Amazon, Lieferando & Co. Was Betriebsräte bewirken können
In dieser Woche sind bundesweit die Wahlen der Betriebsräte angelaufen. Was können diese bewirken? Das zeigt ein Blick auf die Arbeitsbedingungen und Löhne bei Amazon oder Lieferando.
In der Corona-Zeit profitierten sie von den veränderten Gewohnheiten: Lieferdienste für Waren oder Nahrungsmittel. Während Versandunternehmen wie Amazon schon länger im Geschäft sind, drängen in anderen Branchen auch neue Lieferdienste für Supermarktprodukte wie Gorillas oder Flink in den Markt. Stark gewachsen ist die Zahl der Mitarbeitenden bei Lieferando, dem Branchenführer bei Essensbestellungen in Deutschland: Im vergangenen Jahr verdoppelte sich die Zahl der Fahrer nach Unternehmensangaben von 5000 auf 10.000.
Einer von ihnen ist Michael Jokusch, der in Stuttgart für Lieferando arbeitet. "Mein Büro ist die Straße, und meine Firma ist die App", sagt Jokusch, der gerne auf dem Fahrrad unterwegs ist und das als "befreiend" empfindet, trotz möglicher Kontrolle durch den Firmen-Algorithmus seiner Smartphone-App. Er hat vor fünf Jahren bei Foodora angefangen, damals noch mit pinkfarbenem Outfit. Seit der Übernahme durch Lieferando ist der große Thermo-Rucksack für die Essenslieferung orange.
Anspruchsvolle Arbeit als Betriebsrat
Jokusch war eines der ersten Betriebsratsmitglieder bei dem Lieferdienst. Dass es sie überhaupt gibt, hängt von engagierten Mitarbeitenden ab. Denn sobald sich drei von ihnen zusammentun, können sie einen Betriebsrat gründen, wenn es mindestens fünf wahlberechtigte Beschäftigte gibt.
Erst ab einer bestimmten Betriebsgröße werden Betriebsratsmitglieder freigestellt. Bei Jokusch sind es einzelne Schichten, die er für Betriebsratsarbeit nutzen kann. Während einer normalen Acht-Stunden-Schicht legt er eigenen Angaben zufolge meist 60 Kilometer auf dem Fahrrad zurück, und rund 700 Höhenmeter - eine Besonderheit im hügeligen Stuttgart. Dafür einen Zuschlag zu fordern, hat ihn damals zur Gewerkschaft gebracht.
Als Betriebsrat hätten sie durchaus schon Erfolge zu verbuchen, etwa eine bessere Planbarkeit der "Arbeit auf Abruf" durch Mitsprache bei den Schichtplänen, die jetzt mehrere Tage im Voraus festgelegt werden müssten. Derzeit organisieren Jokusch und die anderen Betriebsratsmitglieder die Wahlen, was bei einem solchen Unternehmen mit hoher Fluktuation nicht so einfach sei: Jeden Monat würden allein in Stuttgart 20 bis 30 Kolleginnen und Kollegen von den insgesamt rund 250 Fahrern in der Stadt wechseln.
Lieferando muss Arbeitsmittel stellen
Dass Mitbestimmung wichtig sei und zu guten Arbeitsbedingungen beitrage, erkennt auch Jokuschs Arbeitgeber Lieferando an. Im Gegensatz zu anderen Lieferdiensten seien alle Fahrer inzwischen direkt angestellt, seit dem vergangenen Jahr auch unbefristet, wie ein Lieferando-Sprecher erklärt. Im Frühjahr sollen die Mitarbeitenden Smartphones gestellt bekommen. Außerdem soll die Versorgung mit Fahrrädern ausgebaut werden. Dazu ist Lieferando nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet. Geklagt hatten zwei Fahrer.
