Kampf gegen gefährliches Virus Woher der Affenpocken-Impfstoff kommt
Das dänisch-deutsche Unternehmen Bavarian Nordic will die Produktion seines Vakzins gegen Affenpocken noch ausweiten. Aber einfach ist das nicht - denn die Herstellung ist aufwendig.
Nach den terroristischen Anschlägen des 11. Septembers 2001 stieg in den Vereinigten Staaten die Angst auch vor einem möglichen bioterroristischen Angriff durch Viren oder andere Krankheitserreger. Das veranlasste die zum Gesundheitsministerium zugehörige US-Behörde BARDA (Biomedical Advanced Research and Development Authority) dazu, die Forschung auch in dem Gebiet bereits längst vergessener Krankheiten wie den Pocken zu fördern, die seit 1980 als ausgerottet gelten.
Die staatliche Behörde unterstützte dabei unter anderem das dänisch-deutsche Biotech-Unternehmen Bavarian Nordic, das an der Weiterentwicklung des schon bekannten Pockenimpfstoffs forschte. Mit Erfolg: Anfang August erhielt das Unternehmen mit Sitz in Tuborg Havn nördlich von Kopenhagen von der EU-Kommission die Zulassung für seinen Impfstoff gegen die Affenpocken erhalten und ist damit noch immer der einzige Hersteller des Präparates weltweit. Um die Nachfrage zu decken, will der Konzern die Produktion nun noch ausweiten. Derzeit plant das Unternehmen, bis Ende 2022 rund vier Millionen Impfdosen auszuliefern aus Chargen, die seit Mai hergestellt worden sind. "Wir werden alles tun, um die hohe Nachfrage auf der ganzen Welt zu befriedigen", sagte Firmenchef Paul Chaplin.
Neu ist der Impfstoff allerdings nicht. Schon vor neun Jahren erhielt das Vakzin eine Zulassung in der EU - damals beschränkte sich diese aber auf die Anwendung gegen die herkömmlichen Pocken.
Hohe Summen aus den USA
Bavarian Nordic, das auch eine große Forschungseinrichtung in Martinsried bei München unterhält, wurde bereits 1994 gegründet und konzentrierte sich anfangs vor allem auf die Krebsforschung. Die Entwicklungsgeschichte des Impfstoffs habe erst begonnen, als nach dem 11. September in den USA die Angst vor dem Bioterrorismus zunahm, sagt Gerd Sutter im Gespräch mit tagesschau.de. Seit mehr als 30 Jahren forscht der Virologe und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu Impfstoffen und den Pockenviren.
Die BARDA habe in den frühen 2000er-Jahren mehrere Milliarden Dollar zur Entwicklung verschiedener Impfstoffe und Therapeutika auf den Markt geworfen, so Sutter. Sie sollten als Gegenmaßnahme zum Bioterrorismus dienen. Weltweit habe es nichts Vergleichbares gegeben. "Die Entwicklung des MVA-basierten Pockenimpfstoffs von Bavarian Nordic wurde fast ausschließlich von den USA finanziert." Der weiterentwickelte Pockenimpfstoff basiert auf einer modifizierten Form des alten Impfvirus, der auch Vaccinia-Virus genannt wird. Die angepasste Form wird als Modified Vaccinia Ankara, kurz MVA bezeichnet.
Lange Zeit wenig verlockendes Geschäftsmodell
In Deutschland habe man eher auf Risiko gespielt, sagt Virologe Sutter. Der alte Pockenimpfstoff werde für den Fall eines Ausbruchs noch in ausreichender Anzahl in Deutschland gelagert. Lange sei nicht absehbar gewesen, ob man den Impfstoff jemals wieder brauchen werde. Für viele Unternehmen sei das ein wenig verlockendes Geschäftsmodell gewesen. "Das ist auch der Grund, warum Bavarian Nordic aktuell relativ konkurrenzlos auf dem Markt steht", sagt Sutter.
In Europa heißt der Affenpocken-Impfstoff des dänisch-deutschen Unternehmens Imvanex. In den USA und in Kanada wird er unter den Markennamen Jynneos und Imvamune vertrieben. Bei dem Vakzin handelt es sich aber nicht um den gleichen Impfstoff, der vor mehr als 40 Jahren gegen die Pocken verimpft wurde.
Man habe schon seit Jahrzehnten gewusst, dass diese alten Impfstoffe starke und auch gefährliche Nebenwirkungen auslösen können, so Sutter. Es habe ein Interesse Amerikas gegeben, einen verträglicheren und moderneren Pockenimpfstoff zu entwickeln, sagt Thomas Duschek von Bavarian Nordic tagesschau.de. Für die USA sei es eine Sache der nationalen Sicherheit gewesen, um genug Impfstoff zu haben für den Fall, dass die Pocken wieder ausbrechen.
Modifizierter Impfstoff mit weniger Nebenwirkungen
Die modifizierte Form hat laut Hartmut Hengel, Virologe am Universitätsklinikum Freiburg und Leiter des wissenschaftlichen Beirats am Paul Ehrlich-Ehrlich-Institut, weniger Nebenwirkungen und "ist deswegen sicherer im Vergleich zum traditionellen Impfstoff". Menschen, die bisher noch nicht gegen die Pocken geimpft wurden, sollen zwei Dosen des Impfstoffs erhalten. Bei bereits Geimpften könne man davon ausgehen, dass eine einmalige Booster-Impfung mit Imvanex ausreiche, so Sutter.
