Überlastete Ämter Wenn Wohngeld auf Wirklichkeit trifft
Mehr Menschen sollen ab Januar Wohngeld bekommen können, aber schon jetzt sind die Wartezeiten lang. Massiver Personalmangel und ausufernde Bürokratie bringen Ämter und Behörden an ihre Grenzen.
Monatelanges Warten aufs Wohngeld - das kennt Sandra Zehender schon. Die alleinerziehende Mutter aus Stuttgart hat im September bei der Stadt Wohngeld beantragt. Sie wohnt mit ihren beiden Töchtern in einer normalen Dreizimmerwohnung und braucht die Unterstützung, weil sie in Teilzeit im Kindergarten arbeitet, der Lohn aber nicht reicht. Wenn das Wohngeld nicht rechtzeitig kommt, fehlen plötzlich mehrere Hundert Euro in der Haushaltskasse.
Und es hat auch noch weitere Folgen: Zuschüsse für Fahrten der Kinder, für Schulsachen oder Betreuungskosten gibt es nur mit Wohngeld-Nachweis. Und der muss jährlich beantragt werden. Zehenders Kinder gehen schon länger in die Schule. Für bedürftige Eltern kleinerer Kinder sei das noch schlimmer, wenn Betreuung davon abhinge, sagt sie.
Vom Amt hat sie zwar ein Schreiben bekommen. Darin steht aber nur, dass es wegen des hohen Aufkommens zu Verzögerungen bei der Bearbeitung kommen kann. Ein Problem, das sich wohl verschärfen wird.
Wer soll die ganzen Anträge bearbeiten?
Denn die umfassende Reform des Wohngelds passierte heute den Bundesrat und ist damit beschlossen. Dadurch kommt die Sozialleistung ab dem kommendem Jahr mehr Menschen zugute und fällt außerdem höher aus. Wohngeld können Haushalte beantragen, die zwar keine Sozialleistungen beziehen, trotzdem aber wenig Geld haben. Künftig sollen auch Menschen in den Genuss von Wohngeld kommen, die den Mindestlohn verdienen oder eine Rente in vergleichbarer Höhe haben. Bisher erhalten 600.000 Haushalte diesen staatlichen Zuschuss zur Miete. Mit der Reform werden bis zu 1,4 Millionen weitere dazu berechtigt sein - und das könnte für eine Flut an zusätzlichen Anträgen sorgen, die viele Ämter womöglich gar nicht so schnell bearbeiten können.
Das zeige sich nirgends so deutlich wie in Großstädten, und gerade in einer Landeshauptstadt wie Stuttgart, meint Oberbürgermeister Frank Nopper. "Extrem lange Warteschlagen sind programmiert", befürchtet der CDU-Politiker. In Stuttgart werde sich die Zahl derer, die Wohngeld beantragen können, um rund 250 Prozent erhöhen.
Die SPD im Stuttgarter Gemeinderat hat schon mehr Personal für die Wohngeldstelle gefordert, doch der Oberbürgermeister gibt sich wenig optimistisch: "Wir werden nicht ohne Weiteres die Stellen nachbesetzen können, so dass wir diesen großen Ansturm bewältigen könnten."
In Freiburg wird ein ähnlicher Ansturm erwartet. Hier geht die Stadt von einer Verdreifachung aus. Sie will die Wohngeldstelle um zwölf befristete Stellen aufstocken, teilte ein Sprecher mit. Allerdings sei es eine Herausforderung, diese Stellen zu besetzen, denn schließlich suchten alle Kommunen gleichermaßen nach geeigneten Fachkräften für die Wohngeldstellen.
