EU-Freihandelsabkommen mit Kanada "CETA ist jetzt die Messlatte"
Jahrelang haben die Europäische Union und Kanada ein Freihandelsabkommen ausgehandelt. Jetzt tritt es in Kraft, allerdings nur vorläufig und teilweise. Die Sichtweisen von Kritikern und Befürwortern klaffen nach wie vor weit auseinander.
Die EU-Kommission lobt CETA noch einmal in den höchsten Tönen. Sie schätzt, dass europäische Unternehmen jährlich 590 Millionen Euro an Ausfuhr-Zöllen sparen werden. Es entfallen fast alle Zölle, langwierige Zollverfahren und doppelte Prüfungen. Außerdem öffnet Kanada den Markt für wichtige europäische Produkte wie Käse, Wein und Obst. Bei Aufträgen der öffentlichen Hand in Kanada würden EU-Unternehmen besser gestellt als je zuvor.
Verbrauchern verspricht die Kommission mehr Auswahl durch Importe aus Kanada - und zwar, "ohne dass Abstriche bei den geltenden europäischen Standards gemacht werden". Alle Waren und Dienstleistungen müssten weiterhin EU-Vorschriften einhalten, das gelte auch mit Blick auf Gentechnik und Hormonfleisch. Bernd Lange, Handelsexperte der SPD im EU-Parlament, sagt im Gespräch mit tagesschau.de: "CETA ist jetzt die Messlatte. Dahinter wird kein zukünftiges Abkommen zurückbleiben können."
Vorsorgeprinzip gegen Risikoprinzip
Brechen mit dem Freihandelsabkommen also gute Zeiten für europäische Verbraucher und Unternehmen an? Die CETA-Kritiker wollen nicht in die Lobeshymnen einstimmen. Von einem "schlechten Tag für Europa" sprechen die Grünen im Europaparlament. Die Abgeordnete Ska Keller hat eine lange Liste mit Befürchtungen. Ein Beispiel: In Europa gelte das Vorsorgeprinzip, wonach Produkte erst getestet werden müssten, bevor sie auf den Markt kommen. Keller: "Kanada orientiert sich eher an den USA. Da handelt man erst, wenn es Probleme gibt." Die Verbraucherorganisation Foodwatch nennt CETA "eine Gefahr für die Demokratie und den Verbraucher- und Gesundheitsschutz". Auch der handelspolitische Sprecher der Linken im Europaparlament Helmut Scholz warnt: "Vieles, was in CETA vereinbart wurde, wird erst allmählich wirksam und deutlich werden."
Weg zu CETA lang und umkämpft
Eines können sich die CETA-Gegner auf die Fahne schreiben. Für Freihandelsabkommen haben sich früher nur Experten interessiert. In jüngster Zeit gingen zehntausende Bürger auf die Straße, um gegen CETA und TTIP zu demonstrieren. SPD-Mann Bernd Lange findet, dass der Protest geholfen habe, das Abkommen zu verbessern. Doch die Gegner konnten nicht verhindern, dass am Ende sowohl das EU-Parlament als auch die EU-Mitgliedsstaaten zustimmten. Zwar sorgte die belgische Region Wallonie eine Zeit lang für eine echte Hängepartie. Am Ende lenkte das dortige Parlament jedoch ein, und auch Belgien konnte grünes Licht geben.
Die Kritiker hoffen dennoch, dass CETA noch gestoppt werden kann. Zunächst tritt es nur vorläufig und teilweise in Kraft. Das Abkommen muss noch von Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Und das wird voraussichtlich eine längere Angelegenheit, beim Vertrag mit Südkorea beispielsweise waren es fünf Jahre. In Deutschland befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit CETA. Auch hier dürfte eine Entscheidung noch dauern.
Schiedsgerichte zunächst unangetastet
Ausgeklammert bleibt damit einer der umstrittensten Teile von CETA: die Schiedsgerichte, die Streitigkeiten zwischen Investoren und staatlichen Stellen lösen sollen. Hier gelten vorerst die Vereinbarungen weiter, die einzelne EU-Staaten mit Kanada bereits haben. Die neu ausgehandelten Regeln in CETA sehen unter anderem öffentliche Verhandlungen vor und die Möglichkeit, gegen eine Entscheidung in Revision zu gehen.
Daniel Caspary, der Handelsexperte der CDU im EU-Parlament, schlägt vor, den Teil, der jetzt in Kraft tritt, und den umstrittenen Teil zu trennen: "Das würde Unternehmen und Verbrauchern die Sicherheit geben, dass wenigstens die meisten Handelserleichterungen nicht mehr gekippt werden, wenn der Rest scheitert."
Auseinandersetzung geht weiter
In den Streit um das Freihandelsabkommen ist also mitnichten Ruhe eingekehrt. Der große Teil des Abkommens tritt in Kraft. CETA wird aber noch über Jahre Gerichte, Parlamente und Gegner beschäftigen. Und: An weiteren Freihandelsabkommen unter anderem mit Japan, Australien oder Neuseeland arbeitet die EU bereits. EU-Kommissionspräsident Juncker verspricht für die Zukunft: "Schluss mit der Intransparenz, Schluss mit den Gerüchten, Schluss mit den Unterstellungen, die der Kommission immer wieder gemacht werden."