Doppelstandards bei Markenprodukten Visegrad-Staaten fordern "Nutella-Gipfel"
Der Streit über die unterschiedliche Zusammensetzung von Markenprodukten in EU-Ländern geht weiter. Bahlsen hat beim Butterkeks die Zweiklassen-Produktion geändert. Andere Konzerne halten daran fest - und bekommen jetzt Druck von den Visegrad-Staaten u
Krisentreffen zum Thema Doppelstandards und sogenannter Lebensmittelapartheid in Brüssel. Im Mittelpunkt die Frage, ob 65 Millionen Verbraucher in den Visegrad-Staaten Slowakei, Ungarn, Polen und Tschechien von westlichen Konzernen systematisch benachteiligt werden. Die sollen in Osteuropa angeblich zweitklassige Ware zum westeuropäischen Preis anbieten.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nannte zwei strittige Produkte beim Namen: Die beiden Waschmittelsorten Persil und Sunlicht, deren angeblich spezielle Produktzusammensetzung in Osteuropa aus Sicht des slowakischen Regierungschefs Robert Fico und seiner Kollegen aus den Visegrad-Staaten eine Provokation darstellt.
Gleicher Preis - weniger Waschwirkung
Die Regierungen der vier osteuropäischen Staaten werfen den Konzernen Henkel und Unilever vor, ihre Bevölkerung mit zweitklassigem Waschpulver zu beliefern. Das enthalte 20 Prozent weniger waschaktive Substanzen - aber zum gleichen Preis wie in Westeuropa. Nach der Devise: Weniger Tenside im Waschpulver sind kein Problem, wenn der Verbraucher die Waschtemperatur erhöht.
Auch von westlichen Lebensmittelkonzernen fühlen sich die Visegrad-Staaten als Europäer zweiter Klasse diskriminiert. "Wie würden Sie in Westeuropa reagieren, wenn Schweinefleisch auf der Verpackung steht, die aber de facto Hähnchenreste enthält?", fragte Fico.
EU-Kommissionspräsident Juncker kündigte an, die EU-Kommission werde die Vorwürfe prüfen. Und gebe sich nicht mit dem sogenannten Nutella-Argument zufrieden, die Geschmäcker in der EU seien halt verschieden. Da die Slowaken weder Sunlicht noch Persil essen würden, gebe es auch keine geschmäcklerischen Gründe für eine andere Produktzusammensetzung in Osteuropa, argumentierte Juncker.
Was ist dran an den Vorwürfen ungleicher Lebensmittelqualität in Ost und West?
Lebensmittelhändler haben wiederholt die Testmethoden im Osten angezweifelt. Milos Lauko vom slowakischen Verbraucherverband ASS ist darüber empört: "Wenn nicht einmal die Testergebnisse staatlicher Labors unserer Länder anerkannt werden, was gilt dann überhaupt?" Produzenten argumentieren häufig, sie würden unterschiedliche Qualität anbieten, weil eben die Geschmäcker je nach Land verschieden seien. Bewohner der slowakischen Hauptstadt Bratislava stürmen aber gerade deshalb die Geschäfte der österreichischen Grenzgemeinden, weil sie dort bessere Qualität erwarten.
Warum hat die EU-Kommission bisher noch nichts gegen diese Praxis unternommen?
Erst 2016 blitzten die Visegrad-Länder mit einer Beschwerde in Brüssel ab. Solange auf der Packung die Inhaltsstoffe richtig angegeben seien, vorstoßen die Verkäufer gegen keine Vorschrift, argumentierte die Kommission. Die vier Regierungschefs wollen das nicht hinnehmen: Wenn Produkte gleichen Namens und in gleicher Verpackung in West und Ost unterschiedliche Qualität aufwiesen, sei das Täuschung. Die Produkte seien auch nicht automatisch billiger.
Er schließe vor diesem Hintergrund neue EU-Richtlinien zum Verbraucherschutz nicht aus, unterstrich der Kommissionspräsident. Es dürfe in der EU keine Verbraucher zweiter Klasse geben. Alle Europäer hätten die gleiche Würde und damit auch die gleichen Rechte, betonte Juncker während der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem slowakischen Regierungschef in Brüssel.
Argumentationshilfe für EU-Gegner
Fico schlug einen sogenannten Nutella-Gipfel in der Slowakei vor, um die unterschiedlichen Produktzusammensetzungen mit Vertretern der EU und der Konzerne zu diskutieren. Der Regierungschef warnte davor, die Produktunterschiede im EU-Binnenmarkt als lächerliches Problem abzukanzeln: EU-Gegner könnten diese Produktunterschiede leicht als Argument gegen die EU benutzen.
Im September will die EU Leitlinien zur Klarstellung vorlegen. Und Juncker sich weiterhin engagiert einsetzen - für ein Ende der Diskriminierung bei Lebensmittellieferungen.