Folgen für Chinas Finanzbranche Ansteckungsgefahr durch Immobilienkrise
Die Immobilienkrise in China greift offenbar auf den Finanzsektor über. Ein führender Anbieter von Treuhandfonds, auf die Immobilienentwickler in der Vergangenheit setzten, hat Liquiditätsprobleme.
Die Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt greift offenbar langsam auf die Finanzbranche im Land über. So hat Zhongrong International Trust, einer der führenden Anbieter der in China weit verbreiteten Treuhandfonds, Insidern zufolge gegenüber Investoren "kurzfristige Liquiditätsschwierigkeiten" eingeräumt. Seit Ende Juli hat das Unternehmen zudem die Rückzahlungen auf Dutzende seiner Produkte ausgesetzt, wie ein Teilnehmer des Treffens mit Anlegern berichtete.
Immobilienentwickler setzten aus Geld von Schattenbanken
Zhongrong ist traditionell beträchtlich in den Immobilienmarkt involviert. Manager Wang Qiang hatte zu Wochenbeginn Dutzende von Investoren in der Firmenzentrale in Peking empfangen, nachdem übers Wochenende Unternehmen von ausbleibenden Zahlungen berichtet hatten. Er machte nach Angaben eines Teilnehmers deutlich, dass Zhongrong derzeit nicht die Absicht habe, seinen Rückzahlungsverpflichtungen nachzukommen und räumte ein, dass einige Treuhandfonds mit kurzen Laufzeiten von drei bis zwölf Monaten eingeworbene Gelder dazu verwendet hätten, ältere Produkte zurückzuzahlen.
Verärgerte Investoren kritisierten die Bündelung von Geldern ("Pooling of funds") aus verschiedenen Produkten - eine Praxis, der die Regierung eigentlich seit Jahren Einhalt gebieten will. Wang sagte dem Teilnehmer zufolge, das Unternehmen halte sich an die Regulierung und habe seine Produkte bei den Behörden wie vorgeschrieben registriert. Der Anbieter werde einen Plan für die Rückzahlung der Gelder vorlegen, entweder durch den Verkauf von Kapitalanlagen oder eine Umschuldung.
Auf das Geld aus den Treuhandfonds (Trusts), die zu den unregulierten Schattenbanken gezählt werden, hatten viele Immobilienentwickler bei ihrer fast ungezügelten Expansion in den vergangenen Jahren gebaut. Die Fonds leiten vorwiegend Gelder von Banken in den Immobiliensektor und andere Branchen um.
Immobilienkrise noch längst nicht ausgestanden
Seit den 1990er-Jahren wurde in China in atemberaubender Geschwindigkeit gebaut. Gleichzeitig stiegen die Immobilienpreise dramatisch an. In Metropolen haben sich die Preise für Wohnimmobilien binnen weniger Jahre vervielfacht. Dadurch wurde die Branche zu einer wichtigen Stütze der chinesischen Wirtschaft. Der Immobiliensektor, zu dem neben Bauherren und Vermietern auch Spekulanten gehören, steht für rund ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Weil viele Bauprojekte in der Corona-Krise monatelang nicht vorankamen und die Preise für Immobilien drastisch sanken, steckt die Branche aber seit rund zwei Jahren in der Krise. 2021 hatten die Schieflagen von China Evergrande und Sunac China weltweit Schlagzeilen gemacht. Zuletzt ruhte die Hoffnung auf dem Politbüro der Kommunistischen Partei, das Ende Juli eine baldige Unterstützung für die notleidende Branche in Aussicht gestellt hatte.
Doch passiert ist bisher wenig. Im Gegenteil: Die Krise ist längst nicht ausgestanden. So wurde jüngst bekannt, dass auch Country Garden in einer Finanzklemme steckt. Einer der größten Immobilienentwickler des Landes konnte zwei fällige Zinszahlungen für Kredite nicht leisten und setzte die Notierung von rund einem Dutzend Anleihen aus. Dazu kommt der riesige Schuldenberg von Evergrande, der aus den lange verzögerten Bilanzdaten für die vergangenen zwei Jahre hervorgeht.
Lässt Peking "die Marktkräfte wirken"?
Die Schwierigkeiten bei Zhongrong wecken nun Befürchtungen über Ansteckungseffekte, und der Ruf nach dem Staat werden lauter. "Das hängt alles zusammen, die Ansteckung passiert schon, und das Risiko ist groß, dass es sich weiter ausbreitet", sagte etwa Yan Wang, China-Stratege bei Alpine Macro. "Die Regierung muss schnell und aggressiv handeln, um das Risiko einzudämmen."
Die Investmentbank Barclays erwartet, dass die Regulierungsbehörden eingreifen, wenn sich das Marktumfeld deutlich verschlechtere. In der Vergangenheit habe China solche Probleme mit staatlichen Finanzspritzen in den Griff zu bekommen versucht. Doch da die Investoren in die Trusts vornehmlich wohlhabende Privatleute und Unternehmen seien, könnten die Behörden eher "die Marktkräfte wirken lassen", vermutet Barclays.
Seit 2017 hat die Regierung in Peking den Schattenbanken-Sektor im Sinne einer größeren Finanzstabilität im Visier und versucht, ihn stärker zu regulieren und zu verkleinern. Ende des vergangenen Jahres summierten sich die Kapitalanlagen in den Trusts auf 21 Billionen Yuan (knapp drei Billionen Dollar) - immerhin 20 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. In den Immobiliensektor allein hatten die Trusts 1,2 Billionen Yuan investiert. Das war Minus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Verluste der Anleger könnten Konjunktur weiter schwächen
Die Probleme blieben wahrscheinlich nicht auf Zhongrong beschränkt, sondern dürften sich bald in der ganzen Treuhand-Branche zeigen, gab Arthur Kroeber von Gavekal in New York zu bedenken. Die Regierung werde das in den Griff bekommen, ohne dass die ganze Sache in die Luft fliege. "Aber das ist ein langwieriges, langsam köchelndes Problem."
Die Investmentbank Nomura fürchtet bei einer Pleitewelle der Treuhandfonds Auswirkungen auf die Konjunktur. Wenn einzelne Anleger Verluste erlitten, könne das die Konsumneigung drosseln. Schon jetzt leidet die chinesische Wirtschaft unter schwachen Industrie- und Einzelhandelsdaten sowie steigender Arbeitslosigkeit. Chinas BIP hatte vom ersten auf das zweite Quartal 2023 nur noch um 0,8 Prozent zugelegt.