OB-Wahl in Tübingen Triumph oder Aus für Palmer?
Selten bekommt eine Oberbürgermeisterwahl einer mittelgroßen Stadt so viel Aufmerksamkeit wie die heute in Tübingen. Das liegt vor allem am umstrittenen Amtsinhaber Palmer. Für ihn selbst gilt: Erfolg oder Rückzug.
Er ist wohl der bekannteste Kommunalpolitiker der Grünen - und doch ist er momentan gar kein "richtiger" Grüner: Boris Palmer lässt derzeit seine Parteimitgliedschaft ruhen. Und weil ein Ausschlussverfahren gegen ihn läuft, ist der bisherige Amtsinhaber bei der Oberbürgermeisterwahl in Tübingen als unabhängiger Kandidat wieder angetreten.
Gleich zwei Kandidaten
Viele bei den Grünen hatten sich an seinen aus ihrer Sicht unangemessenen bis rassistischen Kommentaren vor allem in sozialen Medien gestört. Der parteiinternen Urwahl stellte er sich erst gar nicht mehr, und so wurde die Ortsbürgermeisterin Ulrike Baumgärtner als Grünen-Kandidatin nominiert.
Dadurch kam es zu dem Kuriosum, dass es gleich zwei Grüne mit Chancen auf den Rathausposten gibt. Die dritte aussichtsreiche Kandidatin ist Sofie Geisel von der SPD, die auch von der FDP unterstützt wird. Sie ist derzeit Geschäftsführerin beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Drei weiteren Kandidaten werden keine großen Chancen eingeräumt.
Gemäßigter Wahlkampf
Der Wahlkampf war nicht so schmutzig, wie vielleicht zu befürchten gewesen war. Die beiden Kandidatinnen wollten dem oft polarisierenden Palmer jeweils bewusst einen wertschätzenden Umgang entgegensetzen.
Der Amtsinhaber selbst schlug ebenfalls ruhigere Töne an und gab sich sogar reumütig: Bei einem SWR-Wahlpodium auf seine Ausrutscher bei Facebook angesprochen, räumte er ein, da seien "Dummheiten und unnötige Sachen" dabei gewesen. Er sei eben impulsiv.
Auch wenn die SPD-Kandidatin nicht die bundesweite Prominenz mitbrachte, die sich manche von einer Kandidatin von "außen" (aber mit Tübinger Vergangenheit) erhofft hatten, so hat Geisel doch in jüngster Zeit an Bekanntheit in der Stadt aufgeholt und ist zu einer Kandidatin mit ernsthaften Chancen geworden. Der Ausgang gilt als offen, zumindest zwischen den drei bekanntesten Kandidierenden.
Rückzug bei Niederlage
Eines steht aber schon fest: Sollte Palmer nach dem Wahlgang nicht vorn liegen, will er sich aus der Politik zurückziehen. Mit 50 Jahren wäre er ein selten junger Ruheständler - möglicherweise ein Indiz dafür, dass er sich seiner Sache sehr sicher ist. Sollte ein zweiter Wahlgang nötig werden, wenn niemand im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen bekäme, dann träte Palmer also nur dann noch einmal an, wenn er die meisten Stimmen geholt hätte.
Gerade in Krisenzeiten sollte ein Oberbürgermeister eine klare Mehrheit hinter sich haben, hatte Palmer zur Begründung seiner Ankündigung gesagt. Auch mit öffentlichen Äußerungen würde er sich im Falle einer Niederlage künftig zurückhalten wollen.
Ob ihm das gelänge, ist durchaus fraglich. Beide, Palmer und viele in der Partei, dürften sich inzwischen gegenseitig als Zumutung betrachten.
Und dann auch noch Corona
Auch bei dieser Wahl können sich die Menschen in Tübingen eine Meinung mit dem "Kandidat-O-Maten" bilden. Die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg hatte das Online-Instrument zunächst nach Kritik Palmers, der mit einzelnen Fragen nicht zufrieden war, zurückgezogen - und dann überarbeitet. Jetzt gibt es 29 Aussagen zur Tübinger Kommunalpolitik, an denen sich Wahlberechtigte orientieren können, von Bauvorhaben über Gewerbesteuern bis hin zu Corona-Tests, Umwelt-, Verkehrs- oder Finanzfragen.
Ausgerechnet im Wahlkampfendspurt hat sich Palmer gut eine Woche vor dem Wahltermin noch erstmals mit Corona infiziert. Ob das Auswirkungen haben wird, ist unklar. Ein möglicher zweiter Wahlgang wäre für den 13. November angesetzt.