Kolumne Euroschau Lagarde wird das Rad noch schneller drehen
Charmant, aber unbeirrbar wird die neue EZB-Chefin Lagarde die lockere Geldpolitik fortsetzen: Die Inflationsrate soll unbedingt steigen. Dafür zahlen müssen die Sparer.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Ihr Auftritt ist immer ein Ereignis: Bestens vorbereitet, freundlich im Ton, aber deutlich in der Sache - für Christine Lagarde, die künftige Chefin im Frankfurter Eurotower, war die Aussprache vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments eine Bewährungsprobe, die sie mit Leichtigkeit meisterte.
Mit einer breiten Mehrheit von 37 zu 11 Stimmen bei vier Enthaltungen wurde ihre Nominierung zur neuen Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) gebilligt. Die 63-jährige Französin, die seit 2011 Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist, musste sich für rund zweieinhalb Stunden den Fragen der etwa 50 Abgeordneten stellen und glänzte mit anschaulichem Fachwissen, obwohl die gelernte Juristin keine Notenbankerin ist und noch nicht einmal Wirtschaft studiert hat.
Charmant und schlagfertig skizzierte sie die künftige Geldpolitik - und machte keinen Hehl daraus, dass es noch schlimmer kommen wird, als unter dem jetzigen Präsidenten Mario Draghi, der Ende Oktober in den Ruhestand geht.
Draghi plant den großen Paukenschlag
Das Ende der Fahnenstange bei den Zinsen sei noch nicht erreicht - da gebe es noch viel Spielraum "nach unten", so Lagarde. Die EZB habe doch "einen breit gefächerten Instrumentenkasten", damit könne man die Geldpolitik weiter lockern. Helikopter-Geld? Warum nicht. Wieso sollte man nicht ein paar Milliarden Euro unters Volk bringen, damit dort kräftig konsumiert wird. Bargeld abschaffen? Auch das ist denkbar, wenn's hilft.
Was Beobachter schon erwartet hatten, bestätigte die Grande Dame der französischen Elite unmissverständlich: Die lockere Geldpolitik wird unter ihrer Führung munter weiter gehen und noch mal kräftig angeheizt. Lediglich die Art und Weise, wie sie es der Bevölkerung verkauft, dürfte sich ändern: mit klaren Worten, ohne Notenbank-Blabla und kryptische Worthülsen wird Lagarde den Verbrauchern charmant um die Ohren hauen, dass sie ihr Sparbuch eigentlich auch verbrennen können, weil es ohnehin keine Zinsen mehr gibt.
Ihrem Vorgänger und Noch-Präsidenten Mario Draghi hat so eine Kommunikation nie gelegen - je abstrakter und komplizierter, umso besser. Doch der 72-Jährige wird nicht einfach so in den Ruhestand abtauchen, sondern plant zum Schluss noch mal den großen Paukenschlag. Denn den nächsten Schub in Sachen lockere Geldpolitik wird noch er anleiern - ganz zum Ärger der Falken im EZB-Rat wie Bundesbank-Chef Jens Weidmann, dem neue österreichischen Zentralbankchef Robert Holzmann oder ihrem Kollegen Klaas Knot von der niederländischen Zentralbank.
Die neue EZB-Chefin Christine Lagarde wird den Sparern charmant ihre Sparbücher um die Ohren hauen.
Die Inflationsrate muss hoch
Erwartet wird, dass mit der Mehrheit der südeuropäischen Länder die Strafzinsen für Banken diese Woche noch einmal verschärft werden. Statt 0,4 Prozent müssen die Institute dann wahrscheinlich 0,6 Prozent zahlen, wenn sie Geld bei der EZB über Nacht parken.
Ein Staffelsystem mit Freigrenzen könnte die schlimmsten Effekte für die Banken zwar abfedern. Doch eins ist schon jetzt klar: Es wird teurer für die Institute, wenn sie ihr Geld horten, statt wie gewünscht als Kredite bei Unternehmen an Mann und Maus bringen. Zu dumm nur, dass die das Geld gar nicht mehr wollen. Denn welcher rational denkende Firmenchef investiert schon noch, wenn außer Rand und Band geratene Politiker á la Donald Trump und Boris Johnson die Weltwirtschaft in ihre Einzelteile zerlegen?
Doch das spielt schon lange keine Rolle mehr. Die Inflationsrate muss hoch, koste es, was es wolle. Sie liegt derzeit nur noch bei einem Prozent, aber eigentlich sollten es etwa zwei Prozent sein. Das ist das Mandat der EZB. Und das muss umgesetzt werden, auch wenn am Aktienmarkt neue Blasen entstehen, der Immobilienmarkt völlig überhitzt ist, immer mehr Pensionskassen und Lebensversicherer in Trudeln geraten und das gesamte System mittlerweile auf dem Kopf steht.
Spekuliert wird, dass die EZB noch eine Schippe drauf legt: vielleicht wird auch das Anleihekaufprogramm wieder neu aufgelegt. Viel zu holen ist ja nicht mehr. Schließlich ist der Rentenmarkt schon jetzt völlig verzerrt und disfunktional. Aber wenn das alles nicht mehr hilft, dann werden eben Aktien gekauft - so lautet die Spekulation an den Börsen, wo sich schon so mancher die Hände reibt.
Die EZB hat sich verrannt und verrennt sich weiter
Die EZB hat sich verrannt und sie verrennt sich immer mehr. So richtig es war, mit ihrer lockeren Geldpolitik den Euro zu retten, so falsch ist es, immer so weiter zu machen. Denn mit Mitteln, die nicht mehr helfen, etwas erreichen zu wollen, was mittlerweile unerreichbar ist, ergibt keinen Sinn.
Selbst die Banken, die anfänglich noch trefflich an dieser Geldpolitik verdient haben, schlagen mittlerweile Alarm: Die Zentralbanken hätten kaum noch Mittel, eine Wirtschaftskrise wirkungsvoll abzufedern, meinte der Chef der Deutschen Bank Christian Sewing kürzlich auf einer Konferenz der Branche in Frankfurt am Main: "Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen das Finanzsystem."
Und Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR), macht keinen Hehl mehr daraus, wer die Zeche zahlen muss: Wenn die Negativzinsen verschärft würden, "werden sicher alle Banken diesen Umstand neu bewerten müssen." Heißt im Klartext: Auch die Kunden werden zur Kasse gebeten. Strafzinsen auch für kleine Sparer sind dann sehr wahrscheinlich.
So wirft der Führungswechsel in der EZB seine Schatten voraus: Während der eine mit großem Donner geht, wird die andere mit charmantem Lächeln kommen. Ändern wird das wenig, Europas Geldpolitik steht vor einem Scherbenhaufen. Ausbaden werden es die Verbraucherinnen und Verbraucher, deren Immobilienpreise explodieren, deren Altersvorsorge dahin bröselt und denen auch eine Mini-Inflation das Ersparte auffrisst. Schöne neue Wirtschafts-Welt!