Psychotherapie Kasse machen mit Kassensitzen?
Wer in Deutschland eine Psychotherapie machen will, muss oft mit langen Wartezeiten rechnen. Dabei gibt es eigentlich genug Therapeuten. Die allerdings müssen für einen Kassensitz viel Geld bezahlen.
Für Katharina Buttkus war der Gipfel erreicht, als sie vor dem Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) belehrt wurde: "Sie müssen doch wissen, dass 100.000 Euro in Köln normale Preise sind!" Das sei ihr gesagt worden, bevor sie als Übernahmekandidatin eines halben psychotherapeutischen Kassensitzes in Köln abgelehnt wurde. Und zwar, obwohl sie nach den offiziellen Kriterien des Zulassungsausschuss geeigneter war als ihre Mitbewerberin, wie sie selbst erzählt.
Mithilfe ihrer Anwältin Caterina Wehage legte sie Widerspruch ein und sagte einem System den Kampf an, das sich in den vergangenen Jahren in einigen Regionen Deutschlands mehr und mehr zuzuspitzen scheint.
Auswahlverfahren kaum reguliert
Buttkus ist Psychotherapeutin in Hannover und stellt bei ihrem Wechsel nach Köln fest, dass es hier wesentlich schwieriger ist, eine Kassenzulassung zu bekommen. Freiwerdende Kassensitze werden online ausgeschrieben. Darauf darf sich jeder approbierte Therapeut bewerben. Bei mehreren Bewerbern soll der Zulassungsausschuss die am besten geeignete Person auswählen. Häufig findet die Selektion aber bereits vorab statt und im Zulassungsausschuss sitzt nur ein Bewerber.
Denn die Abgeber dürfen vorab Kontakt mit den Bewerbern aufnehmen. Das wird dazu genutzt, die Modalitäten der Praxisübernahme zu klären: Theoretisch kann es dabei um die fachliche Ausrichtung und die berufliche Vorerfahrung gehen, praktisch berichten zahlreiche befragte Therapeuten uns, dass es vor allem um eins ginge: den Übernahmepreis.
Bis zu 180.000 Euro für halben Kassensitz
Häufig senden Abgeber Mails, um das höchste Gebot zu erfragen. Bewerber, die weniger bieten, werden dann gebeten, ihre Bewerbung wieder zurückzuziehen. So sitzt am Ende nur noch ein Bewerber vor dem Ausschuss. Das führt dazu, dass gerade in Städten mit hoher Therapeutendichte Preise von bis 180.000 Euro für eine halbe Zulassung, quasi einen Kassensitz in Teilzeit, verlangt werden. Was vielen Therapeuten dabei nicht bewusst ist: Eigentlich dürfen Kassensitze gar nicht verkauft werden.
Deshalb werden die Kassensitze der aktuellen Inhaber an den Verkauf ihrer Praxis gekoppelt. Das Bundesgesundheitsministerium bestätigt gegenüber Plusminus, dass wirtschaftliche Interessen bei der Weitergabe von Kassenzulassungen aber nur im Rahmen des Verkehrswerts der zugehörigen Praxis eine Rolle spielen darf. Der Verkehrswert einer Praxis orientiert sich an ihrem Gewinn und kann mit einer offiziellen Formel berechnet werden: Davon ausgehend sind Preise jenseits von 50.000 bis 60.000 Euro in der Regel Wucher.
Keine Sachwerte bei Psychotherapie-Praxen
Hinzu kommt, dass bei psychotherapeutischen Praxen - im Gegensatz zu medizinischen - kaum weitere Sachwerte mit veräußert werden können. Es gibt keine teuren medizinischen Geräte, kein Personal und in der Regel keinen nennenswerten Patientenstamm, der übernommen werden kann, da Psychotherapien zeitlich begrenzter sind.
Dadurch wird deutlich, dass es eigentlich die Kassenzulassung ist, die die Preise in die Höhe treibt. In Online-Inseraten wird das auch direkt so formuliert: "Ich gebe eine halbe Zulassung in Köln-Lindenthal zum nächstmöglichen Zeitpunkt ab. Berücksichtigt werden alle Angebote ab 120.000 Euro."
Junge Therapeuten, die sowieso schon Zehntausende Euro in ihre Ausbildung investiert haben, zahlen diese Preise dann aber auch, um gesetzlich Versicherte behandeln zu dürfen. Bei der Ärzte- und Apothekerbank sind solche Kredite im Standard-Portfolio. Die Therapeuten wissen aber häufig nicht, dass sie ihre Bewerbungen vor dem Zulassungsausschuss auch bei niedrigerem Gebot nicht zurückziehen müssten. In Köln berichten uns zudem mehrere Bewerber, dass ihnen beim Zulassungsausschuss genau dazu geraten wurde.
Kassenärztliche Vereinigung verweist auf Widerspruch
Die Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer, Andrea Benecke, kennt die Problematik und hätte dazu auch einen Lösungsvorschlag: Den tatsächlichen Verkehrswert einer Praxis verpflichtend für das Vergabeverfahren zu ermitteln. Das würde der Transparenz für alle beteiligten Parteien dienen und den Schwarzmarkt beenden.
Die Kassenärztliche Vereinigung stand Plusminus für ein Interview nicht zur Verfügung. Sie verweist in einer schriftlichen Stellungnahme auf die Möglichkeit der Bewerber, Widerspruch einlegen zu können. Genau das hat Katharina Buttkus jetzt getan. Der Ausgang bleibt abzuwarten.
Worauf sowohl Buttkus als auch die Bundespsychotherapeutenkammer aber letztlich hoffen: Dass sich die Bundesregierung generell zu einer Ausweitung der Kassensitze entschließt. Das würde sowohl Patienten helfen, die monatelang auf einen Therapieplatz warten, als auch jungen Psychotherapeuten, die verzweifelt nach einer Kassenzulassung suchen. In dieser Legislaturperiode ist, nach dem Bruch der Ampel-Koalition, allerdings mit keiner politischen Entscheidung mehr zu rechnen.