Protest gegen neue Sparpläne in Griechenland Die Wut auf die Regierung wächst

Stand: 06.11.2012 15:51 Uhr

Zehntausende gehen erneut in Griechenland gegen die Sparpolitik auf die Straße. Sie fühlen sich von ihrer Regierung betrogen, die ein Ende der Sparmaßnahmen versprochen hatte. Die Regierungskoalition droht an dem Konflikt zu zerbrechen. Doch ohne die Einsparungen droht die Staatspleite.

Von Thomas Bormann, ARD-Studio Griechenland

"Die Regierung bringt hiermit den Gesetzentwurf für die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahr 2016 ein. Der Entwurf soll schnell beschlossen werden." Das verkündete am Montag die Parlamentssprecherin Maria Kollia Tsarucha. Was sie da so trocken beschrieb, ist das heftig umstrittene Sparpaket. Auf 308 Seiten hat die Regierung aufgelistet, wie sie neun Milliarden Euro bei Renten und Löhnen einsparen und viereinhalb Milliarden durch neue Steuern einnehmen will.

Rentner und Arbeitnehmer am stärksten betroffen

Besonders hart trifft es Rentner: Wer mehr als 2000 Euro Rente hat, bekommt künftig 15 Prozent weniger; für viele Familien wird das Kindergeld gestrichen; wer Medikamente braucht, muss künftig einen höheren Eigenanteil zahlen. Gegen all das streiken heute Hunderttausende überall in Griechenland. Taxifahrer, Seeleute, Lehrer, Beamte, Museumswärter – sie alle wollen bis morgen Abend streiken. Am Vormittag hatten auch die Fluglotsen die Arbeit niederlegt und somit den Flugplan durcheinandergebracht.

Für Oppositionschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken bedeutet dieses Sparpaket die Zerstörung Griechenlands. Morgen Abend steht das Sparpaket im Parlament zur Abstimmung. Alexis Tsipras sagte vor seiner Fraktion: "Wir appellieren wir an alle Abgeordnete, ihre patriotische Pflicht zu erfüllen und dagegen zu stimmen. Vor allem aber rufen wir alle Griechen zu einem friedlichen Aufstand auf, damit das Sparpaket nicht durchkommt."

Regierung sieht keine Alternative

Für Ministerpräsident Antonis Samaras aber ist dieses Sparpaket der einzig möglich Weg aus der Krise, denn nur mit diesem Sparpaket wird Griechenland einen ausgeglichenen Haushalt bekommen. Nur wenn Griechenland diese Sparmaßnahmen beschließt, wird es neue Hilfskredite erhalten und vor der drohenden Pleite gerettet werden. Samaras muss jetzt an allen Fronten kämpfen: Bei der Debatte im Parlament muss er hoffen, dass nicht noch mehr Abgeordnete seiner Regierungskoalition vom Kurs abweichen und nicht für das Sparpaket stimmen. Die kleinste der drei Regierungsparteien, die Demokratische Linke, hat genau das ja schon angekündigt.

Die Griechen haben das Vertrauen verloren

Auf der Straße sammeln sich jetzt die Demonstranten mit ihren Plakaten. Schon zum fünften Mal in diesem Jahr haben die griechischen Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen. Der 63-jähriger Rentner Dimitris aus Athen findet das richtig: "Ja, das bringt was. Stell Dir vor, wir würden alle zu Hause bleiben. Dann würden wir bald gar nichts mehr haben."

Dimitris traut den Versprechungen von Ministerpräsident Samaras nicht, der sagt: Dieses Sparpaket wird das letzte sein. Denn wie praktisch alle griechischen Politiker – hat auch Samaras schon zu oft Versprechen gebrochen. Noch im Juni, im Wahlkampf, hatte er versichert: Es werde keine weiteren Kürzungen bei Löhnen und Renten geben. Nun aber will Samaras mit dem Sparpaket Löhne und Renten besonders stark senken.

Hintergrund
Griechenland will mit dem neuen Sparprogramm die Staatshaushalte um 13,5 Milliarden Euro bis Ende 2014 entlasten. Weitere 3,4 Milliarden Euro sollen anschließend bis 2016 eingespart werden.

  • Die Rentner müssen mit Kürzungen um fast 4,8 Milliarden Euro rechnen. Alle Renten von 1000 Euro aufwärts werden um fünf bis 15 Prozent gesenkt. Das Weihnachtsgeld für Rentner wird abgeschafft; es war bereits von einer Monatsrente auf 400 Euro gekürzt worden. Die Gewerkschaften rechneten aus, dass damit die Rentner im Durchschnitt 2000 Euro im Jahr verlieren werden.
  • Die Abfindungen für entlassene Arbeitnehmer werden drastisch gesenkt. Arbeitgeber dürfen Verträge mit jedem einzelnen Arbeitnehmer schließen. Damit werden praktisch Tarifverhandlungen umgangen.
  • Auch den Staatsbediensteten werden die jeweils verbliebenen 400 Euro vom Weihnachtsgeld sowie vom Urlaubsgeld gestrichen. Viele Löhne und Gehälter sollen um sechs bis 20 Prozent verringert werden. Bis Ende 2012 sollen 2000 Staatsbedienstete in die Frühpensionierung gehen oder entlassen werden. Bis zum Eintritt des Rentenalters erhalten sie dann 60 Prozent ihres letzten Gehalts.
  • Im Gesundheitswesen sollen 1,5 Milliarden Euro eingespart werden. Unter anderem sollen die Versicherten sich mit höheren Eigenbeiträgen beim Kauf von Medikamenten beteiligen. Zahlreiche Krankenhäuser sollen schließen. Andere sollen sich zusammenschließen.
  • Die Gehälter der Angestellten der öffentlich-rechtlichen Betriebe, wie beispielsweise der Elektrizitätsgesellschaft (DEI), sollen denen der Staatsbediensteten angeglichen werden. Dies bedeutet für die Betroffenen nach Berechnungen der Gewerkschaften bis zu 30 Prozent weniger Geld.
  • Familien, die mehr als 18.000 Euro im Jahr verdienen, haben keinen Anspruch auf Kindergeld mehr.
  • Das Rentenalter wird für alle von 65 Jahre auf 67 Jahre angehoben.

Weitere Details des Sparprogramms sollen mit Gesetzen geregelt werden, die in den kommenden Monaten gebilligt werden sollen.

Quelle: dpa