Industrieanlagen und Güterhafen in Godorf, Nordrhein-Westfalen
analyse

Debatte über Konjunkturpaket Was der Wirtschaft auf die Beine helfen könnte

Stand: 11.08.2023 08:15 Uhr

Die deutsche Wirtschaft lahmt. Ökonomen sind dagegen, nun ein staatliches Konjunkturprogramm aufzulegen. Aber was könnte der Wirtschaft wieder neuen Schwung geben?

Von Lilli-Marie Hiltscher, ARD-Finanzredaktion

Null Prozent Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal, dazu 6,2 Prozent Inflation im Juni und ein Rückgang im produzierenden Gewerbe: Die wichtigen Konjunkturdaten, die die wirtschaftliche Lage Deutschlands beschreiben, weisen nach unten. Und während für andere Industrienationen im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum vorhergesagt wird, geht der Internationale Währungsfonds (IWF) davon aus, dass die deutsche Wirtschaft 2023 schrumpft.

Das hat Forderungen nach einem staatlichen Konjunkturpaket laut werden lassen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dafür sprachen sich kürzlich beispielsweise die Vorsitzenden von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder, gemeinsam mit Hessens Ministerpräsident Boris Rhein aus.

Ökonomen indes halten das für keine gute Idee. Betrachte man die derzeitige Lage, wäre das genau der falsche Weg, urteilt etwa Benjamin Born, Associate Professor für Makroökonomie an der Frankfurt School of Finance & Management, im Gespräch mit tagesschau.de: "Es gibt derzeit kein Argument, dass für ein klassisches Konjunkturpaket spricht, um die deutsche Wirtschaft zu stärken."

Wer Geld hat, kann es ausgeben

Ein klassisches Konjunkturpaket umfasst laut Born aus ökonomischer Sicht Maßnahmen, "die dazu dienen, die Wirtschaft kurzfristig wieder anzukurbeln". Eine solche Maßnahme war etwa die Mehrwertsteuersenkung während der Pandemie - oder auch die Abwrackprämie, die während der weltweiten Finanz- und Konjunkturkrise 2009 aufgelegt wurde und den Neukauf eines Autos förderte. "Solche Maßnahmen werden primär mit dem Ziel beschlossen, die Nachfrage zu erhöhen", erklärt Born. Und zwar zeitlich befristet, also mit einem absehbaren Enddatum.

Der Fokus solcher Konjunkturpakete liegt in der Regel auf den privaten Haushalten, sie werden finanziell unterstützt - etwa durch Steuersenkungen oder direkte Zuschüsse. Die Idee dabei: Wer mehr Geld zur Verfügung hat, der gibt es auch aus. Für die Wirtschaft sind diese Konsumausgaben wichtig; fast die Hälfte aller Ausgaben für Güter und Dienstleistungen kommen von den privaten Haushalten.

Keine Konjunkturhilfen im klassischen Sinne sind dagegen Born zufolge etwa die Förderungen für den Kauf einer Wärmepumpe oder eines Elektroautos, die Verbraucher aktuell beantragen können. Denn bei diesen Subventionen seien die Gründe, warum sie aufgelegt wurden, keine konjunkturstützenden gewesen: "Zwar hat man bei solchen Förderungen zwangsläufig auch immer einen konjunkturellen Effekt. Aber sie waren in erster Linie dazu gedacht, die Wirtschaft umzubauen." Ob eine staatliche Förderung als Konjunkturhilfe einzuordnen sei oder nicht, hänge also auch vom Zweck ab.

Grundsätzliche Probleme des Standorts

Zusätzlich zur Förderung der privaten Haushalte enthalten Konjunkturpakete häufig Maßnahmen, die die Unternehmen stärken sollen. Ein Beispiel dafür ist der von Wirtschaftsverbänden geforderte, staatlich subventionierten Industriestrompreis, den auch Bundeswirtschaftminister Robert Habeck unterstützt. Der Industriestrompreis soll die Kosten pro Kilowattstunde Strom für bestimmte Unternehmen, die eine besonders hohe Energie- und Wettbewerbsintensität nachweisen können, bis zum Jahr 2030 für 80 Prozent ihres Stromverbrauchs auf sechs Cent senken.

