FAQ zum Anleihenkauf EZB und OMT - was das Karlsruher Urteil bedeutet
Karlsruhe geht auf Kompromiss-Kurs beim juristischen Schlussakt des Dauerkonflikts um den Ankauf von Staatsanleihen. Hintergrund, Inhalt des Urteils und seine Auswirkungen erläutert ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam.
Der Überblick: Was entschied das Bundesverfassungsgericht?
Im Kern ging es um den Vorwurf, die EZB habe 2012 mit der Ankündigung des Ankaufs von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt (OMT-Programm) ihre Befugnisse überschritten.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass die Verfassungsbeschwerden in dieser Sache erfolglos sind. Die deutschen Verfassungsorgane dürfen aber nur unter bestimmten Bedingungen am OMT-Programm teilnehmen. Die wichtigsten Punkte:
- Der OMT-Beschluss überschreitet zumindest nicht offensichtlich die Befugnisse der EZB, zumindest in der Form, wie der Europäische Gerichtshof den Beschluss interpretiert und eingegrenzt hat.
- Karlsruhe übernimmt die vom EuGH aufgestellten Bedingungen für einen Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB.
- Nur unter diesen Bedingungen dürfte sich die Bundesbank sich am OMT-Programm beteiligen. Bundestag und Bundesregierung haben zudem die Pflicht zu beobachten, ob die Bedingungen künftig eingehalten werden und Risiken für den Bundeshaushalt bestehen.
- Wenn der Vorwurf massiver Kompetenzverletzungen oder ein Eingriff in die Identität des Grundgesetzes im Raum steht, haben Bürger auch bei EU-Themen ein Klagerecht in Karlsruhe. Die inhaltliche Kontrolle in solchen Fällen übt Karlsruhe aber zurückhaltend und grundsätzlich europafreundlich aus. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei nicht die Kompetenz, der EZB etwas direkt zu untersagen. Es kann nur die deutschen Staatsorgane in die Pflicht nehmen.
Der Inhalt des Urteils lässt sich aber nur auf Basis der langen Vorgeschichte richtig verstehen.
Was genau war der Anlass des Verfahrens?
Dafür muss man sich in den "Krisensommer" des Jahres 2012 zurückversetzen. Die Euro-Schuldenkrise war auf dem Höhepunkt. Im Juli 2012 hatte EZB-Präsident Mario Draghi angekündigt, seine Bank werde alles tun, was nötig ist, um die europäische Schuldenkrise zu lösen ("Whatever it takes"). Am 6. September 2012 trat Draghi dann in Frankfurt vor die Presse. Er kündigte ein Programm mit Namen "Outright Monetary Transactions" (OMT) an. Der Inhalt: Die EZB werde im Notfall auf dem sogenannten Sekundärmarkt, also auf den Finanzmärkten, in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkaufen. So werde an den Anleihemärkten den Spekulanten der Boden entzogen. Die Folge: Sinkende Zinsen, für die sich die Krisenstatten frisches Geld besorgen könnten. Der Ankauf könne in unbegrenzter Höhe stattfinden, so Draghi damals. Die Besonderheit: Bislang wurde das OMT-Programm von der EZB nicht in die Tat umgesetzt. Allein die Ankündigung reichte aus, um die Finanzmärkte zu beruhigen.
In welchem Kontext fand Draghis Ankündigung 2012 statt?
Im Mittelpunkt stand 2012 zunächst die Gründung des dauerhaften europäischen Rettungsschirms ESM. Gegen die deutsche Beteiligung am ESM wurden im Juni 2012 Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Nervosität war groß. Würde an Karlsruhe die Eurorettung scheitern, weil Deutschland als großes Geberland nicht mitmachen darf? Für den 12. September war die Entscheidung im Eilverfahren angekündigt. Die Sorge war unbegründet. Doch wenige Tage zuvor, am 6. September 2012, kam dann die Pressekonferenz Draghis zum umstrittenen OMT-Programm. Da konnte zumindest der Eindruck entstehen: Egal, was ihr zum ESM sagen werdet, liebe deutschen Richter, wir jedenfalls werden in unbegrenzter Höhe auf den Märkten eingreifen.
