Strombörsen-Chef "Es gibt nicht den einen Strompreis"
Strom kommt aus der Steckdose - wenn das mal so einfach wäre. Tatsächlich ist der Handel an Strombörsen hochkomplex. Im Interview erklärt der Chef des Leipziger Handelsplatzes EEX, Peter Reitz, wie die Preise entstehen.
tagesschau.de: Wer handelt an der Leipziger Strombörse?
Peter Reitz: Bei uns werden die Großhandelspreise ausgehandelt. Das heißt, es handeln die Erzeuger, die Betreiber von Stromnetzen und die großen Verbraucher oder auch die Weiterverteiler, die dann die Haushalte versorgen. Die großen Stromkonzerne sind natürlich hier, aber aber auch kleine Stadtwerke. Der Handel an der Strombörse ist anonym. Das heißt, wir stellen sicher, dass alle Teilnehmer auch gleichbehandelt werden. Daraus entsteht hier aus den Angeboten der Preis.
tagesschau.de: Wie muss man sich das vorstellen? Werfen die Stromversorger ihren zu viel produzierten Strom auf den Markt, und der wird dann gekauft?
Reitz: Genauso läuft es. Wir haben Hunderte von Teilnehmern, die hier an der Börse direkt elektronisch ihre Gebote schicken. Erzeuger sind dann natürlich eher auf der Verkaufsseite und die großen Verbraucher auf der Kaufseite. Der Preis wird dann von uns veröffentlicht, sodass auch nicht nur die Beteiligten, sondern die breite Öffentlichkeit weiß, welcher Preis gerade für Strom festgestellt wird.
Seine Karriere startete Peter bei der Deutschen Börse in Frankfurt, zudem war er bei Dow Jones Indexes in New York tätig. Im Jahr 2001 stieß er zur Terminbörse Eurex, bei der er bis Dezember 2018 zum Vorstand gehörte. Peter ist Diplom-Mathematiker.
Strom ist immer eine Mischung
tagesschau.de: Wer sind denn die großen Abnehmer? Die Industrie?
Reitz: Das sind nicht die einzigen Abnehmer. Auch die Stadtwerke oder die Verteiler, die dann die Haushalte versorgen, sind auf der Käuferseite.
tagesschau.de: Kann man denn erkennen, wenn man Strom kauft, wo der herkommt? Das heißt, welche Energiequellen diesem Strom zugrunde liegen?
Reitz: Beim Strom an sich ist das nicht möglich. Strom ist immer eine Mischung aus den Erzeugungsarten, die gerade verfügbar sind. Allerdings kann man Grünen Strom separat handeln. Das ist bei uns an der EEX möglich, über sogenannte Herkunftsnachweise.
tagesschau.de: Hat das denn zugenommen, dass man nach der Herkunft fragt?
Reitz: Der Anteil von Erneuerbaren Energien hat deutlich zugenommen. Wir haben im ersten Halbjahr dieses Jahres über 60 Prozent in Deutschland aus Erneuerbaren Energien. Und die Nachfrage bestimmt natürlich das Angebot und die Zusammensetzung des Strommix.
Preis in diesem Jahr gesunken
tagesschau.de: Was an der EEX gehandelt wird und was dann letztendlich aus der Steckdose kommt, sind zwei Paar Schuhe. Wie entsteht denn der endgültige Strompreis, den der Stromversorger anbietet?
Reitz: Der hat drei Komponenten. Das erste ist der Großhandelspreis. Das ist sozusagen die primäre Beschaffung. Dann kommen für den Endkunden die Netzentgelte, also die Preise für den Transport des Stroms zu den Verbrauchsstellen, hinzu. Der größte Anteil sind Steuern und Abgaben.
tagesschau.de: Wie haben sich denn die Großhandelspreise in diesem Jahr entwickelt?
Reitz: Es gibt nicht den einen Strompreis. Zum einen ist das natürlich gebietsabhängig. An der EEX kann man nicht nur Strom für Deutschland handeln, sondern für über 20 Länder in Europa, für Japan und über unsere Tochtergesellschaft auch für die USA. Das zweite wichtige Kriterium ist der Liefertermin. Man kann bei uns in der kleinsten Einheit Strom für 15 Minuten kaufen. Man kann aber auch Strom für ein ganzes Jahr kaufen, und zwar bis zu zehn Jahre im Voraus. Und je nachdem, wo und wann man Strom haben möchte, sind das unterschiedliche Preise. Aber generell kann man sagen, dass die Preise sich in diesem Jahr etwas reduziert haben im Vergleich zum Vorjahr.
tagesschau.de: Eine Sorge, die Verbraucherinnen und Verbraucher immer wieder umtreibt: Ist denn überhaupt genug Strom da?
Reitz: Strom ist genügend da. Das liegt auch daran, dass wir im Strom nicht mehr einen nationalen Markt haben in der Versorgung, sondern dass die europäischen Märkte sehr eng miteinander verbunden sind. Das heißt, selbst wenn es mal lokal in einem Land weniger Erzeugung gibt als Verbrauch, dann wird das europäisch ausgeglichen. Und in Europa insgesamt gibt es deutlich mehr Angebot als Verbrauch, wenn auch natürlich immer zu unterschiedlichen Preisen.
Das Interview führte Stefan Wolff, ARD-Finanzredaktion.