Ein Reporter in einem zerstörten Ort in der Ost-Ukraine

Kriegsschäden in der Ukraine Was deutsche Firmen für den Wiederaufbau planen

Stand: 29.04.2023 11:02 Uhr

Noch tobt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Trotzdem gibt es in Kiew und bei Investoren zunehmend Ideen, wie es nach dem Ende der Kämpfe weitergehen könnte. Welche Rolle spielen deutsche Firmen?

Gunter Pilger geht durch die Montagehalle der Firma DGS in Mainz. Seine Mitarbeiter stehen an einem großen Tisch: Hier werden Automatikgetriebe, Elektro- und Dieselmotoren gewartet und repariert, bevor sie in die Auslieferung gehen. Pilger zeigt auf eine Ecke in der Halle: Ein Gabelstapler transportiert gerade mehrere verpackte Motoren dorthin.

"Diese Industriemotoren und Automatikgetriebe gehen bald in die Ukraine. Ich werde aber nicht sagen, wohin", stellt Pilger freundlich, aber bestimmt klar. "Auch die Empfänger werde ich nicht nennen. Unsere Kunden in der Ukraine haben Angst, dass es gezielte russische Bombardements auf ihre Firmen gibt, falls die Presse über die Lieferungen berichtet", erzählt der 57-Jährige.

           

Gabelstaplerfahrer transportiert Motoren und Getriebe

Verpackte Motoren für die Ukraine stehen in einer Lagerhalle der Firma DGS in Mainz.

Keine Geschäfte mehr mit Russland und Belarus

Pilger ist Vertriebsleiter bei der Firma DGS. Das Unternehmen mit 75 Mitarbeitern verkauft Antriebsaggregate von Herstellern wie Hyundai oder John Deere. Die Getriebe und Motoren werden später etwa in Lkw, Stadtbusse oder Allradfahrzeuge eingebaut. Nach Deutschland gehen derzeit etwa 500 Getriebe pro Jahr - unter anderem an Mercedes. Zudem exportiert DGS in den osteuropäischen Markt, auch in die Ukraine und bis Anfang 2022 auch nach Russland.

"Der russische Markt hat früher etwa 50 Prozent unseres Geschäftes ausgemacht. Mit der Annektion der Krim 2014 ging das wegen der Sanktionen deutlich nach unten. Mit dem Angriffskrieg haben wir den Handel von uns aus schnell ganz eingestellt. Das gleiche gilt auch für Belarus", sagt Pilger.

"Irgendwann ist der Krieg vorbei"

Mit der Ukraine gehen die Geschäfte aber weiter - trotz des Krieges. Vor dem russischen Überfall seien bis zu 500 Getriebe und Motoren pro Jahr an ukrainische Firmen geliefert worden, erinnert sich Pilger. "Mit Kriegsbeginn brach die Produktion bei unseren Partnern in der Ukraine zusammen." Direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte DGS zunächst zwei Lkw mit Schlafsäcken, Mobiltelefonen, Kleidung und Lebensmittel an die Partner dort geschickt - als Spende. Später folgten dann noch Werkzeuge und Arbeitsmaterialien, damit die Produktion in den Werken wieder starten kann.    

"Das erholt sich jetzt alles. Präsident Selenskyj hat ja dazu aufgerufen, das Land auch wirtschaftlich wieder aufzubauen", so der Vertriebsleiter. "In diesem Jahr gehen wir bereits wieder von etwa 100 Motoren und 100 Getrieben für die Ukraine aus. Die werden derzeit für Stadtbusse und kleine Allradfahrzeuge gebraucht." Pilger richtet den Blick in die Zukunft: "Irgendwann ist der Krieg vorbei. Die Infrastruktur muss wieder errichtet werden. Wir sehen ein sehr großes Potenzial im Land. Wir rechnen dann mit bis zu 1000 Getrieben und Motoren im Jahr."    

Hoffnung auf eine Art Marshall-Plan

Vorsichtiger Optimismus ist auch bei einer Veranstaltung der IHK Rheinhessen vergangene Woche in Mainz zu spüren. Es geht um den Wiederaufbau. Etwa einhundert Interessenten sind gekommen - darunter viele Unternehmer aus dem Rhein-Main-Gebiet. Die IHK Rheinhessen ist bereits seit Jahren in der Ukraine engagiert, nahm unter anderem an Baumessen in der ukrainischen Hauptstadt teil. 

