Kolumne Euroschau Unterschätzte Krise unterm Eiffelturm
Im Zentrum der Schuldenkrise stand bisher Südeuropa. Angesichts mieser Wirtschaftsdaten aus Paris wachsen aber die Sorgen, dass auch Frankreich in den Abwärtsstrudel gezogen wird. Klaus-Rainer Jackisch über die Probleme des zweitwichtigsten Eurostaates.
Der Ofen ist aus: Monatelang wurde um den Stahlstandort Florange im Nordosten Frankreichs gerungen. Als der indische Stahlriese ArcelorMittal vor wenigen Monaten die Hochöfen abstellte, schrie die Grande Nation auf: Denn Ministerpräsident François Hollande hatte versprochen, den Standort zu retten und Frankreich zu neuer wirtschaftlicher Größe zu führen.
Die Realität sieht anders aus: Ein Großteil der Belegschaft verliert den Job, Frankreichs Wirtschaft ist in einer desolaten Lage. Pfiffe und Buhrufe statt Schulterklopfen gab es zur Begrüßung, als Hollande vor wenigen Tagen wieder in Florange vorbeischaute.
Wenn der EZB-Rat diese Woche in Paris tagt, hat man die schwierige Wirtschaftslage im Blick. Frankreich ist zweitwichtigstes Mitgliedsland des Euroraums. Zwar konnte die Banque de France melden, die Rezession sei vorerst überwunden. Mehr als eine rote Null beim Wirtschaftswachstum dürfte am Jahresende aber nicht herauskommen.
Zu hohe Produktionskosten, zu hoher Schuldenberg
Seit Jahren leidet das Land an deutlichen Rückgängen seines Exports. Weil die Produktionskosten zu hoch sind, verliert Frankreich Anteile am Weltmarkt. Gleichzeitig ist die Haushaltslage desolat und die Verschuldung mit fast 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erschütternd hoch. Dabei ist die Steuerlast eine der höchsten im Euroraum.
Frankreich sei "in keiner komfortablen Lage", beschrieb Christian Noyer, Chef der französischen Notenbank, die Lage diplomatisch, aber treffend. Alle Ratingagenturen entzogen Paris die Bonitäts-Bestnote. Denn bei Haushaltssanierung und Restrukturierung bewegt sich in Frankreich fast nichts. Aufatmen deshalb in Paris, als die Brüsseler EU-Kommission dem Land kürzlich zwei Jahre mehr Zeit zur Konsolidierung seines Haushaltes einräumte.
Bislang hat das verkannte Sorgenkind Frankreich im Euroraum kaum Aufmerksamkeit erheischt. Der EZB-Rat hofft, dass das so bleibt. Denn mit Italien macht schon ein anderes Schwergewicht große Sorgen: Die Regierungskrise dort hat Potenzial, die Euro-Schuldenkrise wieder anzufachen. Das zeigt sich an den Anleihemärkten: Dort notieren die Renditen für italienische Papiere seit einigen Tagen höher als für spanische! Die notorisch hohe Verschuldung und die Reformunfähigkeit des Landes kann Italien schon bald in so große Schwierigkeiten bringen, dass die EZB einspringen muss. Die EZB müsste römische Staats-Schuldscheine kaufen.
Krise wandelt sich
All das zeigt: Die Euro-Schuldenkrise ist noch lange nicht vorbei. Sie vollzieht derzeit vielmehr einen Wandlungsprozess: Während die südlichen Krisenstaaten Spanien, Portugal oder Griechenland dahinläppern, rücken die Kernländer Italien und Frankreich in den Mittelpunkt. Deren Sprengkraft ist freilich viel gewaltiger.
Die Lunte glimmt schon in Italien: Blufft die EZB nur oder setzt sie das angekündigte Kaufprogramm tatsächlich um? Hat sie überhaupt freie Hand? Oder wird das Karlsruher Bundesverfassungsgericht bis dahin die Freiheit der EZB eingeschränkt haben? Wenn dies der Fall ist, dürfte der deutsche Steuerzahler ein Rettungspaket für Italien nicht so einfach durchwinken.
Kein Drehen an der Zinsschraube
EZB-Chef Mario Draghi ist das nur zu bewusst. Deshalb versucht er, die Lage zu entspannen. Vor wenigen Tagen kündigte er weitere Hilfen für den angeschlagenen Bankensektor an, sollte das notwendig sein. Auch an der Zinsschraube will er nicht drehen. Er und andere Direktoriumsmitglieder werden nicht müde zu beteuern: Die Zinsen bleiben auf absehbare Zeit niedrig.
Auch François Hollande versucht zumindest gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die Sparanstrengungen wurden verschärft. Seine Umweltministerin Delphine Batho, die ihn dafür kritisierte, wurde schnurstracks gefeuert. Ins lothringische Florange wird er aber wohl nicht wieder fahren: Außer wütenden Stahlkochern, die ihn mit Pfiffen und Tomaten empfangen, hat er dort nicht mehr viel zu erwarten.