Die juristischen Etappen
- "Karlsruhe 1": 2012 wurden beim Bundesverfassungsgericht zahlreiche Klagen gegen die Ankündigung des OMT-Programms durch die EZB eingereicht, und dass die deutschen Staatsorgane nichts dagegen unternommen haben. Das Bundesverfassungsgericht sagte: Ja, die EZB überschreite ihre Kompetenzen, weil sie sich nicht auf reine Währungspolitik beschränke, sondern unzulässige Wirtschaftspolitik betreibe. Karlsruhe legte den Fall 2014 dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) vor, weil es um die Auslegung von EU-Recht geht und dafür der EuGH zuständig ist.
- Luxemburg: Der EuGH sah die Sache anders. 2015 urteilte er, das OMT-Programm der EZB verstoße nicht gegen EU-Recht. Die EZB bewege sich im Rahmen ihrer Kompetenzen, müsse aber bei der Umsetzung des Programms gewissen Grenzen beachten. Das Verfahren geht planmäßig nach Karlsruhe zurück.
- "Karlsruhe 2": Das Bundesverfassungsgericht hat wie vorgesehen abschließend entschieden, wie es mit der Antwort aus Luxemburg umgeht. Das Prinzip dabei lautet, dass ein nationales Gericht an die Auslegung des EuGH gebunden ist. Dass sich ein nationales Gericht darüber hinwegsetzt, wäre die Ausnahme.
Wenn die Ankündigung der EZB 2012 doch gewirkt hat - wo liegt dann das Problem?
"Was auch immer nötig ist" - dieser Satz blieb öffentlich hängen. Draghis Aussage hatte noch einen Anhang, der allerdings unterging: "Im Rahmen unseres Mandates." Hier setzt der rechtliche Streit an.
Die Grundkonstellation des Falles gibt es bei Streit ums EU-Recht immer wieder. Nach dem Grundgesetz darf Deutschland Befugnisse, sogenannte Hoheitsrechte, auf die EU übertragen. Die andere Seite der Medaille ist dann aber: EU-Organe dürfen sich dann nur in dem Rahmen bewegen, in dem ihnen die Hoheitsrechte übertragen wurden. Im Bereich der Geldpolitik geht es um die Übertragung der Befugnisse von der Bundesbank auf die Europäische Zentralbank. Nach dem Grundgesetz ist die Übertragung zulässig, wenn die EZB unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Der Gegenpol zur Unabhängigkeit ist gerade, dass die EZB nur innerhalb ihrer Kompetenzen handeln darf.
Zahlreiche deutsche Kläger und das Bundesverfassungsgericht monierten, dass die EZB mit dem OMT-Programm ihre Kompetenzen überschreite. Nicht "alles, was nötig ist" also, sondern "alles, was Recht ist", müsse die Leitlinie sein.
- Nach EU-Recht ist Aufgabe der EZB durch die Währungspolitik, eine stabile Währung mit stabilen Preisen zu gewährleisten. Nicht erlaubt ist ihr dagegen: Wirtschaftspolitik. Die ist vorrangig Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Die Frage: In welchen Bereich fällt der Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt? Hier deutet sich schon eine Schwierigkeit an. Kann man die Bereiche überhaupt genau abgrenzen? Und wie soll ein Gericht das machen?
- Das EU-Recht regelt für die EZB ein "Verbot monetärer Staatsfinanzierung". Einfacher gesagt: Die EZB darf nicht die Staatshaushalte überschuldeter Mitgliedsstaaten retten oder zu sanieren.
Was hat der Streit mit dem einzelnen Bürger zu tun?
