Bitcoin-Münzsymbole

Bitcoin & Co. Kann sich der Kryptomarkt erholen?

Stand: 23.11.2022 08:47 Uhr

Die Pleite der Handelsplattform FTX hat die Kryptoszene erschüttert. Ob sie sich davon erholen kann, was dafür nötig ist und wieso man zwischen der Technologie und der Zockerei trennen sollte.

Von Till Bücker, ARD-Finanzredaktion

Es war eine Pleite, die eine ganze Branche mit in den Abgrund zog: Nach der Insolvenz der zweitgrößten Kryptobörse FTX sind die digitalen Währungen allesamt abgestürzt. Auch zu Wochenbeginn - und damit zehn Tage, nachdem FTX Gläubigerschutz beantragte und Vorstandschef Sam Bankman-Fried zurücktrat - leiden die großen Währungen weiter an den Nachwehen.

So verbilligte sich die größte Kryptowährung Bitcoin seit Sonntag um mehr als drei Prozent und die zweitgrößte Ether sogar um knapp fünf Prozent. "Es dominiert nach wie vor die Furcht, dass weitere Krypto-Unternehmen in den kommenden Tagen und Wochen kollabieren könnten", schrieb Analyst Timo Emden von Emden Research. Doch ist tatsächlich allein FTX für die Krise verantwortlich? Oder liegen die Probleme tiefer?

"Schlimmes Jahr" für die Kryptobranche

Sowohl Bitcoin als auch Ether hatten vor rund einem Jahr ihre Rekordhochs von fast 69.000 Dollar beziehungsweise über 4800 Dollar erreicht. Damals hatten eine weltweit hohe Liquidität, niedrige Zinsen, die Inflation sowie die Corona-Pandemie für eine Rally bei den digitalen Währungen gesorgt. Nicht nur Fans, sondern auch einige Finanzexperten hatten die Devisen schon auf dem Weg in den Mainstream gesehen.

Doch bereits vor der FTX-Pleite war der Bitcoin unter die psychologisch wichtige Marke von 20.000 Dollar gefallen. Mittlerweile beträgt der Wert der ältesten und wichtigsten Kryptowährung weniger als 16.000 Dollar - ein sattes Minus von 75 Prozent im Vergleich zum Rekordniveau. Auch Ether kostet aktuell nur noch knapp über 1000 Dollar.

"Das Jahr hätte für alle Leute aus der Kryptoszene nicht schlimmer sein können", sagt Philipp Sandner, Leiter des Blockchain-Centers an der Frankfurt School of Finance & Management, im Gespräch mit tagesschau.de. Es habe eine negative Überraschung nach der anderen gegeben: Zinserhöhungen durch die Zentralbanken, die gescheiterten Projekte Terra (Luna) und Celsius sowie massenhaft Stellenstreichungen bei Unternehmen aus der Branche.

Kryptoanleger ziehen Geld ab

Zum Überlaufen brachte das Fass nun das Schwergewicht FTX mit dem größten Betrugsskandal in der Krypto-Geschichte. Die Verunsicherung der Anleger ist zum Greifen nah. Allein in der vergangenen Woche zogen sie nach Angaben des Analysehauses Crypto-Quant Bitcoins im Wert von 3,7 Milliarden Dollar von den großen Handelsplattformen ab. Bei Ether waren es demnach 2,5 Milliarden Dollar. Die Marktkapitalisierung des gesamten Sektors sank seit dem Zusammenbruch von 1,05 Billionen US-Dollar auf etwa 830 Milliarden - dem Stand von Dezember 2020. Auch andere Broker und Börsen gerieten daraufhin ins Wanken.

Denn: "Das Schlüsselwort, um den Anstieg und den Fall der Kryptobranche insgesamt zu verstehen, heißt Vertrauen", erklärt Jan Pieter Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung (SAFE) in Frankfurt, gegenüber tagesschau.de. Anders als bei Banken, die über Einlagen und Kredite Geld verdienen, entstünden die Gewinne bei den Plattformen aus einem sogenannten Ponzi-Spiel - ein Modell, in dem die Erträge nicht durch einen wirtschaftlichen Mehrwert, sondern durch den Einstieg neuer Kunden generiert werden.

"Durch das Nachrücken immer neuer Käufer fließt Geld in die Kassen, das an die vorherigen Käufer ausgeschüttet wird. Landläufig nennen wir das Ganze auch Schneeballsystem", so Krahnen. Eine Kryptobörse wie FTX sei kein neutraler Handelsplatz, wo schlicht Käufer und Verkäufer aufeinandertreffen, sondern habe eigene Interessen und gebe die Kundeneinlagen weiter.

Handelsplattformen ohne Geschäftsmodell

"Das Hauptproblem der Kryptowirtschaft ist die Suche nach der Aufgabe. Es gibt kein Geschäftsmodell, das mit Kryptowährungen ernsthafte Erträge generiert", betont Finanzexperte Krahnen. Solange das nicht existiere, gebe es keine Wertstabilität und letztendlich auch keine Zukunft für die Szene. Denn wie jedes Schneeballsystem komme sie irgendwann an eine Grenze, an der keine neuen Kunden nachkommen. Der Grund: Vertrauensverlust und Skepsis gegenüber weiteren Wertsteigerungen.

