Folgen für Gesamtwirtschaft Gefährden Streiks den Wohlstand Deutschlands?
Die laufenden Arbeitskämpfe bei der Bahn und im Luftverkehr versetzen der angeschlagenen deutschen Konjunktur laut ifo-Chef Fuest einen weiteren Dämpfer. Wie groß ist der Schaden für die Gesamtwirtschaft?
Die Streiks bei der Deutschen Lufthansa und bei der Deutschen Bahn haben das Zeug dazu, die Gesamtwirtschaft nach unten ziehen. Zu diesem Schluss kam jedenfalls Clemens Fuest, Leiter des Münchner ifo-Instituts, im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF: "Das ist eine zusätzliche Belastung, die wir eigentlich nicht gebrauchen können."
Fuest sagte: "Die Wirtschaft schrumpft, und wenn so etwas noch dazu kommt, dann fehlen ja plötzlich Teile in der Produktion, die nicht geliefert werden können, oder es können Menschen nicht zu Meetings kommen, vielleicht auch nicht zur Arbeit." Die Bahn und der Luftverkehr seien systemisch wichtige Bereiche. "Deshalb muss man schon überlegen, ob das alles noch verhältnismäßig ist." Fuest schlug strengere Regeln wie etwa längere Ankündigungszeiten für Streiks vor.
Was kostet der Bahn-Streik die Wirtschaft?
Konkrete Zahlen, wie sich die Streiks auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) und damit auf den Wohlstand des Landes auswirken könnten, nannte Fuest jedoch nicht. Ganz anders sein Kollege Michael Grömling vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschat (IW). Von Grömling stammt eine Zahl, die schon bei früheren Streiks häufig zitiert wurde: 100 Millionen Euro - so viel soll ein flächendeckender Streiktag im Zugverkehr kosten.
Wie aber kommt Grömling auf diese griffige Summe? Der Wirtschaftsforscher nennt drei verschiedene Bereiche, die unter den Streiks leiden. Da sind zunächst die Kosten bei der Deutschen Bahn selbst, die bei etwa 20 bis 30 Millionen Euro lägen. Hinzu kämen Ausfälle beim privaten Konsum und Dienstleistungen, also zum Beispiel weniger belegte Hotelbetten und niedrigere Umsätze von Bahnhofsgeschäften.
Grömling geht davon aus, dass "sehr vorsichtig gerechnet" bundesweit ungefähr ein Prozent an Konsum wegfällt - das entspricht einer Größenordnung von 30 Millionen Euro. Schwerer zu beziffern seien die Folgen für die Lieferketten; auch hier geht der IW-Experte von Kosten in Höhe von rund 30 Millionen Euro aus. Macht in der Summe 90 Millionen Euro - oder eben gerundet die häufig zitierten 100 Millionen Euro.
Ökonom sieht kaum Wohlstandseffekte
Andere Experten sind jedoch nicht ganz so pessimistisch. Der Ökonom Sebastian Dullien der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung bezweifelt laut "Handelsblatt", dass die Streiks überhaupt einen Effekt auf die Wirtschaftskraft haben. Die Wirtschaft sei flexibel und könne Ausfälle ausgleichen. Schließlich werde aktuell nirgendwo am Anschlag gearbeitet.
Laut Dullien hat bislang nur ein einziger Streik in der deutschen Geschichte einen messbaren Effekt auf die Wirtschaft gehabt: nämlich jener der Metallarbeiter 1984. Damals seien tatsächlich weniger Autos produziert worden.
1984 streikten Arbeiter der Metallindustrie für die 35-Stunden-Woche.
Die längsten Streiks aller Zeiten
1984 streikten die Beschäftigten in der westdeutschen Metallindustrie fast sieben Wochen lang - für die Verkürzung der Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden in der Woche. Dieser Streik gehörte damit zu einem der längsten und härtesten in der bundesdeutschen Tarifgeschichte.
Der mit Abstand längste Streik der Gewerkschaftsgeschichte der Bundesrepublik aber fand 1994 in der Druckindustrie statt. Über 117 Tage erstritt die ver.di-Vorläufergewerkschaft IG Druck zwei Prozent höhere Löhne. Mit 114 Tagen, also gut 16 Wochen, knapp dahinter: der Streik 1956 in der Metallindustrie. Damals ging es um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Streik in der Metallindustrie 1956 war der zweitlängste in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte.