Kolumne Euroschau EZB mit Kurs auf lockere Geldpolitik
Die EZB will ihre Geldpolitik wieder lockern und erwägt eine Verschärfung der Negativ-Zinsen für Banken. Die Institute könnten diese Kosten an den Sparer weiterreichen.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Mario Draghi ist ein zurückhaltender Mann. Die Öffentlichkeit scheut er, wann immer es geht. Nur wenn er eine Botschaft platzieren will, dann wird der EZB-Präsident ziemlich deutlich. Zweimal fand der 71-Jährige in den vergangenen Monaten klare Worte: Das erste Mal auf der EZB-Ratssitzung im Juni im litauischen Vilnius. Damals erklärte er, die Währungshüter müssten schon bald handeln. Denn die Inflation im Euroraum sei zu gering, die Wirtschaft zu schwach. Die Finanzmärkte sprangen nicht so richtig an.
Frisches Geld für den Markt
Deshalb legte Draghi zwei Wochen später im portugiesischen Sintra noch einmal nach. Jetzt verstand es auch der letzte an den internationalen Börsen: Draghi hatte erneut einen Schwenk in der Geldpolitik angekündigt. Die erhoffte Normalisierung wird es nicht geben. Jetzt werden die Geldschleusen wieder geöffnet.
Neues Anleihekaufprogramm geplant? EZB-Chef Draghi.
Vollzug könnte es bereits diese Woche geben. Alle Signale deuten darauf hin, die EZB werde die Strafzinsen für Banken erneut senken. Unklar ist nur, ob die Maßnahme sofort kommt oder erst im September.
Derzeit müssen Banken im Euroraum 0,4 Prozent Zinsen auf jeden Euro zahlen, den sie bei der EZB über Nacht parken - mit Ausnahme des Betrages, zu dem sie verpflichtet sind, der sogenannten Mindestreserve. Das ist ein teurer Spaß. Viele Institute scheuen sich deshalb nicht, die Kosten an Sparer mit hohen Guthaben weiterzugeben - meist ab Einlagen ab 100.000 Euro. Kleinsparer blieben bislang verschont.
Rechnung zulasten des Kleinsparers?
Jetzt wird eine Verschärfung um bis zu 0,2 Prozentpunkte erwartet. Dann wären Strafzinsen von maximal 0,6 Prozent fällig. Volks-und Raiffeisenbanken schlagen Alarm. Marija Kolak, Präsidentin ihres Verbandes, schließt jedenfalls nicht mehr aus, höhere Strafzinsen an die breite Kundschaft weiterzugeben. Für Banken werde es immer schwieriger, bei anhaltenden Negativzinsen profitabel zu sein.
Volks-und Raiffeisenbanken, aber auch Sparkassen leiden ganz besonders unter der Entwicklung. Denn sie haben sehr hohe Einlagen durch ihre breite Kundschaft. Diese Guthaben kosten die Banken zur Zeit mehr als sie damit verdienen. Ein Strafzins für Verbraucher ist also abzusehen. Fraglich ist nur, welche Bank damit beginnt. Ist der Damm erst einmal gebrochen, dürften die anderen über kurz oder lang folgen. Dann wäre das Finanzsystem endgültig auf den Kopf gestellt.
Dahinter steckt auch die Annahme, eine Normalisierung der Geldpolitik im Euroraum sei in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Volks- und Raiffeisenbanken haben eine Wende der Leitzinsen auf die kommenden drei bis fünf Jahre abgeschrieben. Die Zinsen liegen derzeit bei null Prozent und sollen laut EZB bis mindestens Mitte 2020 auf diesem Niveau verharren. Die EZB dürfte diesen Zeitraum auf Ende 2020 verlängern.
Comeback des Anleihe-Kaufprogramms?
Spekuliert wird auch darüber, die EZB könne ihr erst Ende Dezember ausgelaufenes Anleihe-Kaufprogramm wieder auflegen. Dabei erwirbt sie Anleihen in großem Stil und drückt somit das Zinsniveau. Allzu viel Spielraum haben die Währungshüter nicht mehr - denn der Markt ist schon ziemlich leer gekauft.
Die EZB könnte aber die Regeln ändern, nach denen sie nicht maximal 33 Prozent des Gesamtvolumens einer Anleihe kauft, sondern bis zu 50 Prozent. Dies steht noch im Einklang mit der Rechtsprechung durch den Europäischen Gerichtshof, der den Währungshütern großen Spielraum eingeräumt hat.
Auch der Kauf von Aktien wird debattiert. Dies wäre eine ganz neue Qualität. Möglicherweise wird Draghi die Neuauflage des Programms diese Woche verkünden. Mit einer Umsetzung rechnen Beobachter aber erst im neuen Jahr.
Die europäische Wirtschaft leidet unter den Handelskonflikten
Hintergrund der sich zuspitzenden Situation ist die schwache Inflations-Entwicklung im Euroraum. Die Preissteigerung liegt nur noch bei 1,3 Prozent und ist damit weit entfernt vom selbst gesteckten Ziel von knapp zwei Prozent. Ursache ist die zunehmende Schwäche der europäischen Konjunktur. Sie leidet stark unter den Handelskonflikten mit den USA.
Sollte die Wirtschaft in eine Rezession abrutschen, wird die EZB eher früher als später handeln. Denn dies könnte erneut die Gefahr der Deflation, also sinkender Preise, heraufbeschwören. Darauf regieren die Währungshüter hypersensibel, weil es die Wirtschaft weiter schwächt.
Lagarde könnte Draghis Kurs fortsetzen
Mario Draghi, dessen Amtszeit Ende Oktober endet, hat es noch nie so leicht gehabt, seine lockere Geldpolitik im EZB-Rat durchzusetzen. Das Posten-Geschachere auf europäischer Ebene hat den Kritikern einen schweren Dämpfer versetzt. Seitdem sich abzeichnete, dass Ursula von der Leyen neue Präsidentin der EU-Kommission wird, war dies auch das Aus für die Ambitionen von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, neuer EZB-Präsident zu werden. Mit ihm wird eine härtere Linie der Geldpolitik verbunden.
Zwei Spitzenpositionen in Europa für Deutsche waren aber unrealistisch. Jetzt kommt die Französin Christine Lagarde, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), auf den Präsidentenstuhl im Frankfurter Eurotower. Das ist ein Glücksfall für die große Fraktion der lockeren Geldpolitik im EZB-Rat, den sogenannten Tauben. Lagarde ist eine Taube par excellence. Sie steht für die strikte Fortführung der lockeren Geldpolitik. Eine geeignetere Nachfolgerin, um sein Erbe zu retten, hätte sich Draghi kaum wünschen können.