Wieder Gespräche in Brüssel Tsipras lockt Geldgeber mit neuer Liste
Die Reformvorschläge aus Athen verärgern die Geldgeber seit Monaten. Drohgebärden beider Seiten verschärften die Lage. Nun schickte der griechische Premier Tsipras seine Vertreter mit neuen Vorschlägen zu Gesprächen nach Brüssel.
Das Endspiel im Schuldenstreit treibt langsam seinem Höhepunkt entgegen. Die Drohkulisse auf beiden Seiten wächst. Inzwischen sprechen sogar hochrangige EU-Politiker offen über die Möglichkeit eines "Grexit", eines griechischen Austritts aus der Eurozone infolge eines Staatsbankrotts. Im Hintergrund wird angeblich schon über einen "Plan B" dafür beraten.
Am Rande der 30-Jahr-Feiern für das Grenzkontrollabkommen Schengen warnte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eindringlich vor diesem Szenario. Dass die möglichen Folgen "verheerend" seien und die Lage sehr ernst, das wisse auch der griechische Premier Alexis Tsipras.
Viele Länder machen mehr Druck als Deutschland
Juncker sorgt sich nach eigenen Angaben aber vor allem um die Griechen und weniger um deren Regierung oder Parlament. Er fühle sich den Griechen, die unter der Krise litten, sehr nah, so der EU-Kommissionschef. Träte das Land aus der Währungsunion aus, wäre die Europäische Union nie mehr dieselbe.
Zugleich wies Juncker darauf hin, dass keineswegs allein die Bundesrepublik Athen dränge, endlich wirksame Strukturreformen zu beschließen und umzusetzen. "Finnland, Österreich, die Niederlande, die Slowakei, Slowenien und Malta - sie alle waren und sind weit fordernder", erklärte Juncker. "Und das aus einem verständlichen Grund: der Mindestlohn in diesen Ländern ist niedriger als in Griechenland, und die Pensionen sind es teilweise auch."
Um nach monatelangem Stillstand und wenige Tage vor Ablauf einer wichtigen Frist doch noch zu einer Einigung über das restliche EU-Hilfspaket zu kommen, reiste eine Delegation griechischer Regierungsvertreter mit neuen Reformvorschlägen nach Brüssel. Wie Juncker erklärte, dürften die Gespräche das ganze Wochenende dauern. Heute auf einer "niedrigen technischen Ebene", wie er sagte, morgen dann auf einer höheren. Ministerpräsident Tsipras entsandte dazu seinen Chefunterhändler und seinen Stellvertreter. Sie sollen unter anderem mit einem Repräsentanten Junckers über die strittigen Fragen sprechen und versuchen, Differenzen zu überbrücken. Ob eine Einigung in den nächsten Tagen möglich ist, darauf will sich Juncker nicht festlegen; nur, dass sie nötig sei, stellt er nach einigem Zögern fest.
IWF sitzt wieder mit am Tisch
Zwei Tage nach der überraschenden Abreise des Teams des Internationalen Währungsfonds aus Brüssel sollen außerdem wieder IWF-Vertreter an den Gesprächen teilnehmen. Beobachter bewerten die kurze Unterbrechung im Nachhinein als kalkulierten Warnschuss an die Adresse Athens. Aus EU-Sicht bleibt der IWF weiter "voll engagiert".
In Brüssel legt man trotzdem Wert darauf, dass es sich bei dem Treffen formal um keinen Verhandlungstermin mit den Gläubigern handle. Entscheidend sei vielmehr die nächste Sitzung der Euro-Finanzminister am kommenden Donnerstag, so EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Wie die neuen Vorschläge aussehen, über die heute und morgen die Experten und in fünf Tagen dann die Politiker befinden werden, darüber ist bisher noch nichts nach außen gedrungen. Sicher ist nur, dass die Frage des Primärüberschusses im Mittelpunkt stehen dürfte. Dieser Wert legt fest, wie viel die griechische Regierung jährlich einsparen muss, um den Schuldenberg irgendwann abzubauen. Auch bei Mehrwertsteuer, Renten und Pensionen ist man sich noch uneins.
Von einem Primärüberschuss ist die Rede, wenn ein Staat mehr einnimmt als ausgibt - der Schuldendienst mit den Zins- und Tilgungszahlungen wird in dieser Rechnung komplett ausgeklammert. Wie sich dieser Primärhaushalt entwickelt, gilt als Indiz dafür, ob und wann ein Staat seinen aufgehäuften Schuldenberg abtragen kann. In den Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern, verpflichtete sich die griechische Regierung, durch Einsparungen und höhere Einnahmen Primärüberschüsse zu erreichen. Dabei wurden für die einzelnen Jahre konkrete Zielmarken vereinbart. Wenn diese Vorgaben in den laufenden Verhandlungen nun gesenkt werden sollten, wäre auch der Spardruck Griechenlands in diesem Jahr und den folgenden Jahren geringer als bisher.
Tsipras zu "schwierigem Kompromiss" bereit
Aus Athen kam derweil ein Signal, das wie Einlenken klingt: Man sei zu einem "schwierigen Kompromiss" mit den Geldgebern bereit, ließ Premier Tsipras wissen. Einziges Ziel sei es, "die Krise zu beenden" und zu einem "realisierbaren Abkommen" zu gelangen. Ob Tsipras dafür allerdings im Parlament und in seinem Linksbündnis Syriza die nötige Mehrheit findet, bezweifeln viele. Möglich, dass die Dramatik der vergangenen Tage hilft, die Entscheidung zu beschleunigen.