Fragen und Antworten zum Euro-Rettungsstreit Ein Fall von Staatsfinanzierung?
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt einmal mehr über die Euro-Rettungspolitik - im Hauptsacheverfahren unter anderem über die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Prozess.
Warum ist die Euro-Rettung "schon wieder" Thema in Karlsruhe?
Am 12. September 2012 schaute die ganze Welt nach Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht ließ damals die deutsche Beteiligung am Rettungsschirm ESM passieren - wenn Deutschland verbindliche Vorbehalte einbauen lässt, dass die Höchstsumme der deutschen Haftung von 190 Milliarden nicht automatisch erhöht werden kann. All dies spielte sich im sogenannten "Eilverfahren" ab. Das verkürzte Verfahren vom September hat in diesem Fall ausnahmsweise schon die meisten rechtlichen Fragen zum ESM geklärt. Dennoch blieben einige für das so genannte "Hauptsacheverfahren" übrig, das jetzt ansteht. Vor allem aber ist inzwischen ein wichtiger Komplex hinzugekommen: Kurz vor dem Karlsruher Urteil Anfang September hatte die Europäische Zentralbank angekündigt, in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen von Krisenstaaten auf dem Sekundärmarkt anzukaufen. Die ESM-Kläger haben ihre Anträge nun entsprechend erweitert.
Worum geht es diesmal?
Um den "Rest" des ESM-Verfahrens und den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Am 6. September 2012 war EZB-Präsident Draghi in Frankfurt vor die Presse getreten. Er kündigte ein Programm mit Namen "Outright Monetary Transactions" (OMT) an. Der Inhalt: Die EZB werde auf dem sogenannten Sekundärmarkt, also auf den Finanzmärkten, Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkaufen. Dazu druckt sie Geld in der nötigen Menge. So werde an den Anleihemärkten den Spekulanten der Boden entzogen. Die Folge: sinkende Zinsen, für die sich die Krisenstaaten frisches Geld besorgen können. Als Gegenleistung müssten sich die Staaten unter den Rettungsschirm ESM begeben (was mit Bedingungen verknüpft ist, zum Beispiel bestimmte Reformen anzugehen). Der Ankauf könne in unbegrenzter Höhe stattfinden, so Draghi.
Da konnte so kurz vor dem Karlsruher Urteil möglicherweise der Eindruck entstehen: Egal, welche Grenzen Ihr beim ESM einfordert, liebe deutsche Richter, wir jedenfalls werden in unbegrenzter Höhe auf den Märkten eingreifen. Ob sich all dies im Rahmen des Mandates der EZB abspielt, ist eine zentrale Frage des aktuellen Verfahrens.
Was sind die rechtlichen Fragen beim "Ankauf von Staatsanleihen" durch die EZB?
Laut Grundgesetz (Artikel 88 Absatz 2) darf Deutschland die Aufgaben der Notenbank der Europäischen Zentralbank übertragen, die unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Die EZB ist unabhängig, die Regierungen haben also keinen direkten Einfluss auf ihr Handeln. Die Unabhängigkeit war auch immer eine zentrale deutsche Forderung. Aber natürlich ist sie an die Aufgaben gebunden, die ihr die europäischen Verträge zuweisen. Rechtlich geht es daher um die Frage, ob die EZB ihre Kompetenzen überschreitet, also etwas tut, für das sie nach den Europäischen Verträgen gar nicht zuständig ist. Aufgabe der EZB ist die Geldpolitik, mit dem Ziel, eine stabile Währung mit stabilen Preisen zu gewährleisten. Nicht erlaubt ist dagegen eine Staatsfinanzierung durch die EZB, also die Finanzierung der Haushalte einzelner (überschuldeter) Staaten. Die Frage ist nun: Worunter fällt der Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt?
Hat das Gericht dazu in der Eilentscheidung schon etwas angedeutet?
In der Eilentscheidung vom 12. September 2012 sagte das Gericht, ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die EZB, "der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedsstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt". Das ist allerdings nur die abstrakte Definition. Ob das konkrete Programm auch darunter fällt, ließen die Richter ausdrücklich für das Hauptsacheverfahren offen.
Was sind die Argumente von EZB und ihren Kritikern?
Die EZB-Vertreter erklären, sie reagierten nur auf das gestörte Gleichgewicht an den Anleihemärkten in Form von extrem hohen Zinsen für Krisenstaaten (die diese für frisches Geld ausgeben müssen). Man mache also Geldpolitik. Die Kläger und Kritiker meinen dagegen: Mit dem Ankauf auf dem Sekundärmarkt umgehe die EZB das Verbot der Staatsfinanzierung, es werde eben indirekt frisches Geld zu günstigen Zinsen verschafft. Hier wird spannend, wie kritisch die Richterinnen und Richter zu diesem Problem nachfragen werden.
