Steigende Immobilienpreise EZB-Direktorin hält Inflation für unterschätzt
EZB-Direktorin Schnabel hat vor dem Risiko gewarnt, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen zu spät erhöhen könnte. Vor allem der anhaltende Immobilien-Boom schürt Sorgen.
Der Druck auf Europas Notenbankchefin Christine Lagarde, die Zinsen rasch zu erhöhen, wächst. Jetzt kommt sogar aus den eigenen Reihen Kritik an der zögerlichen Haltung der Präsidentin der Europäischen Zentralbank. EZB-Direktorin Isabel Schnabel hat davor gewarnt, die Währungshüter könnten mit der Zinswende zu spät dran sein.
Der Immobilienboom erhöhe dafür das Risiko, sagte die deutsche Ökonomin in einem Interview mit der "Financial Times". Die EZB müsse bei der Bewertung der Inflation auch die steigenden Preise für Wohneigentum berücksichtigen.
Heikles Thema bei den Währungshütern
Schnabel spricht damit ein heikles Thema an. In der EZB gärt es bezüglich der korrekten Berechnung der Inflationsrate schon lange. Bereits im Sommer sollen sich die Notenbanker auf einer Klausurtagung darauf verständigt haben, dass die steigenden Wohnimmobilienpreise stärker berücksichtigt werden sollen.
Geändert hat sich seither nichts. Dabei steht die Inflationsrate derzeit wie kaum ein anderer konjunktureller Faktor im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Zugleich ist sie zentral für die künftige Geldpolitik der Notenbanken.
Mieten werden berücksichtigt, Wohnimmobilienpreise nicht
Mieter und Hausbesitzer werden von den EU-Statistikern bislang äußerst ungleich behandelt. Während die Mieten bei der Berechnung der Inflationsrate berücksichtigt werden, fallen die Preise für selbstgenutzte Wohnimmobilien unter den Tisch. Im Warenkorb des Europäischen Statistikamts Eurostat ist für sie kein Platz - im Gegensatz zu anderen Währungsräumen wie etwa den USA, wo Hauspreise ganz selbstverständlich Teil der Berechnung der Inflationsrate sind.
Experten wie Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sprechen sich daher schon seit langem dafür aus, dass die steigenden Immobilienpreise auch in der Eurozone in die Berechnung der Inflationsrate einfließen sollten.
Teuerungsrate wäre deutlich höher
Tatsächlich würde die Einbeziehung von selbst genutztem Wohneigentum die Inflationsrate in der Euro-Zone deutlich nach oben drücken - vor allem wenn man auf die Kerninflation schaut, also die Teuerung der stark schwankenden Preise für Lebensmittel und Energie ausklammert. Im zweiten und dritten Quartal 2021 hätte die Inflationsrate für diesen Fall um 0,4 bis 0,6 Prozentpunkte höher gelegen, wie die EZB heute mitteilte.
Dass die Verbraucherpreise in ihrer aktuellen Berechnungsweise die tatsächliche Inflation stark unterschätzen, dafür liefert auch der Blick auf die Vermögenspreisinflation ein starkes Indiz. Die Preise für Häuser, Aktien, Gold und Betriebsteile - als alternatives Inflationsmaß - waren 2021 deutlich stärker gestiegen als die Verbraucherpreise.
Vermögenspreisinflation nimmt an Fahrt auf
"Für das Jahr 2021 fällt die Vermögenspreisinflation in Deutschland mit 9,2 Prozent sehr hoch aus", unterstreicht Philipp Immenkötter, Analyst beim Flossbach von Storch Research Institute, auf Basis einer aktuellen Studie. Zum Vergleich: Die Verbraucherpreise in der Bundesrepublik hatten sich im vergangenen Jahr lediglich um 3,1 Prozent erhöht.
Maßgeblichen Einfluss auf die Vermögenspreisinflation hatte dabei die Preisrally am Immobilienmarkt, die sich auch im zweiten Jahr der Pandemie fortsetzte: Im Jahr 2021 sind die Preise für das Immobilienvermögen in Besitz privater deutscher Haushalte um 10,0 Prozent angestiegen. Besonders deutlich zogen die Preise für Wohnimmobilien an.
Zehn Jahre Preisrally am Immobilienmarkt
Die Experten der Commerzbank kommen in einer aktuellen Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie rechnen damit, dass sich Wohnimmobilien 2021 im Schnitt um 10,5 Prozent verteuert haben. "Die Häuserpreise gehen durch die Decke", so Commerzbank-Ökonom Marco Wagner.
Der aktuelle Boom ist inzwischen der mit Abstand längste seit Beginn der Statistik. "Während die Preisanstiege der 1970er und Anfang der 1990er-Jahre jeweils nach rund acht Jahren zu Ende gingen, läuft die derzeitige Preisrally mittlerweile seit zehn Jahren", so Wagner.
Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale?
Mit ihrer Warnung, dass die die Europäische Zentralbank mit der Zinswende zu spät dran sein könnte, steht EZB-Direktorin Schnabel freilich keineswegs allein da. So warnte jüngst der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Helmut Schleweis: "Es wird erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen haben, wenn die EZB nicht oder zu spät reagiert." Die Eurozone drohe, in eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale zu schlittern.
Auf ihrer letzten Sitzung Anfang Februar hatte die EZB den Leitzins bei null Prozent belassen. Hatte Lagarde im Dezember allerdings noch unterstrichen, dass eine Anhebung des Leitzinses im Jahr 2022 "sehr unwahrscheinlich" sei, so vermied es die oberste europäische Währungshüterin nun, sich erneut so klar festzulegen. Volkswirte werteten dies als Hinweis darauf, dass die EZB die Zinswende noch in diesem Jahr einläuten könnte.
Viele Experten vertreten die Einschätzung, dass ein solcher erster Zinsschritt möglichst früh kommen sollte. Die EZB laufe der tatsächlichen Inflationsentwicklung hinterher, lautet der Vorwurf. Sollten die Währungshüter um Lagarde nun auch auf der März-Sitzung des EZB-Rats konkrete Hinweise zur Zinswende schuldig bleiben, würden sie das Heft des Handelns immer weiter aus der Hand geben.