Auf den zweiten Blick eine ganze Menge. Denn es geht um nichts weniger als Grundfragen der Demokratie. Dazu muss man sich nochmal die Ausgangssituation bewusst machen. Deutschland hat (durch seine Volksvertreter) eine Reihe von Kompetenzen an die EU übertragen, darunter die Aufgaben der Notenbank an die EZB. Sollte die EU-Institution aber ihre Kompetenzen überschreiten, hat der deutsche Bürger dem - vereinfacht gesagt - nicht zugestimmt. Der Bürger hat grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass er keiner öffentlichen Gewalt gegenübersteht, die er nicht (zumindest indirekt) legitimiert hat. Für die finanziellen Risiken der EZB haftet ganz am Ende auch der deutsche Staatshaushalt.
Warum können Bürger vor einem deutschen Gericht gegen die EZB klagen?
Wenn es um den Vorwurf geht, dass EU-Organe offensichtlich und strukturell bedeutsam ihre Befugnisse überschreiten, hat das Bundesverfassungsgericht für den Bürger ein Klagerecht eröffnet. Der Bürger habe ein Recht darauf, dass übertragene Hoheitsrechte nur im vorgesehen Rahmen ausgeübt werden. Andernfalls werde sein Wahlrecht "ausgehöhlt", seine Stimme sei nichts wert, so die Richter. Das Wahlrecht des Bürgers ist in bestimmten Situationen also eine Art Türöffner in Karlsruhe. Einen direkten Weg des Bürgers zum EuGH gibt es in solchen Fällen übrigens nicht. Zum EuGH kommt man als einzelner Bürger nur über den Umweg der nationalen Gerichte, die eine Frage vorlegen.
Was hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Vorlage-Beschluss moniert?
Das Bundesverfassungsgericht ist den Klägern in seinem Beschluss vom 7. Februar 2014 in weiten Teilen gefolgt. Es sprächen gewichtige Gründe dafür, dass die EZB ihr Mandat der Geldpolitik mit dem OMT-Programm überschreitet. Ein Indiz sei, dass die EZB nur Staatsanleihen einzelner Mitgliedsstaaten ankaufen würde. Geldpolitik betreffe typischerweise alle Staaten gleich. Außerdem sehen sie folgende Gefahr: Hilfsprogramme wie der Europäische Rettungsschirm ESM seien der Höhe nach begrenzt, außerdem hätten die Parlamente hier Kontrollfunktionen. Bei einem Ankauf von Staatsanleihen durch die unabhängige EZB könnten diese Kontrollmechanismen umgangen werden. Zweiter Kritikpunkt: Das OMT-Programm verstoße gegen den Grundsatz der EU-Verträge, dass die EZB keine Staatsfinanzierung betreiben dürfe.
Wichtig ist dabei, auch für den endgültigen Ausgang: Karlsruhe lässt ein Hintertürchen offen. Das Programm wäre dann nicht zu beanstanden, so die Richter, wenn man gewisse Grenzen einziehen würde. Als Beispiel nennt das Gericht: den Ausschluss eines Schuldenschnitts, einen Ankauf von Staatsanleihen nur in begrenzter Höhe, und dass es keinen Eingriff in den Marktpreis der Staatsanleihen geben dürfe.
Warum hatte Karlsruhe das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt?
Grundsätzlich gilt folgende Aufgabenteilung: Das Bundesverfassungsgericht prüft deutsche Rechtsakte am Maßstab des Grundgesetzes. Der Europäische Gerichtshof prüft europäische Rechtsakte am Maßstab der EU-Verträge. Allerdings hat Karlsruhe sich immer die abschließende Kontrolle vorbehalten, ob Institutionen der EU ihre Befugnisse in einzelnen Fällen deutlich überschreiten. Im Juristenjargon heißt das dann, sie könnten "ultra vires" (außerhalb ihrer Befugnis) handeln. Dann dürften diese Rechtsakte zumindest in Deutschland keine Wirkung entfalten. Um so eine Prüfung geht es hier. Würde die EZB ihr Mandat evident überschreiten, wäre das nicht mehr von den Kompetenzen gedeckt, die Deutschland auf die EU-Institutionen übertragen hat. Allerdings hat Karlsruhe auch immer gesagt: sollte man einmal zu dem Ergebnis "ultra vires" kommen, würde man die Rechtsfragen dem EuGH zur Prüfung vorlegen. Das ist nun erstmals in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts passiert. An anderen Gerichten, etwa dem Bundesgerichtshof, sind solche Vorlagen seit vielen Jahren Gang und Gäbe. Ebenso an anderen Verfassungsgerichten der EU-Staaten.
