Deutsche Autoindustrie Ungewisse Zukunft in der postfossilen Welt
Die Autobranche steht vor dem größten Wandel ihrer Geschichte. Kritiker sagen, dass viele deutsche Firmen zu spät dran sein könnten auf dem Weg in die Elektromobilität. Andere haben die Zeichen der Zeit verstanden.
Alt und neu läuft beim Automobilzulieferer Witzenmann in Remchingen bei Karlsruhe noch dicht nebeneinander. Hier die moderne Produktion von Autoteilen unter laborähnlichen Bedingungen, da das laute Quietschen und Zischen bei der Produktion von Abgaskomponenten.
Der Mittelständler aus dem Nordschwarzwald ist den Wandel gewohnt. Ursprünglich im Jahr 1854 zur Schmuckproduktion gegründet, stellten die Badener 1885 auf Duschschläuche um. In den 1990er-Jahren folgte dann die Produktion von Verbrennerkomponenten. Über Jahrzehnte hat das Unternehmen gut von der fossilen Autoindustrie gelebt. Im Jahr 2015 hat sich die Geschäftsleitung dann für eine umfassende Transformation entschlossen. Deutlich früher als viele andere in der Branche.
"Ein großer Transformationsprozess"
"Unser Unternehmen befindet sich in einem großen Transformationsprozess", sagt Geschäftsführer Philip Paschen. Man habe früh verstanden, dass die Verbrennertechnologie keine Zukunft hat. "Unsere Produkte müssen in neuen Anwendungen Platz finden. Zum Beispiel in den Elektrofahrzeugen oder in der Wasserstoffwirtschaft", so Paschen.
Deswegen produziere man nun beispielsweise Druckspeicher für Elektroautos. Das Ziel sei "in der postfossilen Welt zu bestehen". Die Transformation bedeute aber nicht nur die Produktion von anderen Teilen. Auch die Digitalisierung im Unternehmen müsse vorangetrieben, die Mitarbeitenden müssten mitgenommen werden.
Mit Druckerspeichern für E-Autos setzt die Firma Witzenmann auf eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe.
Die deutsche Leitindustrie in Gefahr
"Die Automobilbranche ist die deutsche Leitindustrie“, sagt Ina Schaefer vom Karlsruher Institut für Technologie. Sie ist Co-Vorsitzende des Expertenkreises Transformation der Automobilwirtschaft, die das Bundeswirtschaftsministerium ins Leben gerufen hat. "Die Automobilbranche ist für Deutschland so wichtig, weil sehr viele Arbeitsplätze auch in kleinen und mittelständischen Zuliefererbetrieben hängen", so die Wissenschaftlerin.
Es geht auch um Arbeitsplätze, die womöglich verloren gehen, wenn ein Unternehmen nicht mit der Zeit geht. "Ich sehe das durchaus als reale Gefahr, dass wir in Sachen Transformation zu spät dran sind", so Schaefer. Das liege auch daran, dass man in der Verbrennertechnologie Vorreiter war. "Die Geschäfte sind in den letzten Jahren sehr, sehr gut gelaufen mit dem Verbrenner." Die Verkaufszahlen und der Absatz hätten gestimmt. "Wenn es so ist, dann haben die Unternehmen natürlich erstmal von außen keinen Druck, sich zu transformieren."
Tesla vor Volkswagen
Dabei sinkt die Produktion von Autos in Deutschland bereits seit 2016 rapide: von 5,75 Millionen produzierten Pkw auf zuletzt 3,4 Millionen Stück. Ein Grund dafür war aber auch die Corona-Pandemie. In Sachen Elektromobilität drohen die Deutschen sogar den Anschluss zu verlieren. 2022 war das Tesla Model Y das meistverkaufte Elektroauto im Land. Volkswagens ID.4 folgte erst auf Platz vier.
Schaefer benennt weitere Probleme: "Gerade wenn wir in den Bereich Software und Infotainment schauen, dann stellen wir fest, dass viele der großen deutschen Fahrzeughersteller mit den großen amerikanischen IT-Unternehmen paktieren, weil sie selber an bestimmten Stellen die Softwarekompetenz nicht haben."
Gemeinsam durch den Wandel
In Baden-Württemberg haben sich jetzt Unternehmen aus der Automobilbranche zusammengeschlossen, um gemeinsam den Wandel zu gestalten. Als Experte für digitale Transformation begleitet Bernhard Kölmel von der Hochschule Pforzheim das Projekt. "Die Zuliefererindustrie ist die dominierende Branche in der Region. Mehr als zehn Prozent aller Arbeitsplätze hängen direkt am Automobil", so Kölmel. Im Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald wolle man den Unternehmen helfen "Zukunftsbilder zu gestalten, daraus Strategien abzuleiten und dann im nächsten Schritt Zukunftsprojekte zu initiieren".
Bei Witzenmann in Remchingen hat man diesen Weg bereits eingeschlagen und freut sich über die weitere Unterstützung aus dem Netzwerk: "Wir können voneinander sehr viel lernen", sagt Geschäftsführer Paschen, "oder uns gegenseitig mal Mut machen, dass man durch diese große Veränderung auch durchkommt".