Mehr Zwangsarbeit bei Bahlsen Kekse unterm Hakenkreuz
Während der NS-Zeit wurden bei Bahlsen mehr Zwangsarbeiter beschäftigt als ursprünglich bekannt. Die Unternehmerfamilie zeigte sich bei Vorlage der Bahlsen-Biografie betroffen.
Manchmal können unbedarft dahingesagte Worte eine riesige Wirkung entfalten - auch eine negative. Vor fünf Jahren hatte Familienerbin Verena Bahlsen mit der Aussage für Aufregung gesorgt, man habe Zwangsarbeiter bei Bahlsen während der NS-Zeit "gut behandelt". Kurz danach hatte sie sich entschuldigt und von einem Fehler gesprochen.
Die öffentlichen Diskussionen hätten dazu geführt, dass sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt wurde, teilte die Familie nun in einer Stellungnahme mit. "Viele Details aus der Unternehmensgeschichte waren uns nicht bekannt, und die Wahrheit ist, dass wir auch nicht nachgefragt haben." Eine Studie der beauftragten Historiker Manfred Grieger und Hartmut Berghoff sollte folglich Antworten liefern. Entstanden ist ein 600 Seiten starkes Buch mit dem Titel "Die Geschichte des Hauses Bahlsen. Keks - Krieg - Konsum", das sich mit den Jahren von 1911 bis 1974 beschäftigt.
Das Ergebnis der Untersuchung: Der Konzern unterstützte das Naziregime und profitierte vom System, insbesondere durch den Einsatz von Zwangsarbeitern; Bahlsen beschäftigte mehr Zwangsarbeiter als bislang bekannt. Die Geschäfte zogen Nationalsozialismus gewaltig an. Von 1940 bis 1945 haben nach Unternehmensangaben mehr als 800 ausländische Arbeitskräfte Zwangsarbeit für Bahlsen geleistet. Bahlsen zufolge handelte es sich zumeist um Frauen aus Polen und der Ukraine.
Diskriminierung und schlechte medizinische Versorgung
Die Zwangsarbeiter in Deutschland unterlagen generell weitreichenden rassistisch motivierten Diskriminierungen, wie die Autoren ausführen. Polinnen und Polen mussten eine violett-gelbe P-Raute auf ihrer Kleidung tragen, die sie als rassistisch diskriminierte Personen erkennbar machte. Auch bei Bahlsen mussten Zwangsarbeiter aus Polen das stigmatisierende P-Zeichen tragen, schrieben Grieger und Berghoff. Sie erhielten geringere Löhne, kleinere Lebensmittelrationen und eine schlechtere medizinische Versorgung. Der Studie zufolge waren sie in Baracken untergebracht und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sozialer Kontakt zu Deutschen war ihnen verboten. Polnischen Männern, denen sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen nachgewiesen wurden, drohte die Hinrichtung.
Die Wahrheit über die damaligen Ereignisse sei unbequem und schmerzhaft, teilte die Familie weiter mit. "Wir bedauern das Unrecht, das diesen Menschen bei Bahlsen geschehen ist, zutiefst. Auch bedauern wir, dass wir uns dieser schwierigen Wahrheit nicht früher gestellt haben." Das Unternehmensarchiv sei erstmals vollständig für wissenschaftliche Forschungen geöffnet worden. Bahlsen habe das Projekt großzügig finanziert, aber keine inhaltlichen Vorgaben auferlegt, schrieben die Autoren. Ein besonders enger Kontakt habe zu Werner M. Bahlsen und seiner Tochter Verena bestanden.
Kein "einvernehmliches Miteinander"
Jahrzehntelang habe das Unternehmen seine Erinnerung an Zwangsarbeit im eigenen Haus auf das Narrativ eines einvernehmlichen Miteinanders in schweren Zeiten reduziert. Heute bekenne man sich zu seiner Geschichte. "Es ist an uns, diese Erinnerung wachzuhalten und dafür zu sorgen, dass sich diese Geschichte des Nationalsozialismus nie wiederholt", steht auf einer Erinnerungstafel im Foyer des Stammhauses.
Expertinnen und Experten bezeichneten die Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte bei Bahlsen als "vorbildlich". Viele Unternehmen beschäftigen sich inzwischen mit ihrer Rolle in der NS-Zeit. So findet man in immer mehr Firmenchroniken eine ausführliche, zum Teil wissenschaftlich basierte Auseinandersetzung. Vor einigen Jahren noch klaffte in den meisten Unternehmensgeschichten zwischen 1933 und 1945 eine Lücke.