Imvanex von Bavarian Nordic ist der bislang einzig zugelassene Impfstoff gegen die Affenpocken - und der Bedarf steigt. Mehr als 40.000 bestätigte Fälle aus mehr als 80 Ländern melden die Behörden bislang. In Deutschland haben sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) über 3300 Menschen mit dem Virus angesteckt. Die wahre Zahl, sagt Hengel, liege vermutlich höher. Wolle man die Verbreitung einfangen, brauche es eine koordinierte globale Impfstrategie. Die gute Nachricht sei, dass es bereits einen Impfstoff mit einer recht guten Schutzwirkung gebe.
Bestellungen weltweit
Die EU hat bisher mehr als 160.000 Dosen des Imvanex-Impfstoffs bestellt. Vor allem aber haben sich die USA Impfdosen gesichert. Laut Duschek erhalten die Vereinigten Staaten bis nächstes Jahr allein sieben Millionen Dosen. Derzeit wird ein Großteil von ihnen von Bavarian Nordic in Dänemark gelagert und von dort nach und nach in die USA verschickt. Was die Lagerung und den Transport angeht, sagt Sutter, gebe es derzeit wenig Bedenken. Das Pocken-Impfvirus sei sehr lange und sehr gut haltbar. Vorgaben aus der aktuellen Zulassung seien aber einzuhalten.
Der Impfstoff werde bei einer Temperatur von minus 20 bis minus 50 Grad gelagert, sagt Duschek. Verbrauche man den Impfstoff aber direkt, könne man ihn auch auftauen. Dann müsse er aber innerhalb von Tagen oder Wochen genutzt werden.
Mengensteigerung nicht einfach möglich
Jährlich kann Bavarian Nordic rund 30 Millionen Dosen des Impfstoffs produzieren - zumindest in der Theorie, sagt Duschek. Bislang hatte das Unternehmen geplant, in diesem Jahr seien 1,5 bis zwei Millionen Dosen zur Verfügung zu stellen - was nun auf rund vier Millionen erhöht werden soll. Auch einen möglichen Einsatz von Dosen mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum prüft der Hersteller.
Ohne Weiteres ist das Vakzin aus Sicht des Freiburger Virologen Hengel nicht in ganz großer Menge preisgünstig herzustellen. Es handele sich um einen anspruchsvollen Impfstoff, bei dem einer Steigerung der Produktion nicht so einfach zu handhaben sei wie etwa bei den mRNA-Impfstoffen gegen Corona. Das Impfvirus müsse in Zellkulturen gezüchtet werden, und das sei viel aufwendiger.
Verteilung über die Bundesländer
Den Impfstoff von Grund auf neu zu produzieren sei ein sensibler Prozess, sagt Duschek von Bavarian Nordic. Das Verfahren in neuen Anlagen zu implementieren, dauere zwischen sechs und zwölf Monaten, schätzt er. Die Biotech-Firma ist derzeit in Gesprächen mit anderen Auftragsherstellern, um die Kapazitäten noch weiter nach oben zu schrauben. Ab dem Herbst soll etwa ein amerikanischer Hersteller helfen, den Impfstoff abzufüllen.
In Deutschland werden die Impfstoffdosen laut RKI aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit von den Bundesländern verteilt. In Brandenburg, Hamburg und Bayern wurde das Vakzin gegen die Affenpocken bereits verimpft, auch in Berlin bieten einige Praxen bereits den Impfstoff Imvanex an.
Wie viel das Unternehmen mit dem Verkauf der Dosen einnehmen kann hängt von den Verhandlungen der einzelnen Staaten, der bestellten Menge und der Dauer der Verträge ab, sagt Duschek. Durch die langfristige Beziehung des Unternehmens mit den Vereinigten Staaten unterscheide sich die Preissetzung für die USA von der für die EU. Einen kommerziellen Markt gebe es derzeit nicht, so Duschek. Man verhandele aktuell ausschließlich mit Staaten über Lieferungen.
Impfstoff auch gegen Ebola
Das Geschäft des Biotech-Unternehmens beschränkt sich aber nicht nur auf Pocken. In der Vergangenheit forschte es unter anderem an einem Impfstoff gegen Tollwut. Gemeinsam mit Johnson & Johnson entwickelte Bavarian Nordic auch ein Vakzin gegen Ebola. In der Corona-Pandemie hat das Unternehmen wie viele andere Impfstoffhersteller sein Geschäft auch auf Corona-Impfstoffe ausgeweitet.
Seit acht Jahren steht der Brite Paul Chaplin an der Spitze von Bavarian Nordic. Noch im vergangenen Jahr erzielte das Biotech-Unternehmen mehr als 50 Prozent seines Umsatzes mit dem Verkauf von Pocken- und Ebola-Impfstoffen - ein Wert, der sich in diesem Jahr wohl deutlich erhöhen dürfte. 2021 betrugen die Einnahmen aus dem Verkauf des Pockenimpfstoffs, der vor allem an die USA ging, umgerechnet knapp 100 Millionen Euro.