Was hatte der EuGH entschieden?
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 16.6.2015 auf die Karlsruher Fragen geantwortet, dass das angekündigte OMT-Programm aus seiner Sicht nicht gegen Europarecht verstößt.
- Zunächst betont der EuGH, dass auch die EZB einer gerichtlichen Kontrolle unterliege. Das war im Verfahren von anderen Mitgliedsstaaten durchaus bestritten worden.
- Er sortiert das OMT-Programm aber in die Schublade "zulässige Währungspolitik" ein.
- Das Verbot der Staatsfinanzierung ist für den EuGH ein zentraler Grundsatz, der auch keinesfalls umgangen werden dürfe. Die Garantien im Kleingedruckten des OMT-Programms der EZB würden aber sicherstellen, dass es im konkreten Fall nicht zu einem Verstoß gegen das Verbot komme.
Warum hat der EuGH das OMT-Programm als Geldpolitik eingeordnet?
Das Gericht räumt der EZB zunächst einen weiten Ermessensspielraum ein. Ein wichtiges Kriterium für den EuGH ist das von der EZB angegebene Ziel ihres Programms. Und das lautet: Preisstabilität gewährleisten, in diesem Fall bei den Zinsen von Staatsanleihen. Das Gericht scheint dabei mehr Gewicht auf die von der EZB selbst definierten Ziele zu legen als auf die möglichen Effekte. Dass das Programm auch geeignet ist, die Eurozone wirtschaftlich zu stabilisieren, sei in diesem Fall unschädlich. Solche mittelbaren Auswirkungen reichten nicht aus, um aus einer geldpolitischen eine wirtschaftspolitische Maßnahme zu machen.
Hat der EuGH der EZB überhaupt keine Grenzen gesetzt?
Doch, mehrere. Die EZB habe die Pflicht, ihre Entscheidungen zu begründen. Das Verbot für die EZB, Haushalte von Krisenstaaten zu finanzieren, scheint für die Richter Bedeutung zu haben. Dieses Verbot dürfe nicht umgangen werden. Die Beteiligten dürften sich nicht zu sicher sein, dass die EZB am Ende eingreift. Deshalb müsse es zum Beispiel eine Mindestfrist zwischen der Ausgabe der Anleihe und dem Ankauf durch die EZB geben. Auch dürfe die EZB ihre Ankäufe nicht vorher ankündigen. Dahinter steht der Gedanke, dass die EZB den Krisenstaaten nicht den Anreiz nehmen soll, eine "gesunde Haushaltspolitik" zu verfolgen. Solche und andere Garantien hat die EZB aber bereits in ihr OMT-Programm aufgenommen.
Was waren die Unterschiede zwischen EuGH-Urteil und Vorlagebeschluss aus Karlsruhe?
Klar ist, dass Karlsruhe und Luxemburg in der zentralen Fragen "Geldpolitik ja oder nein?" unterschiedlicher Ansicht sind. Bei dieser Frage merkt man auch eine unterschiedliche Herangehensweise der Gerichte. Der EuGH gewährt der EZB einen größeren Ermessenspielraum und hält sich bei der Kontrolle stärker zurück. Das Verbot der Staatsfinanzierung halten beide Gerichte für sehr wichtig. Sie fordern daher beide gewisse Grenzen bzw. Voraussetzungen für das OMT-Programm, die sich zum Teil überschneiden bzw. ähnlich sind, zum Teil auch nicht. Karlsruhe musste nun abschließend entscheiden, wie es mit der Antwort aus Luxemburg umgeht. Grundsätzlich ist ein nationales Gericht an die Antworten des EuGH gebunden. Karlsruhe hatte sich aber immer vorbehalten, auch den EuGH darauf zu überprüfen, ob er zu weit gegangen ist, also "ultra vires" gehandelt hat. Das wird oft auch als Drohung mit dem "letzten Wort" bezeichnet.