Nicht genug qualifizierte Bewerbungen
Der baden-württembergische Städtetag bestätigt das. Von einer "enormen Herausforderung" spricht der Dezernent für Familie und Soziales, Benjamin Lachat. Auch kleinere Kommunen seien betroffen: Die Stadt Waldkirch in der Nähe von Freiburg habe in ihrer Wohngeldbehörde nur zwei Personen auf anderthalb Stellen. Eine gehe bald in den Ruhestand. Kurzfristig sei eine solche Stelle nicht qualifiziert nachzubesetzen, es gebe auch einfach nicht genügend qualifizierte Bewerbungen.
Denn wünschenswert seien Verwaltungsfachleute mit entsprechender Erfahrung, weil Wohngeld eine komplexe Angelegenheit sei. Deshalb wäre es zwar durchaus möglich, Mitarbeitende aus anderen Verwaltungsstellen zeitweise in eine Wohngeldstelle zu versetzen, aber auch das brauche Zeit. Auch eine schnellere Digitalisierung wäre hilfreich.
Was den Kommunalverband freut: Das Land Baden-Württemberg habe 17 Millionen Euro in Aussicht gestellt, um Stellen aufzustocken.
Der Deutsche Städtetag fordert auch bundesweit Unterstützung. Dabei reiche die Spanne von 15 zusätzlich benötigten Kräften in einer Kreisstadt wie Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen bis hin zu 100 zusätzlichen Mitarbeitenden in einer Großstadt wie Dresden. Auch dort warten Wohngeldberechtigte schon jetzt mitunter monatelang, bis ihr Antrag bearbeitet wird.
Hoher Krankenstand
Fachkräftemangel macht sich an vielen Stellen in der Stadtverwaltung bemerkbar, hinzu kommt laut Stadt Stuttgart auch ein erhöhter Corona-Krankenstand. Das betreffe etwa Bürgerbüros, Führerschein- und Zulassungsstellen, die Ausländerbehörde und Teile der Bauverwaltung. Wie der SWR jüngst berichtete, stehen die Menschen Schlange, etwa vor dem Bürgerbüro in Stuttgart-Mitte. Viele brauchten dringend Dokumente, bekämen keinen Termin und würden sogar wieder weggeschickt.
Das Bürgerbüro in Stuttgart-West ist gleich ganz geschlossen - vorübergehend, wegen Personalmangels: Sieben der zehn Mitarbeitenden seien krank, wie es in dem SWR-Bericht heißt. Zehn Personen für den größten Innenstadtbezirk mit mehr als 50.000 Einwohnern.
Gesetze müssen in den Verwaltungen umsetzbar sein
Was tun? Stuttgarts Oberbürgermeister Nopper warnte davor, Regelwerke zu sehr aufzublähen. "Bund und Land müssen immer darauf achten, dass beschlossenen Gesetze in den Verwaltungen der Kommunen noch umsetzbar sind." Städtetagsdezernent Lachat schlug vor, diejenigen in der Bearbeitung vorzuziehen, die sonst in andere Sozialleistungen rutschen und dann wiederum die Jobcenter zusätzlich beschäftigen könnten.
Sandra Zehender, die noch immer auf ihren Wohngeldbescheid wartet, hat Verständnis für überlastete Behörden. "Aber das macht die Lage für anspruchsberechtigte Personen nicht besser" sagte sie. Zumal im Januar viele Rechnungen, etwa für Versicherungen, kommen werden, und das bei hohen Energiepreisen. Trotzdem bleibt letztlich nur eines: weiter warten.
Eines immerhin sieht das neue Gesetz schon vor, um die Behörden zu entlasten: Sie sollen das erhöhte Wohngeld auch vorläufig auszahlen können, wenn sie überlastet sind. Der zuständige Ausschuss wollte das neue Wohngeldgesetz sogar auf April verschieben, damit es "administrierbar" umgesetzt werden könne.
Aber reicht das aus? Fachleute vom Städtetag meinen: Ein halbes Jahr Vorlauf wäre mindestens nötig, ideal wäre sogar ein ganzes Jahr Vorlauf. Denn drei Monate würden allein für ordentliche Stellenbesetzungsverfahren gebraucht.