Illustration mehrerer Souvenir-Münzen verschiedener Kryptowährungen, die in Wasser untergehen.
interview

Finanzmarktexperte zu Kryptowährungen "Ohne Regulierung wie der Wilde Westen"

Stand: 03.01.2023 08:20 Uhr

Der Handel mit Bitcoin, Ethereum und Co. findet weitgehend unreguliert statt. Finanzmarktexperte Jan Pieter Krahnen erklärt, warum mehr Kontrolle wichtig wäre - und welches Potenzial in Kryptowährungen steckt.

tagesschau.de: Herr Krahnen, wie funktioniert der Handel mit Kryptobörsen überhaupt? Wie kann ich mir das als Neuanlegerin vorstellen?

Jan Pieter Krahnen: Als Kryptobörsen bezeichnet man Unternehmen, die Angebot und Nachfrage von und nach Kryptowährungen an einem Ort zusammenführen und dabei laufend Handelspreise ermitteln. Diese Unternehmen werden zwar Börsen genannt, im Unterschied zu regulären Wertpapierbörsen unterliegen sie aber keiner Finanzaufsicht.

Man kann sie deshalb als einen Teil des sogenannten Schattenbankensystems bezeichnen. Das bedeutet, dass die Bedingungen, unter denen der Handel stattfindet, nicht von dritter Seite überwacht werden: Wer kann am Handel teilnehmen, wie werden Preise ermittelt, wie findet die Abwicklung statt, und welche Anforderungen werden an den Betreiber der Börse gestellt? All diese Regularien sind frei wählbar, und sie werden nicht beaufsichtigt.

Jan Pieter Krahnen
Zur Person

Jan Pieter Krahnen ist Gründungsdirektor em. des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE und emeritierter Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt. Seine Forschung befasst sich mit Funktionsproblemen der europäischen Finanzmarktordnung, insbesondere Banken- und Kapitalmarktaufsicht, grüne Transformation und Herausforderungen für die Finanzstabilität.

"Angebote in betrügerischer Absicht"

tagesschau.de: Ein großes Thema, das die Behörden weltweit beschäftigt, ist die Regulierung. Schränken Regulierungsmaßnahmen Kryptobörsen und Anleger ein, oder ist Regulierung notwendig, damit dieser Sektor wachsen kann?

Krahnen: Ohne Regulierung kann es im Kryptosektor zugehen wie seinerzeit im sprichwörtlichen Wilden Westen. Denn es können Produkt- und Handelsangebote in betrügerischer Absicht entstehen, ohne dass dies gleich auffallen muss. Es existieren keine klaren Regeln, die von unabhängigen Fachinstitutionen wie einer Finanzaufsicht kontrolliert werden. Es ist daher nicht überraschend, dass Betrüger, die sich in diesem Sektor etablieren, oft erst erkannt werden, wenn es zu spät ist.

Eine staatliche Regulierung würde dagegen erreichen, dass Anleger den ihnen angebotenen Produkten und Handelsstrukturen wesentlich stärker vertrauen können. Dadurch kann man vermuten, dass einem regulierten Kryptofinanzmarkt eine größere Bedeutung zukommen könnte - er würde eine Förderung erfahren.

Die Kryptobranche kann dann in die traditionellen Finanzmärkte viel mehr als heute integriert werden. Tatsächlich sind Kryptowährungen wie etwa Bitcoin heute rein private Unternehmungen ohne eine vertrauenswürdige Kontrollstruktur. Die Politik muss sich nun gut überlegen, ob sie diese Welt überhaupt umfassend regulieren will - und sie damit gewissermaßen hoffähig macht.

Wie geht seriös?

tagesschau.de: Stichwort: Wo viel Geld ist, sind meist auch Betrüger nicht weit. Woran erkenne ich als Anlegerin seriöse Kryptobörsen?

Krahnen: Seriöse Kryptobörsen wird es nach meiner Meinung erst dann geben können, wenn ihre Arbeitsweise transparent ist und sie von unabhängiger Seite ständig kontrolliert wird - sie also einer externen Aufsichtsarchitektur unterliegt, wie wir sie von regulären Börsen kennen.

Das würde auch bedeuten, dass die beteiligten Akteure bestimmte Regeln wie etwa Transparenz- und Eigenkapitalregeln einhalten müssten. Anforderungen, die heute Banken und anderen Finanzinstituten auferlegt sind, würden dann auch für den Kryptosektor gelten.

"Große Offenlegungs- und Kontrollprobleme"

tagesschau.de: Immer wieder hört man davon, dass Kryptobörsen gehackt werden. Ist mein Geld dort sicher angelegt?

