany, muss aber auch China begreifen, dass es Veränderung braucht, damit Wirtschaftskooperationen neu gegründet oder auch fortgesetzt werden können: "China ist definitiv ein großer 'Global Player' im internationalen Handel und bietet enorme Chancen für die Wirtschaft. Aufgrund dieser Bedeutung muss China aber auch mehr globale Verantwortung übernehmen."
Das bedeute auch, dass China seine eigenen Märkte weiter öffnen müsse und sich in einem multilateralen System und seinen Organen für einen regelbasierten Handel einbringe: "Denn nicht nur die Liste der Chancen in China ist groß, sondern auch die der Risiken und Herausforderungen für Unternehmen. Um diese Risiken abzumildern, braucht es nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch politischen Dialog", so Wieck.
"Ganz schwierige Situation im Moment"
Kristin Shi-Kupfer, Politikwisschschaftlerin und China-Expertin der Universität Trier, sagte im SWR: "Wachsendes Misstrauen und die Vorsicht gegenüber chinesischen Investitionen sowie abnehmende Anreize für chinesische Unternehmen von Seiten der chinesischen Regierung haben zum Abbruch des Booms geführt. Dazu kommt in Deutschland die Angst vor wachsenden Abhängigkeiten. Das betrifft eigentlich nicht kleine Start-ups im Hunsrück, sondern den Bedarf an seltenen Erden oder chemischen Produkten - da ist Deutschlands Vorsicht jetzt geschärft."
Das bestätigt auch ICC-Germany-Vertreter Wieck: "Durch den Krieg in der Ukraine ist einmal mehr deutlich geworden, in welchen wirtschaftlichen, aber auch anderen Abhängigkeiten wir uns befinden." Die Botschaft sei angekommen, dass die globale Wirtschaft sich diversifizierter aufstellen muss: "Wir sollten weniger Abhängigkeiten von einzelnen Mächten oder Märkten anstreben. China kommt in diesem Kontext nicht nur aufgrund seiner Größe, sondern auch mit Blick auf seine seltenen Rohstoffe eine besondere Bedeutung zu."
Doch auch die Diplomatie Chinas klingt anders, seit Russland unter Wladimir Putin die Ukraine überfallen hat. Nicht nur, dass Xi in diesem Konflikt eher auf der Seite Russlands steht; seine Wirtschaftspolitik wurde auch nationaler, anti-westlicher und weit weniger liberal, als der Westen zuletzt hoffte. Für regionale Projekte wie den "Oak Garden" könnte auch das eine weitere Expansion verhindern.
Für Bürgermeister Alscher war immer wichtig, dass sich nur Firmen ansiedeln, die Handel betreiben. "Wir haben hier keine Chinesen, die andere Firmen aufkaufen, keine andere Firma ausspionieren, das ist ja hier die große Diskussion. Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Wir sind in einer ganz schwierigen Situation im Moment."
Kaum noch Chinesen im Ort zu sehen
Die Chefin des "Oak Garden", Hou, und viele der Jungunternehmer haben mittlerweile auf die neue Situation reagiert und ihre Geschäfte auf Internethandel umgestellt. Einige betreiben den allerdings jetzt wieder aus China. Im Straßenbild von Hoppstädten-Weiersbach sieht man kaum noch Chinesen, obwohl Hou betont, es seien immer noch 300 Firmen hier. Von Behördenseite heißt es, es seien nur noch rund 180. "Vorher haben jedes Jahr 40 bis 50 neue Firmen eröffnet, aber seit drei Jahren sind es weniger. 2022 werden es wieder mehr", sagt Hou hoffnungsvoll.
Dabei hat sie ein drittes Bürogebäude, das unverputzt den Eindruck vom modernen, internationalen Handelszentrum verschandelt, längst in ein Lager umgewidmet. Jetzt solle es verkauft werden, erzählt der Bürgermeister. "Es gab auch nie eine richtige Integration der Chinesen. Es ist eine andere Kultur. Es blieb die Ausnahme, dass sich hier jemand wirklich für die Gemeinschaft engagiert hat. Es sind Handelsreisende, die viel unterwegs sind. Ihr Engagement hier war nicht für die Folgegeneration ausgelegt." Aber die Hunsrücker seien offen gewesen: "Klar kam da mal die Frage, ob ich uns an die Chinesen verkaufen wolle, aber die Bewohner haben das Projekt mitgetragen."
Und noch will er sein Chinatown im Hunsrück nicht aufgeben: "Das Internationale finde ich immer noch wichtig, denn man kann viel Positives voneinander lernen", so der Bürgermeister. "Außerdem bin ich froh um jeden Arbeitsplatz, der hier entsteht und Steuern in die Gemeindekasse bringt.