Was hat der ganze Komplex mit den Bürgerinnen und Bürgern zu tun?
Mit den Staatsanleihen übernimmt die EZB Risiken. Mögliche Verluste gehen in ihre Bilanz ein. Deutschland hat hier einen Haftungsanteil von 27 Prozent. Die Kläger machen daher geltend, dass es um deutsches Steuergeld geht, über dessen Verwendung die deutsche Volksvertretung Bundestag aber nicht entschieden hat. Die unabhängige Institution EZB müsse sich für die Ankäufe auch nicht vor den nationalen Parlamenten rechtfertigen. Die Kläger kritisieren, hier kapituliere die Demokratie vor den Märkten.
Wieso kann Karlsruhe das Handeln einer europäischen Institution wie der EZB überprüfen?
Die Konstellation bei den aktuellen Klagen ist außergewöhnlich. Grundsätzlich gilt die Aufgabenteilung: Das Bundesverfassungsgericht prüft deutsche Rechtsakte am Maßstab des Grundgesetzes und der Europäische Gerichtshof (Luxemburg) prüft europäische Rechtsakte am Maßstab der europäischen Verträge. Allerdings hat Karlsruhe sich immer die mögliche Kontrolle darüber vorbehalten, ob Institutionen der EU ihre Kompetenzen in einzelnen Fällen deutlich überschreiten und damit den Rahmen sprengen, in dem Deutschland laut Grundgesetz Aufgaben nach Europa übertragen hat. Im Juristenjargon heißt das dann, sie könnten "ultra vires" handeln.
Um so eine Prüfung geht es hier bei der Frage, ob die EZB entgegen ihrem Auftrag Staaten finanziert hat. Würde sie ihren Auftrag evident überschreiten, wäre das nicht mehr von den Kompetenzübertragungen durch das Grundgesetzt gedeckt. Das wäre dann auch ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Allerdings hat Karlsruhe in anderen Urteilen angedeutet: sollte man einmal zu dem Ergebnis "ultra vires" kommen, würde man die Rechtsfragen dem EuGH zur Prüfung vorlegen, damit das eigentlich dafür zuständige Gericht die Fragen behandeln kann. Zum "Schwur" käme es erst dann, wenn Luxemburg die Fragen nicht im Karlsruher Sinne beantworten würde.
Hat Karlsruhe die rechtlichen Mittel, der EZB direkt etwas untersagen?
Nein. Dafür wäre der EuGH zuständig. Karlsruhe hätte die Möglichkeit, einen Rechtsverstoß feststellen und die deutschen Akteure (Bundestag, Bundesregierung, Bundesbank) zu verpflichten, auf einen Stopp solcher Programme möglichst intensiv hinzuwirken. Schon die Feststellung eines Rechtsverstoßes wäre allerdings ein deutliches Signal. In manchen Medien wurde berichtet, Karlsruhe könnte am Ende Deutschland zum Austritt aus dem Euro verpflichten. Dabei bezog man sich auf ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters di Fabio. Dieser hatte verschiedene Szenarien bis ganz zum Ende durchgespielt. Unter den Tisch fiel bei der Berichterstattung aber bisweilen, dass di Fabio sehr deutlich gesagt hat, niemand könne sich einen solchen Schritt durch das im Prinzip stets europafreundliche Gericht vorstellen. Hier hat das Gericht immer betont, dass seine Aufgabe ist, die Einhaltung des Rechts zu kontrollieren, aber keine europapolitischen Grundsatzentscheidungen zu treffen.
Kann man etwas über den Ausgang des Verfahrens sagen?
In den Fragen zum ESM wird es definitiv keinen Richtungswechsel zu dessen Zulässigkeit geben, das Gericht wird einige Fragen der Beteiligung des Bundestages nochmal genauer unter die Lupe nehmen. In Sachen EZB sind Prognosen schwierig. Erstmals überprüft Karlsruhe in dieser Form das Handeln einer Europäischen Institution. Beim ESM-Eilverfahren hatte Karlsruhe schon ein Jahr zuvor den vorläufigen Rettungsschirm EFSF gebilligt und Grenzen gezogen, an denen man sich etwa orientieren konnte. Hier ist es Neuland. In anderen Entscheidungen hat Karlsruhe gesagt, wenn man ein Handeln eines EU-Organs als groben Kompetenzverstoß ansehe (also "ultra vires"), würde man die Sache dem EuGH vorlegen und dann dessen Antwort abwarten. Betont haben die Richter stets, dass sie nicht entscheiden, wie man am besten den Euro rettet, sondern ob das Recht eingehalten wurde. Bis zu einem Urteil könnte rund ein halbes Jahr vergehen.