Laut Fachmann Sandner gibt es allerdings wesentliche Unterschiede innerhalb der Kryptobranche: "Das Wichtigste ist jetzt, dass wir trennen zwischen der Technologie auf der einen Seite und Zocker-Apparaten in Form von einigen Unternehmen auf der anderen." Ein Beispiel für die gut funktionierende Infrastruktur sei das Berliner Start-up BaseNote, das nigerianische Ingenieure in 20 Sekunden ohne nennenswerte Transaktionskosten über die Ethereum-Blockchain bezahle. "Das hat mit FTX rein gar nichts zu tun, sondern hier können tatsächlich grenzüberschreitend Zahlungen getätigt werden, sodass Leute einen Nutzen haben."

"Der Kern dieser Kryptowährungen ist die Blockchain. Das Versprechen, ohne Außenkontrolle glaubwürdig Transaktionen dokumentieren zu können, ist eine großartige und faszinierende technologische Leistung", sagt auch SAFE-Direktor Krahnen. Seiner Meinung nach gebe es aber noch keine wirtschaftlich vernünftige und breite Anwendung. Für echten Zahlungsverkehr funktioniere die Blockchain noch nicht, da sie zu teuer, langsam und komplex sei sowie nur kleine Werte übertragen könne.

Pleite von FTX ein "Weckruf"

Neben dem Bezahlen mit Kryptowährungen bietet die Blockchain, mit der Daten sicher, aktuell und transparent übermittelt werden können, aber auch Möglichkeiten zum Beispiel für Unternehmen aus der Industrie: Sie können auf ineffiziente zwischengeschaltete Instanzen verzichten, Lieferketten schneller steuern und überwachen oder Produktionsbedingungen nachverfolgen. In der breiten Masse ist sie jedoch vor allem durch Bitcoin & Co. bekannt.

"Es ist kein Wunder, dass die Währung als erster Anwendungsfall genommen wird. Es ist die einfachste Art, den Leuten das Geld ohne Gegenleistung aus der Tasche zu ziehen - ein organisierter Diebeszug", betont Krahnen. Mittlerweile hätten glücklicherweise genug Regulierer bemerkt, dass "hier viele Kleinanleger aufs Schärfste beklaut werden". Der Fall FTX mache klar, dass Aufseher schnell für eine schärfere Kontrolle sorgen müssten, sagte etwa Jon Cunliffe, Vizechef der Bank of England (BoE), gestern auf einer Veranstaltung der Warwick Business School.

Ziel sei es, dafür zu sorgen, dass Innovationen im Kryptobereich geschehen könnten, dies aber innerhalb eines Rahmens, in dem mit Risiken angemessen umgegangen werde. Die Pleite von FTX sei ein "Weckruf", meinte jüngst auch EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness gegenüber dem "Handelsblatt". "Wir können solche Sachen nicht einfach weiterlaufen lassen." Bereits Ende Juni hatten sich Vertreter des EU-Parlaments und der Mitgliedsstaaten auf das Regelwerk "Markets in Crypto Assets", kurz Mica, geeinigt. Zwar ist die Richtlinie noch nicht offiziell beschlossen, doch wird sie wohl ab 2024 kommen.

Regulierung könnte Betrugsfälle verhindern

Sandner von der Frankfurt School of Finance & Management begrüßt die geplante Regulierung, doch verweist auch auf die globale Lage: "Man muss schauen, dass die Regulatorik auch in anderen Ländern besser wird - vor allem die USA haben sie zu weit vor sich hergeschoben", sagt der Experte. Dort gebe es noch nicht einmal einen Bitcoin-ETF, wodurch Kleinanleger auf Seiten wie FTX gelockt werden.

Gleichzeitig appelliert Sandner auch an die Verantwortung des einzelnen Investors, der nicht zu von der BaFin lizenzierten Handelsplattformen wie Coinbase oder der Börse Stuttgart geht, sondern stattdessen Plattformen wie FTX nutzt. "Da müssen die Anleger in Zukunft vorsichtiger und skeptischer sein. Sie sollten immer genau darauf achten, wem sie eigentlich ihr Geld anvertrauen und zum Beispiel das Impressum auf den Websites anschauen."

Nach Ansicht von Krahnen wird die Regulierung dafür sorgen, dass das Modell der Kryptobörsen künftig nicht mehr funktioniert. Wenn es wie in der konventionellen Finanzwirtschaft laufen würde, müssten Kreditregeln gefolgt, Cash-Flows offengelegt und Eigenkapital hinterlegt werden, so der Finanzprofessor. "Entweder geht die Kryptowirtschaft also an sich selbst zugrunde, weil gerade zu offensichtlich wird, dass es ein organisierter Kleinanlegerbetrug ist, oder sie wird reguliert."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. November 2022 um 17:00 Uhr.