"Mit der orangenen Revolution 2004 ist das große Potenzial des Landes für uns klar geworden", erinnert sich Hauptgeschäftsführer Günter Jertz. "Wichtig ist jetzt vor allem Verlässlichkeit für Investoren. Das wollen wir unterstützen. Eine sichere und stabile Ukraine ist doch auch in unserem eigenen Interesse. Das merken wir hier in Deutschland doch seit Kriegsbeginn auch."  

Im großen Saal der IHK Rheinhessen ist auch der Generalkonsul der Ukraine, Vadium Kostiuk, auf Werbetour. "Wir müssen uns jetzt auf den Wiederaufbau nach dem Krieg vorbereiten. Für unsere westlichen Partner geht es um langfristige Planung. Wir hoffen auf eine Art Marshall-Plan. Es gibt viel zu tun. Die Kriegsschäden werden auf etwa 600 Milliarden geschätzt." 

Deutsche Firmen weiter vor Ort

Nur ein paar Meter steht Reiner Perau von der deutsch-ukrainischen Industrie- und Handelskammer. In der Ukraine lohnten sich künftig vor allem arbeitsintensive Produktionen, weil die Löhne im Vergleich zu Westeuropa niedrig seien. "Die Ukraine kann perspektivisch eine Art zweites China werden. Zudem bietet das Land eine echte Alternative für Firmen, die nicht mehr in Russland investieren können", urteilt Perau. Vor allem die Bereiche Maschinenbau, Logistik, Bau, Gesundheit oder Landwirtschaft seien gerade für deutsche Firmen interessant. "Die Verwaltung funktioniert trotz der russischen Angriffe erstaunlich gut. Nach Kriegsende wird das die größte Baustelle Europas." 

Nach Angaben des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft machen bislang etwa 2000 deutsche Firmen Geschäfte mit der Ukraine. Schwerpunkte sind Zulieferungen von Kfz-Teilen und Elektrokomponenten. Aber auch Firmen aus der Agrarwirtschaft, der Baustoff- und Pharmaproduktion sowie der Medizintechnik sind vertreten.

Mit Kriegsbeginn brachen die Produktionen vor Ort zunächst ein, erholten sich dann aber wieder schnell. Je nach Branche arbeiten die Werke im Vergleich zum Vorkriegsniveau mit einer Auslastung von etwa 70 Prozent. Künftig könnten auch die Bodenschätze des Landes das Interesse von Investoren wecken: Die Ukraine verfügt über große Gasreserven und Lithium. 

Vertriebsleiter der Firma DGS Herr Pilger

DGS-Vertriebsleiter Gunter Pilger mit einem Mitarbeiter. Er ist beeindruckt vom Willen der Ukrainer.

Ukrainische Gesellschaft im Wandel

Unternehmer Pilger ist inzwischen in seinem Büro angekommen und gießt sich einen Kaffee ein. Warum glaubt er an eine für die Mainzer Firma gute Zukunft in der Ukraine? "Die Gesellschaft ändert sich. Die jungen Leute sind westlich orientiert, selbstkritisch und lernwillig", erzählt Pilger.

Früher hätten seine Verhandlungspartner vor allem ihren eigenen, persönlichen Vorteil im Blick gehabt. Korruption sei ein Riesenproblem gewesen. "Das waren graue Herren aus Sowjetzeiten. Die Verhandlungen waren oft schwierig und endeten teils auch ohne Abschluss. Aber die jungen Ukrainer denken jetzt vor allem an die Wirtschaft ihres Landes, nicht nur an sich selbst", so Pilger. Immer wieder kämen auch kleine Gruppen ukrainischer Geschäftspartner nach Mainz, um sich an Motoren schulen zu lassen und so langfristig den Kontakt aufzubauen. "Ihr Wille ist beeindruckend. Deshalb bin auch ich optimistisch für dieses geschundene Land. Die Ukraine geht in Richtung EU, und da wollen wir mit dabei sein."    

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 04. April 2023 um 06:47 Uhr.