Krahnen: Eine Kryptobörse ist nicht nur unsicher, wenn sie gehackt wird, sondern auch aufgrund ihrer eigenen Verfahrensweise im Betrieb. Wo ist eigentlich das Geld der Kunden aufgehoben, und wer beobachtet, ob es am Ende nicht anders als angekündigt verwendet worden ist?

Aktuell erleben wir zum Beispiel bei der zahlungsunfähigen Handelsplattform FTX, die ja charakteristischerweise viel mehr sein wollte als ledglich eine "Tauschbörse", dass viele Milliarden US-Dollar an Kundengeldern verschwunden oder in andere Unternehmensteile verschoben worden sind.

Die Offenlegungs- und Kontrollprobleme im Zusammenhang mit der Cybersicherheit, aber auch interner Strukturen sind überragend groß. Das gilt wohl im Großen und Ganzen für alle Börsen und Einrichtungen in diesem Segment. Solange es keine gute Kontrolle gibt, wird es auch keine solide und vertrauenswürdige Struktur geben können.

"Kryptowährung bleibt ohne Akteure eine graue Theorie"

tagesschau.de: Welche Schritte sollten Kryptobörsen Richtung Transparenz unternehmen, um das Vertrauen der Anleger zu gewinnen?

Krahnen: Interessanterweise lautet ein oft gehörtes Argument für Investoren in Kryptowährungen, dass hier gerade keine externe Institution zur Kontrolle von Transaktionen gebraucht wird. Das System steuert und kontrolliert sich demnach selbst mithilfe des zugrundeliegenden Algorithmus', der Blockchain.

Diese baut auf dezentrale Kontrolle, daher ist ein wichtiges Argument für diese alternativen Währungen häufig, dass ihre Kontrolle intern gewährleistet ist. Leider gilt das Argument für die an einer Transaktion beteiligten Akteure eben gerade nicht - und ohne Akteure bleibt eine Kryptowährung graue Theorie.

Hat die Kryptoszene ausgedient?

tagesschau.de: Wie viel Potenzial steckt in der Kryptobranche?

Krahnen: Die heutige Kryptoszene wird meiner Meinung nach kaum eine große Zukunft in unserem Finanzsystem haben - einfach, weil die Betrugsmöglichkeiten zu groß, zu einfach sind. Und weil eine eventuelle staatliche Regulierung, wenn sie überhaupt kommt, den Reiz von Dezentralität und Staatsferne nimmt, der Kryptowährungen in den Augen vieler Anleger auszeichnet - und zudem die Transaktionen noch teurer machen wird.

Allerdings gibt es vermutlich eine Zukunft für Kryptowährungen am Rande unseres Finanzsystems, etwa wenn Länder wie Russland diese Instrumente nutzen, um Sanktionen zu umgehen. Für Privatanleger dagegen kann ich dort vor allen Dingen eine große Verlustmöglichkeit erkennen, weil es in dieser Branche zu viele Akteure gibt, die sich auf Kosten der Anleger bereichern wollen.

Das ist in dieser Szene denkbar einfach, und man darf nicht vergessen, dass eine Kryptowährung, die kein gesetzliches Zahlungsmittel wird, immer nur die Eigenschaften eines Schneeballsystems hat und daher nicht dauerhaft werthaltig ist.

Eine größere Zukunft sehe ich dagegen für digitale Finanzprodukte im Allgemeinen und für digitales Zentralbankgeld ganz besonders. Mit ihrer Einführung rechne ich eher früher als später.

Pleitewellen sind ein "Augenöffner"

tagesschau.de: Angenommen, Kryptowährungen werden verboten. Was passiert dann mit den Kryptobörsen? Werden diese dann verstaatlicht und ist dann das Geld der Anleger weg?

Krahnen: Kryptowährungen zu verbieten, ist nicht so einfach, da das System komplett dezentralisiert ist. Für eine staatliche Regulierung gibt es keinen leichten Anknüpfungspunkt. Die Geschehnisse bei der Kryptobörse FTX sind mit Blick auf die Blockchain für viele Investoren ein Augenöffner, die gesagt haben, dass hier absolute Transparenz und Glaubwürdigkeit herrschen. Der Kryptosektor nutzt die Blockchain als Basis, verändert dahinter aber oft Geschäftsprozesse, die zum Diebstahl einladen und als solche nur schwer zu erkennen sind.

Die Blockchain, die all dem zugrunde liegt, ist eine geniale Erfindung. Es handelt sich um ein technisches Buchungssystem, ohne dass eine Kontrollstelle die Richtigkeit der Buchungen überprüfen muss. Das ist eine großartige Leistung. Doch was mit dieser Leistung als wirtschaftliches Produkt angefangen werden kann, ist bis heute ungeklärt.

Das Interview führte Aylin Dülger, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 23. Dezember 2022 um 13:43 Uhr.