Wie ist Karlsruhe nun mit dem EuGH-Urteil umgegangen?
Karlsruhe hat das Urteil aus Luxemburg akzeptiert. Die Richter betonen, dass die sie rechtlich an die Auslegung des EuGH gebunden sind, dass es sich beim OMT-Programm um erlaubte Währungspolitik handelt. Auch wenn Karlsruhe deutlich betont, dass man weiterhin anderer Ansicht sei. Vertretbar sei die Auslegung der Luxemburger Richter.
Besonders wichtig aus Karlsruher Sicht ist, dass der EuGH das OMT-Programm nicht schrankenlos passieren ließ. Die Luxemburger Bedingungen seien zwar nicht identisch mit denen aus Karlsruhe geforderten, aber zumindest ähnlich, quasi "in anderem Gewand". Nach dem Motto: Unser Ziel war es, die EZB rechtlich einzugrenzen. So weit liegen beide Gerichte bei diesem Ziel gar nicht auseinander. Maßgebend für das Gericht ist also der OMT-Beschluss, nicht wie ihn Draghi im September 2012 in Umrissen verkündet hat. Maßgebend ist der Beschluss mitsamt den vom EuGH gemachten Vorgaben für seine Umsetzung.
Zur Wirkung des Karlsruher Urteils muss man wissen: Es ist klar, dass das Bundesverfassungsgericht der EZB nichts direkt untersagen kann. Dazu hat ein nationales Gericht nicht die Befugnis. Die Bedingungen des EuGH für das OMT-Programm hat Karlsruhe aber quasi übernommen und als Maßgabe für die deutschen Institutionen festgelegt, vor allem für die Bundesbank.
Unter welchen Bedingungen darf die Bundesbank am OMT-Programm der EZB teilnehmen?
Leitlinie für die Bedingungen ist, dass sich Krisenstaaten nicht zu sicher sein sollen, dass ihnen geholfen wird, und dass die finanzielle Dimension nicht unbegrenzt ist. Beispiele für die Bedingungen sind:
- Die EZB darf die Ankäufe von Staatsanleihen nicht vorher ankündigen.
- Das Volumen muss (zumindest intern) im Voraus begrenzt sein.
- Zwischen der Ausgabe der Staatsanleihen und dem Ankauf muss eine Mindestfrist liegen.
- Die EZB darf nur Anleihen von Staaten kaufen, die noch Zugang zum Anleihemarkt haben.
Ist eine Anwendung des OMT-Programms also weiterhin möglich?
Ja. Denn das Bundesverfassungsgericht konnte ja mangels Befugnis dazu nicht den Beschluss selbst für unwirksam erklären, und der EuGH hat es nicht gemacht. Die EZB könnte den Beschluss also in die Tat umsetzen. Sollte sie dabei die Vorgaben des EuGH missachten, könnte ein Mitgliedsstaat die EZB vor dem EuGH verklagen. Die Bundesbank muss nach den heutigen Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts prüfen, ob sie an einer möglichen Umsetzung des Programms mitwirken dürfte.
Hat das Bundesverfassungsgericht jetzt gegen den EuGH "verloren"?
Zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH hat es schon immer ein Spannungsverhältnis gegeben. Dass sich ein nationales Gericht ein "letztes Wort" vorbehält, oder davon spricht, dass ein Urteil aus Luxemburg zumindest "nicht völlig unvertretbar" ist, kam und kommt in Luxemburg nicht immer gut an. Trotzdem weisen beide Gerichte stets darauf hin, wie wichtig das "Kooperationsverhältnis" zwischen beiden Institutionen ist. "Kooperation" könnte für den vorliegenden Fall aber nicht ganz der treffende Begriff sein. Denn der Vorlagebeschluss aus Karlsruhe klang eher wie eine Herausforderung an Luxemburg: "So sehen wir den Fall, geht Ihr da mit?" Die Antwort aus Luxemburg zum Stichwort "Währungspolitik" hat Karlsruhe nicht überzeugt, das machen die Richterinnen und Richter sehr deutlich. Auch die geforderten Grenzen fürs OMT-Programm sind nicht komplett identisch. Karlsruhe musste also inhaltliche Abstriche machen.
