Digitalisierung Wie sich Künstliche Intelligenz entwickeln wird
Im vergangenen Jahr war die Aufregung um Künstliche Intelligenz groß. Wie geht es in diesem Jahr für die Technologie weiter? Experten erwarten tiefgreifende Veränderungen - jenseits des Hypes.
War 2023 noch ein Jahr der - zumindest so wahrgenommenen - KI-Revolution, dürfte 2024 ein Jahr der Evolution werden. "Der Überraschungseffekt, von dem ChatGPT profitiert hat, ist vorüber", sagt Andreas Dengel, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. "Das Potenzial und Breite, die KI zu bieten hat, sind aber noch gar nicht erkannt", ergänzt er.
Viele Bereiche entdeckten gerade erst die Möglichkeiten. Dazu zählten unter anderem das Finanzwesen oder die Biotechnologie, sagt Dengel. KI könne eingesetzt werden, um Anomalien in Buchungssätzen von Banken zu finden, um so Geldwäsche aufzudecken, oder im medizinischen Bereich, um Wirkstoffe zu testen.
Ressourcenschonende KI im Mittelpunkt der Forschung
In der KI-Forschung selbst spielt der Aspekt, wie Ressourcen geschont werden können, eine immer wichtigere Rolle. Dabei geht es darum, wie KI-Systeme kontinuierlich dazulernen, statt energieaufwendig neu trainiert zu werden. "Die Frage ist, wie Vorhersagen des Modells durch neue Daten fortlaufend so aktualisiert werden, dass das KI-System sich an Veränderungen anpasst und seine Genauigkeit im Laufe der Zeit verbessert", sagt DFKI-Direktor Dengel.
Das sei auch relevant für andere Wissenschaftszweige, denn auch hier komme künstliche Intelligenz verstärkt zum Einsatz - zum Beispiel in der Klimaforschung. "KI-Modelle können hier wichtige Erkenntnisse liefern, wie sich das Klima weiter verändert", sagt Dengel.
Auch für die Wirtschaft wird 2024 ein wichtiges Jahr, um die Technologie voranzutreiben. Anbieter von sogenannter generativer KI wie ChatGPT zielen nicht nur darauf, ihre Modelle weiter zu verbessern, sondern auch, sie in verschiedene Anwendungen zu integrieren.
Microsoft beispielsweise verknüpft seinen KI-Assistenten "Copilot" unter anderem mit Word und Powerpoint. Die KI kann etwa Texte zusammenzufassen oder helfen, Präsentationen zu erstellen. Auch andere Anbieter integrieren künstliche Intelligenz zunehmend in ihre Software. Und OpenAI wiederum, das Unternehmen hinter ChatGPT, will in Kürze verschiedene Varianten des Bots anbieten, je nach dem, für welchen Zweck er eingesetzt werden soll.
Multimodalität als wichtiger Trend
Für die Entwickler der generativen KI dreht sich dabei vieles um ein Wort: Multimodalität. Damit sind KI-Modelle gemeint, die Texte, Bilder und auch Videos verarbeiten können. "Für die alltägliche Anwendung wird das in diesem Jahr eine wichtige Entwicklung sein", sagt Kai Pascal Beerlink, KI-Experte beim Digital-Branchenverband Bitkom.
Meta, aber vor allem auch Google drängen hier auf den Markt und möchten den Vorreitern Microsoft und OpenAI Konkurrenz machen. Google setzt dabei auf sein neuestes KI-Modell Gemini, das in der Lage sein soll, Inhalte von Bildern zu analysieren oder Videos aus eingegebenen Texten zu generieren.
Digitale Welten also, die immer leichter zu erzeugen sind. Wissenschaftler Dengel sieht hier immer größere Folgen für die Film- und Spieleindustrie. "Nicht zuletzt für das Marketing und die Werbeindustrie ist das natürlich sehr interessant", ergänzt Beerlink.
