Ringen um zweites deutsches Konjunkturpaket Der Welt ist es nicht genug
Der britische Premier Brown berät heute mit Frankreichs Präsident Sarkozy über den Kampf gegen die Rezession. Kanzlerin Merkel ist nicht dabei. Sie blockt Forderungen nach einem größeren Konjunkturprogramm weiter ab. Der Druck der EU-Nachbarn auf Deutschland hat viele Gründe.
Von David Rose, tagesschau.de
Der Druck auf die Bundesregierung wächst täglich. Nicht nur die Opposition verlangt mehr Geld für die Konjunkturförderung. Auch die europäischen Nachbarn drängen auf ein weiteres deutsches Programm zur Unterstützung des Wirtschaftswachstums. Die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union müsse die Rolle der Konjunkturlokomotive übernehmen, fordern besonders Frankreich und Großbritannien. Deutschland könne sich Milliardengeschenke für Bürger und Unternehmen eher leisten als andere.
Europas größte Volkswirtschaft
Die Bundesrepublik spielt für die Konjunktur in der Europäischen Union eine entscheidende Rolle. Sie erwirtschaftet fast ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts der EU. Für 17 der anderen 26 Mitgliedsstaaten ist Deutschland wichtigster Handelspartner und Hauptabnehmer von Exportwaren. Die Absatzprobleme in Branchen wie der Autoindustrie führen nicht nur zu Produktionsstopps in deutschen Werken, sondern stürzen auch die Zulieferindustrie in Ländern wie Slowenien in die Krise. Wenn der Geldstrom aus Deutschland abreißt, fehlen vielerorts Wachstumsimpulse. Seit der EU-Erweiterungsrunde 2004 verdankten die neuen Mitgliedsstaaten die meisten ausländischen Direktinvestionen der Bundesrepublik, im Schnitt 8,5 Milliarden Euro jährlich allein zwischen 2004 und 2006.
Deutschland kann sich mehr leisten
Die hohen Erwartungen der Nachbarn an Deutschland haben auch mit der aktuellen Haushaltslage zu tun. Die Bundesrepublik nutzte den Aufschwung der vergangenen Jahre besser als andere große EU-Länder, um das öffentliche Defizit zu senken. Der Staatshaushalt, der die Finanzen von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen umfasst, verpasste 2007 nur durch die Rettung der Mittelstandsbank IKB den ersten Überschuss seit der Wiedervereinigung. In diesem Jahr wird dieses erhoffte Plus laut Bundesbank erreicht.
Aufgrund der Rezession rechnet die Bundesbank 2009 aber wieder mit einem Defizit in Höhe von fast einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 2010 werde sich die Quote auf zwei Prozent zubewegen. Die Stabilitätskriterien der Europäischen Union erlauben bis zu drei Prozent. Nach Ansicht anderer EU-Staaten verfügt Deutschland damit über Spielraum für neue Milliardenprogramme.
Frankreich dagegen hätte auch ohne Wachstumsförderung im kommenden Jahr eine Defizitquote von mindestens 3,1 Prozent erreicht. Das von Präsident Nicolas Sarkozy vorgestellte Konjunkturpaket treibt das Minus auf 3,9 Prozent. Großbritannien leistet sich mit der befristeten Mehrwertsteuersenkung 2009 sogar ein Staatsdefizit von acht Prozent. Mindestens sieben weitere EU-Staaten verletzen laut EU-Komission im Verlauf der kommenden beiden Jahre das Defizitkriterium des Stabilitätspakts.
Merkel sieht Deutschland in der Vorreiterrolle
Die Bundesregierung sieht sich trotz neuer Forderungen bereits in einer Vorreiterrolle. Deutschland gehöre mit seinem Maßnahmenpaket von 32 Milliarden Euro "zu den führenden Ländern Europas, was die Reaktion auf die Wirtschaftkrise anbelangt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die befristete Kfz-Steuerbefreiung für Neuwagen, die bessere steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und neue Abschreibungsregeln für Unternehmen machen rund acht Milliarden Euro bis 2010 aus. Wie stark Bürger davon Gebrauch machen, ist aber unsicher. Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von 3,3 auf 3,0 Prozent und zeitweise auf 2,8 Prozent sorgt bis 2010 für Entlastungen von mehr als sieben Milliarden Euro.
In Verkehrsprojekte fließt eine weitere Milliarde Euro pro Jahr. Aus dem CO2-Sanierungsprogramm können bis 2011 drei Milliarden Euro mehr abgerufen werden. Familienleistungen wie die Erhöhung des Kindergelds werden mit mehr als vier Milliarden Euro in den kommenden beiden Jahren eingerechnet. Die größte Schritt ist aber erst für 2010 vorgesehen: die bessere steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Mit dieser Entlastung der Bürger um neun Milliarden Euro setzt die Bundesregierung ein Urteil des Verfassungsgerichts um.
Sammelsurium von Maßnahmen
Nur wenige EU-Staaten wie Spanien und Österreich hatten erste Konjunkturprogramme schneller an den Start gebracht als Deutschland. Einige Länder verzichteten bislang auf eigene Pakete oder stellten ihre Milliardenprogramme wie Italien, Frankreich und Polen erst nach dem Vorschlag der EU-Kommission offiziell vor.
Klassische Konjunkturmaßnahmen wie Steuererleichterungen, Investitionsanreize und staatliche Investitionen in die Infrastruktur dominieren in der aktuellen Krise. Hinzu kommen Kreditprogramme für den Mittelstand. Aber auch andere Elemente finden sich in den Konjunkturpaketen, einschließlich längst geplanter Reformen und Investitionen. Einige Regierungen deklarieren auch Geld aus EU-Töpfen als Teil eigener Programme. Von dem italienischen 80-Milliarden-Euro-Paket soll mehr als die Hälfte aus EU-Mitteln stammen. Abzüglich früherer Beschlüsse bleiben nur 6,3 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben im kommenden Jahr übrig.
Schwerpunkt der Konjunkturförderung wirkt 2010
Wann Bürger und Unternehmen die Konjunkturförderung spüren, variiert zwischen den EU-Staaten. Da die Bundesbank den Höhepunkt der Rezession in den kommenden Monaten erwartet, drängen die deutschen Partner darauf, Wachstumsschübe auf 2009 zu konzentrieren. Das zentrale Instrument der britischen Konjunkturförderung, die Senkung der Mehrwertsteuer, ist bis Ende 2009 befristet. Aus dem deutschen Konjunkturpaket entfällt nur rund ein Drittel auf 2009.
Mehr Geld soll schneller fließen, lautet daher im In- und Ausland die Forderung an die Bundesregierung. Doch diese blockt Wünsche nach einem größeren Beitrag zur Wachstumsförderung derzeit ab. Der britische Premier Gordon Brown hat Frankreichs Präsident Sarkozy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso heute nach London eingeladen, um über den gemeinsamen Kampf gegen die Rezession zu beraten. Merkel ist nicht dabei. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sprach von einem normalen bilateralen Treffen. Es sei abwegig, darin eine Ausgrenzung Deutschlands zu sehen. Klar sei aber auch, "dass am Ende in diesen Fragen nur gemeinsam gearbeitet und gemeinsam entschieden werden kann".