Ein "Ringen ums Recht" - dieser Begriff von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle trifft das Zusammenspiel vielleicht besser. Am Ende ist es ein Zeichen von Normalität, dass die üblichen Regeln eingehalten wurden: Luxemburg legt die EU-Verträge verbindlich aus, das nationale Gericht legt Fragen dazu vor und ist an die Antwort gebunden. Das Bundesverfassungsgericht verzichtet zwar ausdrücklich nicht auf die sogenannte "ultra vires-Kontrolle", also eine Art "letztes Wort". Es betont aber gleichzeitig, dass man europafreundlich sehr zurückhaltend mit dieser Möglichkeit umgehen wird.
Was ist der "rote Faden" in den Karlsruher Urteilen zum Thema Europa?
Als roter Faden in Karlsruher Urteilen zum Thema EU lässt sich weiterhin erkennen: Das Gericht hat noch nie ausdrücklich Nein zu Europa gesagt; im Gegenteil, es betont oft die Europafreundlichkeit des Grundgesetzes. Karlsruhe ist wichtig, juristisch im Spiel zu bleiben. Durch die vielen "Ja, aber-Urteile" hat man zumindest erreicht, dass an vielen Stellen (z.B. beim Euro-Rettungsschirm) rechtliche Sicherungen eingebaut wurden, die Grundrechte deutscher Bürger schützen sollen.
Wenn Karlsruhe der EZB nichts direkt verbieten kann - was hat der Rechtsstreit dann gebracht?
Dazu bietet sich ein Vergleich der Situation vor und nach dem Verfahren an. Vorher war zumindest umstritten, ob die EZB überhaupt einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Das steht nun fest. Im konkreten Fall des OMT-Programms hat der EuGH Bedingungen gefordert. Nur über den Umweg der nationalen Gerichte war das überhaupt möglich, denn ein direktes Klagerecht des Bürgers in Luxemburg gibt es für diesen Fall nicht. Das Signal lautet insgesamt: Die Unabhängigkeit der EZB bedeutet nicht, dass sie im rechtsfreien Raum arbeitet. Klar ist aber auch: In der Praxis wird die EZB weiterhin einen großen Ermessenspielraum haben, den der EuGH ihr zugestanden hat. Die Gerichte werden sich nicht an ihre Stelle setzen und über die richtige Währungspolitik entscheiden.
Die EZB hat doch im Januar 2015 erneut angekündigt, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen. Welche Unterschiede gibt es zwischen diesem und dem OMT-Programm?
Das EZB-Programm "Quantitive Easing" vom 22. Januar 2015 hat das Ziel, bis Ende September 2016 Staatsanleihen aller Euro-Staaten im Wert von bis zu einer Billion Euro anzukaufen. Es ist wichtig, dieses Programm vom OMT-Beschluss aus dem Jahr 2012 zu trennen, um den es im aktuellen Klageverfahren geht. Ein wesentlicher Unterschied liegt in einem unterschiedlichen Ziel, das die EZB definiert. Bei "Quantitive Easing" soll es laut EZB darum gehen, eine Deflation zu vermeiden. Darum fällt es zumindest leichter, das Programm als erlaubte Geldpolitik zu qualifizieren. Anderslautende Vorwürfe und Kritik gibt es trotzdem zuhauf. Mehrere Verfassungsbeschwerden sind bereits eingegangen, deren Bearbeitung aber noch dauern wird. Völlig unabhängig voneinander sind beide Blöcke aber auch nicht. Es spricht viel dafür, dass die EZB bei "Quantitive Easing" schon einige der Kritikpunkte aus dem langen Rechtsstreit rund um OMT berücksichtigt hat, um rechtlich auf Nummer sicher zu gehen.