Kolumne Euroschau Drahtseilakt in der EZB
Die Konjunktur schwächelt, die Politik ist unberechenbar - egal ob in den USA, Italien oder Großbritannien. Der EZB bleibt da kaum Spielraum. Eine Zinswende? Unrealistisch!
Mario Draghi ist ein vorsichtiger Mann. Wenn der Präsident der Europäischen Zentralbank in der Öffentlichkeit etwas von sich gibt, dann ist jedes Wort genau überlegt und abgewogen. Spontane Äußerungen von ihm findet man nur selten. Denn der 71-Jährige weiß genau, dass jedes Wort von ihm auf die Goldwaage gelegt wird und an den internationalen Finanzmärkten sofort heftige Reaktionen auslösen kann - auch solche, die man nicht möchte.
Entsprechend gut geplant war auch sein jüngster Besuch im Europaparlament in Straßburg. Die Parlamentarier werden von ihm regelmäßig über den Stand der Geldpolitik informiert. Seine Äußerungen dort finden in der Finanzwelt immer große Beachtung. Dieses Mal malte Draghi ein Bild von der Wirtschaftslage im Euroraum, das durchaus Sorgen auslöst. Denn die Konjunktur entwickelt sich schwächer als erwartet. Eine Rezession sei zwar nicht in Sicht, äußerte sich Draghi zuversichtlich. Aber die Abschwächung könnte länger dauern als bislang erwartet.
Enttäuschende Zahlen - auch aus Deutschland
Tatsächlich sind die jüngsten Konjunkturdaten im Euroraum enttäuschend. In Deutschland, der wichtigsten Wirtschaftsmacht in Europa, wuchs das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr so langsam wie seit fünf Jahren nicht mehr. Ein Plus von 1,5 Prozent ist zwar nicht schlecht, aber auch nicht mehr das, was es mal war: die guten Konjunktur-Jahre sind wohl erst einmal vorbei.
Ähnlich ist auch die Situation in vielen anderen Euro-Ländern. In Frankreich stagniert die Wirtschaft, in Italien schwächt sich die Konjunktur schon seit längerem ab. In Spanien, wo es nach der schweren Krise eine erfreuliche Erholung gegeben hatte, ist das Wachstum wieder geringer.
Billionen Euro - nicht mit gewünschtem Erfolg
In vielen kleinen Mitgliedsstaaten sieht es zwar etwas besser aus. Europaweit ist die Nachfrage trotz der billionenschweren Stützungshilfen der EZB aber geringer als gewünscht. Die Inflationsrate liegt mit derzeit 1,6 Prozent weiter unter der Zielmarke von rund zwei Prozent.
Besonders bitter ist, dass diese Situation nicht sein müsste. Sie wird durch politische Verhältnisse derzeit künstlich hervorgerufen - mit unabsehbaren Folgen. Denn in weiten Teilen der Welt hat sich in der Politik eine Mischung aus Irrationalität, Größenwahn und Unverantwortlichkeit gebildet, die in der Wirtschaft zu massiver Unsicherheit führt und sich auch im Euroraum niederschlägt. Wenn eines Gift für die Konjunktur ist - dann ist es genau diese Unsicherheit.
Trumps "America First" - für die Weltwirtschaft ist das ein Problem.
Gefahr - Trumps Unberechenbarkeit
Größtes Problem in dieser Hinsicht sind sicherlich die USA unter Donald Trump. Mit dem egoistischen Verhalten "America First" und all den Aktionen die daraus folgen, haben sich die USA als der verlässliche Partner auf der Weltbühne verabschiedet, den sie seit dem Zweiten Weltkrieg gespielt haben. Der von Trump angezettelte Handelskrieg führt zu einer Erosion von Vertrauen und einer Abschwächung der weltweiten Wirtschaft, deren Folgen das Gesamtsystem nachhaltig erschüttern.
Auch in Europa gibt es genug Entwicklungen, die genau in dieseselbe Richtung gehen. Dazu gehört etwa die Selbstzerfleischung und Demontage Großbritanniens im Zuge des Brexits. Verklärte Vorstellungen eines nie untergegangenen Empires, fragwürde Ideen von direkter Demokratie sowie rücksichtslose Einzelinteressen unverantwortlicher Politiker haben eine der größten Volkswirtschaften Europas in riesige Probleme gestürzt.
Auch Italien ist unter der Regierung Conte für die Märkte schwer berechenbar.
Irrationales Italien
Irrationalität auch in Italien: ein Land, das nicht willens war, sich im Zuge der Finanzkrise zu reformieren, sucht jetzt als Schuldigen die Europäische Union. In Frankreich, wendet sich eine Bewegung gegen einen Präsidenten, der auf internationale Kooperation und Zusammenarbeit setzt. Überall in Europa machen sich Parteien und Tendenzen breit, die auf die Betonung der Nationalstaatlichkeit und des Eigeninteresses setzen. Hinzu kommen zahlreiche weltweite Probleme und Konflikte - sei es mit der Türkei, Russland oder jetzt möglicherweise auch in Brasilien, wo ein neuer Präsident meint, er müsse Trump nacheifern.
Kurzum: das Gefühl, dass die Welt außer Rand und Band ist und dass die Politik in weiten Teilen versagt, ist ein zentraler Unsicherheitsfaktor, der zu großer Unruhe in der Wirtschaft und damit zu einer nachlassenden Konjunktur führt.
EZB als permanente Feuerwehr
Die EZB kann angesichts einer solchen Situation nicht viel ausrichten und ist zu einer Rolle der permanenten Feuerwehr verdammt. Die Währungshüter steuern seit fast einem Jahrzehnt mit einer sehr lockeren Geldpolitik von einer Krise zu nächsten. Auch jetzt, nach dem Ende der Anleihen-Käufe, ist die Geldpolitik noch sehr locker. Denn auslaufende Anleihen werden wieder ersetzt, die Bedingungen für Banken sind extrem günstig und könnten diese Woche sogar noch einmal erleichtert werden.
Viel mehr hat die EZB jetzt aber auch nicht mehr im Köcher. Sie hat sich nicht getraut, etwa die Zinsen wieder anzuziehen, als das konjunkturell vor ein, zwei Jahren vielleicht moderat möglich gewesen wäre.
Zinswende? Unrealistisch!
In der jetzigen Situation ist eine Zinswende überhaupt nicht mehr realistisch. Beobachter glauben, dass in diesem Jahr höchstens die Negativzinsen für Banken gelockert werden. Von der erhofften Leitzins-Erhöhung spricht überhaupt niemand mehr. Ob sie dann vielleicht im nächsten Jahr kommt, steht völlig in den Sternen.
Faktisch steht die EZB vor einer schwierigen Situation: sie müsste bei einer deutlichen Verschlechterung der Konjunktur mit dramatischen Mitteln agieren - etwa einer Neuauflage der Anleihe-Käufe. Doch wirklich vorwerfen kann man ihr das nur bedingt. Eine Notenbank kann nicht permanent die Retterin der Konjunktur sein. Sie kann nur helfend einwirken. Wenn all das durch unverantwortliche Politik wieder zunichte gemacht wird, kann sie auch nichts tun. Dann wird die Eurozone auf die nächste schwere Krise zusteuern.
Für Draghi und den gesamten EZB-Rat werden die nächsten Monate also ein Drahtseilakt. Zurückhaltung und Vorsicht dürften die Kommunikation prägen - und die Hoffnung, dass Vernunft endlich wieder Oberhand gewinnt. Diese Linie dürfte Mario Draghi nicht nur im Europa-Parlament fahren, sondern überall, wo er sich sehen lässt.