"Da hat sich einiges getan", sagt Jürgen Reisig, der in Stuttgart bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) als Gewerkschaftssekretär arbeitet. Dass jetzt Fahrräder und Handys gestellt werden müssten, sei kein Vergleich zur Anfangszeit der "Rider", die zunächst oft ihre eigenen Räder und Ausrüstungsgegenstände nutzen mussten. Vor allem in den Wintermonaten bräuchten sie warme und teils sportliche Kleidung. "Wenn ihr etwas für bessere Arbeitsbedingungen tun wollt, geht das nicht ohne Gewerkschaften," habe die NGG laut Reisig den Lieferando-Beschäftigten deutlich gemacht. Umgekehrt bekämen die Mitglieder Unterstützung bei den anstehenden Betriebsratswahlen.
Die NGG habe außerdem eine Tarifkommission gebildet. Sie geht mit der Forderung nach 15 Euro Stundenlohn auf den Lieferdienst zu. Derzeit verdienen Fahrer in der Regel elf Euro pro Stunde, mit Boni bis zu 13 Euro, plus Trinkgeld. Doch zu einem möglichen Tarifvertrag möchte der Lieferando-Sprecher nichts sagen. Er verweist darauf, dass die Mitbestimmung durch Betriebsräte funktioniere, und darauf, dass das Unternehmen die Löhne und eine 20-teilige Ausstattung der Fahrer verbessert habe.
Amazon: Keine Tarifverträge in Sicht
Bei Amazon in Pforzheim gibt es schon fast ein Jahrzehnt lang einen Betriebsrat, aber ebenfalls keinen Tarifvertrag. Einmal gab es einen Streik, wenn auch nicht so intensiv wie an anderen Standorten wie in Bad Hersfeld oder Leipzig. Die Gewerkschaft werde generell "weiter dafür streiten und streiken, dass es einen Tarifvertrag gibt," sagt der Gewerkschaftssekretär im ver.di-Bezirk Mittelbaden-Nordschwarzwald, Thomas Schark. Dort werden gerade die Wahllisten für die Betriebsratswahlen vorbereitet. Nur so könne man etwas verändern, meint Schark, der unzufrieden ist mit der "minutengenauen Überwachung" der Mitarbeitenden, aber durchaus Lohnverbesserungen sieht.
Bernhard Franke, Landesfachbereichsleiter für den Bereich Handel bei ver.di in Baden-Württemberg, schreibt das auch den Betriebsräten und den Streiks an anderen Standorten zu. Aus seiner Sicht ist Amazon in Pforzheim ein Einzelhandelsbetrieb - aber selbst wenn das Unternehmen daran festhalte, seine Zentren weiterhin wie Logistikunternehmen mit schlechteren Arbeitsbedingungen zu behandeln, sei ein Tarifvertrag nötig, um die Bezahlung der Beschäftigten zu regeln.
Die Mitarbeitenden kämpfen weiter
Amazon hält das nach wie vor nicht für nötig. "Wir beweisen jeden Tag, dass man auch ohne Tarifvertrag ein fairer und verantwortungsvoller Arbeitgeber sein kann," erklärt ein Sprecher. Bei Amazon verdienten "alle Kolleginnen und Kollegen ab dem ersten Tag zwölf Euro aufwärts". Außerdem sei angekündigt worden, den "rechnerischen Einstiegslohn" auf mindestens 12,50 Euro pro Stunde zu erhöhen. Betriebsräte sehe das Unternehmen positiv, es gebe sie an manchen Standorten seit mehr als 20 Jahren. Amazon ermutige "alle Mitarbeiter:innen, sich an Betriebsratswahlen zu beteiligen".
Für Betriebsräte und Gewerkschafter ist das ein wichtiger erster Schritt. Aber eigentlich wollen sie allgemein verbindliche Tarifverträge für alle Beschäftigten - egal ob in der Logistik, bei Zustell- oder Lieferdiensten. Ob es je dazu kommt? Dazu müssten sich die Menschen viel stärker gewerkschaftlich organisieren, meint ver.di-Fachbereichsleiter Franke. Auch Lieferando-Fahrer und Betriebsratsmitglied Jokusch bleibt bei seinem Ziel, "einen Tarifvertrag hinzubekommen. Wir wären die ersten in der Branche, das wäre ein wichtiges Signal."