Neue Anbieter drängen auf den Markt
Insgesamt erwartet der Bitkom-Branchen-Experte, dass sich der Markt in diesem Jahr ausdifferenziert. "Wir werden erleben, dass sich die Quasi-Monopolstellung von Microsoft und OpenAI auflösen wird", sagt Beerlink. "Es werden neue KI-Modelle auf den Markt kommen, die dann auch Nischen besetzen."
Davon profitieren wollen kleinere, spezialisierte Anbieter. Allerdings ist auch ein weiterer Branchenriese ins KI-Wettrennen eingestiegen: Amazon. Bereits vergangenes Jahr investierte der Konzern Milliarden Dollar in das KI-Start-up Anthropic. Bislang nimmt Amazon eher die Rolle des Dienstleisters für KI-Infrastruktur ein. Das könnte sich dieses Jahr ändern, indem KI in die Dienste von Amazon einfließt. Vor allem die Erweiterung von Sprachsteuerung - Stichwort Alexa - dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.
Mitmischen wollen hier aber auch andere. Vergangenes Jahr sorgte der "AI Pin" des Anbieters Humane in den USA für ein gewisses Aufsehen. Dabei handelt es sich um eine Art smarte Brosche, die über Sprachbefehle vielseitig benutzt werden kann, etwa um jemanden anzurufen oder im Internet zu browsen.
KI verändert also auch immer mehr, wie mit Geräten interagiert wird. Ob so das Smartphone abgeschafft wird, wie es sich Humane zum Ziel setzt, bleibt fraglich. Aber: "Künstliche Intelligenz wird diesen Wearables einen Schub geben, und mehr davon werden auf den Markt drängen, weil KI sie effizienter und qualitativ besser macht", sagt Bitkom-Experte Beerlink.
Chancen für europäische Entwickler - und Sorgen vor Desinformation
Bleibt bei all den Entwicklungen noch Raum für Anbieter von KI-Sprachmodellen aus Europa? Als deutscher Hoffnungsträger gilt das Heidelberger Start-up Aleph Alpha. "Die Ausdifferenzierung auf dem Markt ist eine große Chance für europäische Anbieter", meint Beerlink. "Allgemeine Sprachmodelle aus den USA werden sie realistischerweise nicht einholen. Aber sie können Nischen besetzen, zum Beispiel in der industriellen Fertigung oder in der Verwaltung. Also dort, wo KI sich spezialisiert und eine spezielle Sicherheit gewährleisten muss."
Sicherheitsbedenken dürften dabei insgesamt eine immer größere Rolle spielen. Gerade auch, weil 2024 mit mehr als 70 Wahlen weltweit ein politisch bedeutsames Jahr ist. Experten warnen vor Desinformationskampagnen, die durch KI-generierte Inhalte befeuert werden. "Diese Sorgen teile ich", sagt DFKI-Direktor Dengel. "Vor allem, wenn man auf Netzwerkanalysen in den sozialen Medien blickt. Es ist zu befürchten, dass KI-generierte Desinformation gezielt an Multiplikatoren - also reichweitenstarke Accounts - adressiert wird. Und diese die Desinformation dann großflächig weiterverbreiten."
Vor allem mit Blick auf die Wahl des US-Präsidenten gibt es hier Bedenken. In den USA spielt sich auch eine weitere Entwicklung von KI ab, die in diesem Jahr wegweisend sein dürfte. Die Zeitung New York Times hat kürzlich gegen OpenAI, den Anbieter des Bots ChatGPT, geklagt. Die "Times" sieht ihr Urheberrecht bei einer Vielzahl von Artikeln verletzt. In Berichten darüber sind Screenshots zu sehen, die zeigen sollen, wie der Chatbot Ausschnitte aus Zeitungsartikel nahezu 1:1 kopiert hat. Nach Ansicht von Beobachtern könnten weitere Klagen folgen, die OpenAI in Bedrängnis bringen könnten.
Auch wegen solch kritischer Entwicklungen: Es lohnt sich, KI 2024 im Blick zu behalten.