Ökonomen wie Benjamin Born sehen das allerdings kritisch: "Eine solche Subvention würde zwar die Kosten der Unternehmen verringern, aber nicht das strukturelle Problem lösen." Denn die Gründe für die aktuelle Schwäche der deutschen Wirtschaft seien vielfältig, Neben einer schwächenden Weltkonjunktur seien es eher grundsätzliche Probleme, die den Standort Deutschland belasten. "Wir bräuchten ein Maßnahmenpaket, dass die deutsche Wirtschaft mittel- und langfristig umbaut."

Subventionen können Inflation anheizen

Dazu gehöre ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien, ein Abbau der Bürokratie sowie ein Ausbau der Infrastruktur, so Born. Ähnlich hatte sich auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), geäußert. Er sprach sich in den den Zeitungen der Funke Mediengruppe gegen ein Konjunkturprogramm mit Subventionen und Steuersenkungen aus und forderte stattdessen "ein langfristig angelegtes Transformationsprogramm, mit einer Investitionsoffensive, einer breit angelegten Entbürokratisierung und einer Stärkung der Sozialsysteme".

Professor Reint E. Gropp, Präsident Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, zum geplanten Bau einer neuen Chipfabrik in Dresden durch taiwanischem Konzern TSMC

tagesschau24, 08.08.2023 18:00 Uhr

Subventionen für Unternehmen bergen außerdem das Risiko, dass sie die Inflation weiter anheizen, wie Born tagesschau.de sagte "Mit einem Konjunkturprogramm will man die Nachfrage erhöhen. Schafft man das, steigen auch die Preise, was die Inflation antreibt." Doch damit würde die Bundesregierung genau das Gegenteil von dem bewirken, was die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren Zinserhöhung derzeit erreichen will.

Die EZB hat mehrfach die Zinsen erhöht, damit sich die Inflation wieder Richtung zwei Prozent bewegt. Doch davon ist sie noch weit entfernt - zuletzt lag die Teuerung in Deutschland bei 6,2 Prozent. Würde nun die Bundesregierung mit einem Maßnahmenpaket Geld in die Wirtschaft pumpen, würde sie gegen die Zentralbank arbeiten. Auch die Wirtschafts-Sachverständige Veronika Grimm sprach sich deswegen gegen ein staatlich finanziertes Konjunkturprogramm aus. Das würde aktuell bedeuten, "dass man der EZB bei der Inflationsbekämpfung unnötig das Leben schwer macht. Das sollten wir nicht tun", sagte Grimm dem Fernsehsender phoenix.

Skepsis auch bei Chip-Förderung

Ökonomen plädieren vor allem dafür, den Standort Deutschland wieder langfristig attraktiver zu machen - damit Unternehmen nicht nur oder vor allem wegen staatlicher Förderung hierzulande investieren. Die jüngsten Ankündigungen von neuen Werken der Chipindustrie - etwa der geplanten Ansiedlung des taiwanischen Konzerns TSMC in Dresden - seien eben kein Ausdruck von ökonomischer Stärke des deutschen Standorts, wie es Wirtschaftsminister Habeck sagte, urteilte Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft im Deutschlandfunk. Diese Investitionen seien lediglich auf die hohen Subventionen zurückzuführen.

Ähnlich sieht es der Wirtschaftsexperte Born: "Unternehmen können die Länder aktuell gegeneinander ausspielen, indem sie Werke dort ankündigen, wo sie die höchsten Subventionen bekommen." Statt das Geld einzelnen Unternehmen zu geben, sollten die Subventionen in Forschung und Entwicklung und "eine bessere finanzielle Ausstattung der Hochschulen fließen", sagte auch Reint E. Gropp, Präsident Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, im Gespräch mit tagesschau24. So könne man die Innovationskraft Deutschlands langfristig stärken.