Geflügelzucht Streit über Tierwohl von Puten
Per Gesetz sollen Puten in deutschen Ställen deutlich mehr Platz erhalten. Tatsächlich gibt es bei der industriellen Haltung massive Probleme. Aber hilft es den Tieren, wenn das Geschäft ins Ausland abwandert?
2,6 Tiere pro Quadratmeter - viel Platz haben die großen Putenhähne im Stall von Landwirt Phillip W. aus Nordrhein-Westfalen nicht. Mit seinem vollen Namen möchte er nicht an die Öffentlichkeit gehen, aus Angst vor militanten Tierschützern.
Auf etwas über 1200 Quadratmeter mästet er 3200 Tiere. Nach den Plänen des Bundeslandwirtschaftsministeriums dürfte er dort künftig nur noch rund 2300 Tiere mästen - 900 weniger als bisher. "Wir leben von der Putenmast," so der Landwirt. "Und wenn das so kommt, was die Regierung fordert, dann glaube ich, dass das für unseren Betrieb das Aus bedeutet. Weil das Produkt dann nicht mehr auf dem Markt gefragt ist, weil es zu teuer wird."
Erstmals gesetzliche Regelung zu Putenhaltung
Das Ministerium will mehr Tierwohl durchsetzen und hat jüngst Eckpunkte für schärfere Mindestanforderungen an das Halten von Mastputen formuliert. Eine Vorgabe darin: Die sogenannte Besatzdichte, also wie viele Tiere pro Quadratmeter gehalten werden dürfen. Bislang sind bei Putern 58 Kilogramm Lebendgewicht pro Quadratmeter üblich - auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Nun könnten es, erstmals per Gesetzt geregelt, künftig nur noch 40 Kilogramm pro Quadratmeter sein.
"Wenn das in dieser Form in Kraft treten würde, bedeutet das das Ende der Putenhaltung in Deutschland", sagt Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft.
Millionen Tiere haben sich wundgelegen
Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums begründet die geplanten Änderungen damit, dass die bisherigen Haltungsbedingungen mit einem hohen Risiko für das Auftreten von Erkrankungen, Verletzungen und Verhaltensstörungen für die Tiere verbunden seien. Dies könne bei betroffenen Tieren zu erheblichen Schmerzen, Leiden und Schäden führen.
Das zeigen auch Recherchen des SWR für die ARD-Doku "Die verborgene Welt der Turboputen", die erstmals exklusive Einblicke in die industrialisierte Putenproduktion zeigt: 2022 litten rund 7 Millionen Puten unter schmerzhaften Veränderungen an der Brusthaut, weil sie sich im Maststall wundgelegen haben. Etwa 1,2 Millionen Tiere hatten schwere Entzündungen an den Fußballen, weil die Einstreu durch Kot und Urin zu feucht war.
Zudem wird fast allen Putenküken die Schnabelspitze amputiert, obwohl dies eigentlich verboten ist. Möglich macht dies eine Ausnahmeregelung: Die Amputation soll größeres Leid verhindern, weil sich die Tiere mit ungekürzten scharfen Schnäbeln gegenseitig schwer verletzen können.
Putenküken an einer Maschine, mit der ihre Schnäbel gekürzt werden.
"Besatzdichte allein nie ausschlaggebend"
Verpflichtende gesetzliche Vorgaben für die Putenhaltung seien sinnvoll, sagt Professorin Nicole Kemper, renommierte Tierschutz-Expertin von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Die vom Ministerium anvisierte Besatzdichte von 40 beziehungsweise 35 Kilogramm pro Quadratmeter (für Hähne/Hennen) sieht sie aber kritisch: "Die Besatzdichte allein ist nie ausschlaggebend. Für das Tierwohl kommen verschiedene Faktoren zusammen, wie zum Beispiel Beschäftigung, Gruppengröße, Genetik und Auslauf."
Sollte diese niedrige Besatzdichte umgesetzt werden, bestünde die Gefahr, dass viele deutsche Putenhalter aufhören und die Putenhaltung ins Ausland abwandere. Dann würde Deutschland Putenfleisch aus Ländern importieren, in denen die Vorgaben nicht so streng sind - und es bestünde kein Einfluss mehr auf die Umsetzung von Tierschutz, so Kemper.
Es mangelt an europaweiten Regeln
Dieser Gefahr ist man sich auch im Bundeslandwirtschaftsministerium bewusst. Man habe schon mehrfach eine EU-weite Regelung gefordert, aber es sei nicht absehbar, wann solche Anforderungen auf EU-Ebene festgelegt werden, so eine Sprecherin des Ministeriums. Dem Ministerium sei bewusst, dass die Situation für die Geflügelbranche schwierig ist. Es werde angemessene Übergangsfristen geben. Da es sich um einen laufenden Arbeitsprozess handele, könne man aber zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Details nennen.
Putenmäster Philip W. bleibt dennoch pessimistisch: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sage zwar, dass man sich zusammensetzen und eine Lösung finden könne, die für beide Seiten passe - ziehe aber am Ende sowieso einfach nur sein Ding durch. Mit dieser Einschätzung dürfte er derzeit die Stimmung vieler Landwirte treffen.
Die ARD-Doku "Die verborgene Welt der Turboputen" läuft heute Abend um 22.50 Uhr im Ersten.