Erhöhtes Verkehrsaufkommen auf der Interstate 405 in Los Angeles (Aufnahme: April 2023)
hintergrund

Automatisiertes Fahren in den USA Auf dem Highway ohne Hände am Lenkrad

Stand: 01.10.2023 11:54 Uhr

Mercedes ist der erste Autohersteller, der für ein automatisiertes Fahrsystem des sogenannten "Level 3" eine Zulassung in den USA erhalten hat. Wie funktioniert es auf der Straße?

Los Angeles ist berüchtigt für lange Staus, vor allem im Frühverkehr drängeln sich Pendler dicht an dicht. Mercedes wittert hier aber eine Chance und hat einige Journalisten eingeladen, sein neues automatisiertes Fahrsystem namens "Drive Pilot" zu testen.

Das Besondere: Es handelt sich um ein sogenanntes "Level 3"-System, bei dem die Fahrer auch Hände vom Lenkrad und den Fuß von den Pedalen nehmen dürfen. Zum Beispiel, um nebenbei Videos auf dem großen Display zu schauen, Sprachnachrichten zu diktieren oder mit dem Nebenmann angeregt zu reden.

Infrarotkamera überwacht die Augen

Was zum Beispiel nicht geht: die Augen zu schließen und zu schlafen oder den Sitz zu verlassen und auf die Hinterbank zu krabbeln. Der Fahrer müsse in der Lage sein, das Auto jederzeit wieder zu steuern, heißt es von Mercedes. Eine Infrarotkamera überwacht dazu die Augen des Fahrers; der wird dann mit lautem Piepsen und einem Ruckeln am Sitzgurt zunächst gewarnt, die Augen wieder auf die Straße zu richten. Wenn das nicht passiert, hält das Fahrzeug irgendwann von alleine an. Videos auf dem Smartphone zu schauen ist auch nicht erlaubt: Das verbietet das kalifornische Gesetz.  

Das Mercedes-System ist das erste überhaupt, das eine Zulassung als "Level 3"-System in Kalifornien und Nevada erhalten hat - noch vor dem Konkurrenten Tesla. Dieser Schritt sei eine "Mondlandung", erklärt Mercedes Entwicklungschef Markus Schäfer stolz. 

Anderer Ansatz als bei Tesla

Überholt die deutsche Ingenieurskunst den amerikanischen Vorreiter auf dem E-Automarkt? Christian Gerdes, Professor am Zentrum für Automobilforschung der Universität Stanford, sagt, Mercedes habe es offenbar bei der Zulassung geholfen, einen anderen Ansatz bei der Entwicklung zu wählen: 

"Tesla hat sich stark auf Künstliche Intelligenz konzentriert. Sie verwenden Daten, um ein Netzwerk zu trainieren, um mit der Fahrsituation umgehen zu können", so Gerdes. "Das 'Level 3'-System von Mercedes hingegen ist viel traditioneller entwickelt. Ich halte es für eine enorme Leistung, dass Mercedes sein System in die USA bringen kann."

Der Ansatz des Konkurrenten Tesla sei grundlegend anders. "Anstatt zu versuchen, einen Teil des Problems zu lösen, versuchen sie, das gesamte Problem zu lösen. Die Frage ist, ob der von ihnen gewählte Ansatz letztendlich das erforderliche Qualitätsniveau bietet oder nicht."

Potpourri an Fahrsystem

Tesla setzt vor allem auf Daten aus den eingebauten Kameras, Mercedes hat zusätzlich Radar- und Lidar-Systeme verbaut. Gregor Kugelmann, Leiter Entwicklung Fahrerassistenzsysteme Mercedes-Benz, betont, dass Sicherheit vorgehe. Man sei so überzeugt von dem System, dass man auch "die Verantwortung übernimmt, wenn im Verkehrsgeschehen etwas passiert, wenn etwas dem 'Drive Pilot' zuzuschreiben wäre". Das ist ebenfalls ein wesentlicher Unterschied zu Tesla: Das US-Unternehmen haftet nicht. 

Und Unfälle mit dem Fahrassistenten gibt es bei Tesla genug: Die Verkehrsbehörde der USA stellte in einem Bericht im Juni vor, dass es seit 2019 mehr als 700 Unfälle mit eingeschaltetem Tesla-Autopiloten gegeben habe; 17 Menschen seien dabei gestorben.  

In Kalifornien gibt es derzeit ein buntes Potpourri an halbautomatischem Fahren, wie Tesla es beispielsweise anbietet, außerdem komplett autonome Fahrdienste in Form von Robotaxis von Waymo oder Cruise. Ende des Jahres sollen Kunden auch das "Level-3"-System von Mercedes nutzen können.

Herausforderungen für die Polizei

Und dieses Nebeneinander führt zu Problemen. Beispielsweise bleiben Robotaxis immer mal wieder stehen, wenn sie Sirenen von Rettungswagen hören, behindern so den Verkehr. Außerdem gibt es das Problem, dass Fahrzeuge im vollautomatisierten Fahrmodus plötzlich heftig bremsen. In San Francisco kam es zuletzt zu einem Auffahrunfall in einem Tunnel mit neun Fahrzeugen, weil der Tesla aus dem Nichts heraus abbremste.  

Auch die Polizei steht vor neuen Herausforderungen: Wann muss sie Fahrer anhalten, wenn diese offenbar abgelenkt sind, wie erkennen sie, ob der Computer übernimmt? Dieses Problem will Mercedes mit einem Außenlicht lösen. Übernimmt der "Drive Pilot", sind am Auto türkisfarbene Leuchtstreifen erkennbar. So ist zumindest die Planung - zugelassen ist dies noch nicht von der Verkehrsbehörde.

"Drive Pilot" nur bis zu 60 Kilometern pro Stunde

In den USA soll der "Drive Pilot" in einem Abo-Modell verfügbar sein. Grund dafür ist, dass das System im Gegensatz zu Deutschland noch nicht landesweit zugelassen ist. Wer in einen anderen Bundesstaat zieht, hat die Möglichkeit, es abzubestellen und zu testen, wie sehr man das autonome Fahrsystem braucht.

Im Stau in Los Angeles kann das System durchaus glänzen. Auf den Highways allerdings ist "Drive Pilot" nur begrenzt einsetzbar: Der Computer übernimmt derzeit nur bei einer Geschwindigkeit bis zu 60 Kilometern die Stunde - und nur bei guten Wetterbedingungen. 

Katharina Wilhelm, ARD Los Angeles, tagesschau, 28.09.2023 14:40 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Juni 2023 um 13:42 Uhr.