Studie in England KI-Chatbot vermittelt Psychotherapie-Plätze
In England ist ein KI-Chatbot im Einsatz, der Betroffenen bei der Suche nach einem Psychotherapie-Platz hilft - laut einer Analyse mit positivem Effekt. Ein Modell auch für Deutschland?
"Ich bin ein freundlicher Roboter-Assistent, der Ihnen den Zugang zu psychologischer Unterstützung erleichtert”, schreibt der KI-Chatbot Limbic Access direkt am Anfang, wenn Betroffene nach einem Platz für eine Psychotherapie suchen. Der Chatbot ist in England bereits als Medizinprodukt zugelassen und soll Menschen helfen, die eine Psychotherapie beginnen wollen.
Durch den Einsatz eines KI-Sprachmodells soll der Chatbot möglichst natürlich und einfühlsam antworten, fast wie ein Mensch, sagt der Psychologe Max Rollwage: "Durch die Künstliche Intelligenz soll der Patient das Gefühl haben, nicht nur mit einer komplett stumpfen Maschine zu sprechen." Rollwage hat sich auf KI-Anwendungen spezialisiert. Vor acht Jahren ist der Psychologe aus Deutschland nach England gezogen. Dort arbeitet er seit zweieinhalb Jahren für das englische Start-up Limbic, das den KI-Chatbot entwickelt hat.
Mehr Selbsteinweisungen durch den Chatbot
Der Chatbot soll die Betroffenen immer wieder motivieren und ihnen helfen, die eigenen Symptome besser einschätzen zu können. Am Ende soll er direkt den passenden Psychotherapie-Platz anfragen, damit die Hilfesuchenden möglichst schnell ihre Therapie starten können.
Wie gut das funktioniert, hat eine Studie mit 129.400 Betroffenen untersucht. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal "Nature Medicine" veröffentlicht. In der Studie konnten sich Personen aus der Kontrollgruppe nur mit einem Formular um einen Therapie-Platz bewerben. Alle anderen durften den KI-Chatbot nutzen - mit spürbarem Effekt: Durch den Chatbot entschieden sich am Ende mehr Hilfesuchende für eine Psychotherapie. Die Zahl der Selbstüberweisungen stieg um 15 Prozent - viel mehr als in der Kontrollgruppe mit dem einfachen Formular. In der Kontrollgruppe betrug der Anstieg der Selbstüberweisungen nur sechs Prozent.
"Die Studie ist methodisch hochwertig durchgeführt", sagt Professor Harald Baumeister gegenüber dem Science Media Center. Baumeister leitet die Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Ulm. Ob der Chatbot alle psychometrischen Anforderungen bestmöglich erfüllt, könne er nicht genau nachvollziehen. In einer früheren Studie konnte der Chatbot aber recht sicher psychosomatische Störungen erkennen. Das Tool lag in 93 Prozent der Vorhersagen richtig.
Vor allem bisher unterrepräsentierte Gruppen profitierten vom Chatbot
Besonders überraschend ist der Blick auf Bevölkerungsgruppen, die in England zur Minderheit gehören und im Durchschnitt auch seltener eine Psychotherapie aufsuchen, wie zum Beispiel nicht-binäre Menschen oder Menschen aus ethnischen Minderheiten, sagt Psychologe Rollwage: "Das hat mich persönlich am meisten überrascht."
Einige Minderheiten profitierten von dem Chatbot besonders deutlich: Bei Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität gab es einen Anstieg von 179 Prozent. Bei ethnischen Minderheiten lag der Anstieg bei 29 Prozent. Ob Menschen mit niedrigem Bildungsstand von dem Chatbot profitieren, wurde in der Studie nicht untersucht.
Das beteiligte Forschungsteam vermutet, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen in einigen Bereichen offener gegenüber einem Chatbot sind. Möglicherweise halten sie einen Chatbot für vertrauensvoller und hoffen, dass der Chatbot Vorurteile ausblendet, sagt Rollwage, der den Chatbot mitentwickelt hat: "Man bekommt zwar die Motivation und Empathie, muss aber nicht mit einem Menschen sprechen." Mögliche Schamgefühle und Stigmatisierungsängste scheinen beim Chatbot eine geringere Rolle zu spielen, so eine weitere Vermutung.
"Wir wollen auch gar nicht, dass der Mensch vergisst, dass er mit einer Maschine chattet", betont Psychologe Rollwage. Niemand müsse Angst haben, in einem persönlichen Gespräch mit einem Menschen nicht ernst genommen zu werden. Der KI-Chatbot führt also ein individuelles Erstgespräch und geht immer weiter auf die Symptome ein, um sie möglichst genau zu analysieren. In der späteren Behandlung ist der Chatbot nicht beteiligt. Generell können KI-basierte-Anwendungen für psychische Beschwerden eine Behandlung ergänzen, aber nicht ersetzen.
Chatbot soll auch den Therapeuten helfen
Der Chatbot stellt eine erste Diagnose und teilt die Ergebnisse dem Therapeuten zu Beginn der Therapie mit: "Dann kann man bei der ersten Therapiesitzung eventuell schon tiefer in das ganze Probleme einsteigen", sagt Rollwage. Die Therapeuten könnten dann die Diagnose zu Beginn der Therapie um etwa 25 Prozent schneller stellen und damit die Behandlung direkt effektiver gestalten. Der Chatbot priorisiert Betroffene mit besonders schweren Symptomen, um in diesen Fällen möglichst schnell einen Therapieplatz vermitteln zu können.
Therapeutinnen und Therapeuten könnten also mit Hilfe des Chatbots effizienter zuarbeiten: Vielleicht haben sich auch deshalb die Wartezeiten auf einen Therapieplatz in der Analyse nicht verändert, obwohl eigentlich mehr Patienten und Patientinnen eine Therapie beginnen. Ein überraschendes Ergebnis, das bei einigen Fachleuten kritische Fragen aufwirft. Es ist unklar, ob die effizienteren Therapien den Anstieg der Patientenzahlen langfristig wirklich kompensieren können.
Hilft der Chatbot bald auch Betroffenen in Deutschland?
Insgesamt ist das System der psychotherapeutischen Versorgung in England nur schwer mit der Situation in Deutschland zu vergleichen. In Deutschland müssen Betroffene oft die einzelnen psychotherapeutischen Praxen abtelefonieren und sich auf Wartelisten setzen lassen. In England werden die Therapieplätze für depressive Erkrankungen und Angststörungen auf regionaler Ebene zentral vergeben. Das heißt: Nach dem Chatbot erhalten die Betroffenen ganz automatisch einen Rückruf oder eine Email, wenn die gewünschte Therapie starten kann. Der Chatbot ist nicht nur Motivator, sondern bringt die Anfrage für eine Therapie direkt auf den Weg.
In Deutschland kann der Chatbot nicht als Vermittler arbeiten, weil die Therapieplätze in Deutschland nicht zentral vergeben werden - auch nicht auf regionaler Ebene wie in England. "Aktuell ist der Einsatz von KI-gestützten Chatbots noch nicht in der Regelversorgung der Krankenkasse involviert", sagt Eva-Lotta Brakemeier, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Greifswald. Eine Einführung sei komplex, aber dennoch auch vielversprechend.
Natürlich könnte ein solcher Chatbot auch in Deutschland schon heute Hilfesuchende motivieren und bei der Erstdiagnose helfen, jedoch keine Plätze für eine Psychotherapie direkt vermitteln. Auch für einen Chatbot ist die Therapie-Suche in Deutschland derzeit zu kompliziert.