Künstliche Intelligenz Mit KI gegen den Fachkräftemangel?
Ob in Handwerk, Medizin oder Verwaltung: Vielerorts fehlen Fachkräfte. Die Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz wecken nun Hoffnungen. In einigen Branchen wird die Technik bereits genutzt - mit Erfolg.
Der Arbeitsmarkt in Deutschland steht von zwei Seiten unter Druck: Einerseits fehlen heute schon Hunderttausende Fach- und Arbeitskräfte. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer wird sich die Situation noch verschärfen. Gleichzeitig stehen viele Jobs auf der Kippe, die in Zukunft von einer Künstlichen Intelligenz, einer KI, gemacht werden sollen.
Weltweit könnten 300 Millionen Jobs ersetzt werden, so eine Prognose. Dass es so weit kommt, glaubt der KI-Experte vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa), Sebastian Terstegen, zwar nicht. "Gerade bei einfachen Tätigkeiten kann KI dem Arbeitskräftemangel aber entgegenwirken", so Terstegen im Podcast SWR2 Wissen. In verschiedenen Branchen zeichnen sich dabei unterschiedliche Entwicklungen ab, wie die folgenden Beispiele deutlich machen:
KI in der Medizin: Entlastung für Praxispersonal
Die Bundesagentur für Arbeit zählt medizinische Fachangestellte (MFA) zu den Berufen, in denen der Fachkräftemangel besonders spürbar ist. Die typische Situation in einer Praxis heute: Patienten stehen an der Anmeldung, brauchen ein Rezept oder müssen in die Behandlungsräume geführt werden, gleichzeitig klingelt das Telefon - Multitasking pur.
Um die MFA von einfachen Tätigkeiten zu entlasten, setzt das Hausarztzentrum Rauenberg, südlich von Heidelberg, auf KI. Ein smarter Telefon-Assistent nimmt alle Anrufe von Patientinnen und Patienten entgegen, vergibt Termine oder nimmt Rückrufbitten und Rezeptbestellungen auf. Das Praxisteam kann diese dann später gesammelt abarbeiten und sich bis dahin auf die Patientinnen und Patienten in der Praxis sowie alle anderen fachspezifischen Aufgaben konzentrieren.
Durch die KI-Technik seien ihre Praxis-Angestellten effizienter, aber auch zufriedener, beobachtet die leitende Ärztin der Praxis, Rita Bangert-Semb: "Der Zeitdruck wird weniger." Die Arbeit werde so attraktiver; das senkt die Gefahr, dass gute Angestellte sich einen anderen Job suchen. Auch in anderen Bereichen der Medizin kann KI das Personal entlasten: zum Beispiel bei der Erstellung von Arztbriefen, bei der Brustkrebserkennung oder in der Pflege.
KI in der Verwaltung: Wie Gerichte Massenverfahren beschleunigen
Auch in der Justiz soll der Einsatz von Künstlicher Intelligenz Richterinnen und Richter von Routineaufgaben entlasten und so Prozesse beschleunigen. Beispiel Stuttgart: Der Dieselskandal hat dort eine regelrechte Prozesslawine in Gang gesetzt. Die Zahl der Fälle vor dem Oberlandesgericht (OLG) hat sich in den vergangenen fünf Jahren verzehnfacht.
Das OLG setzt nun einen KI-Assistenten für die rund 15.000 Dieselverfahren ein. Die KI analysiert die teils mehr als 100-seitigen Verfahrensdokumente und gruppiert sie. Die Richterinnen und Richter können dann zusammenhängende Fälle schneller abarbeiten.
In Zukunft könnte die KI sogar dabei helfen, Urteile zu individualisieren, erklärt der Stuttgarter Richter Jan Spoenle. Dabei urteilt die KI nicht selbst und verfasst auch nicht selbstständig juristische Texte. Stattdessen vervollständigt sie die fallspezifischen Einzelheiten in von Richterinnen und Richtern verfassten Mustertexten - zum Beispiel Fahrzeugtyp, Kaufpreis oder Kilometerstände. Spoenle schätzt, dass die KI ihm und seinen Kolleginnen rund die Hälfte der sonst nötigen Arbeitszeit erspart.
KI im Handwerk: Potenzial vor allem im Neubau
Der Fachkräftemangel trifft das Handwerk besonders hart: Bereits 2022 waren mehr als 150.000 Stellen in Deutschland nicht besetzt. Gleichzeitig könnten laut einer Studie von Goldman Sachs gerade einmal rund fünf Prozent der Arbeiten von KI oder anderen Technologien übernommen werden.
Vor allem bei Malerarbeiten in Neubauten sieht das Berliner Start-up Conbotics Potenzial. Anfang 2024 will das Unternehmen einen Malerroboter auf den Markt bringen, der mittels KI eigenständig einen kompletten Raum streichen beziehungsweise spritzen oder sprühen soll und dabei selbstständig Fenster, Türen und sonstige Hindernisse auslässt.
Malermeister Robert Sachs hat das junge Unternehmen beraten. Er schätzt, dass der Malerroboter auf der passenden Baustelle zwei Arbeitskräfte ersetzen könnte. Der Vorteil sei vor allem, dass der Roboter nicht müde werde und die Qualität konstant bleibe. Für Renovierungen und Sanierungen sei der Roboter aber eher nicht geeignet. "In einer Altbauwohnung mit schmalem Flur und Schlauchbad hat er keine Chance. Da kommst Du als Mensch schon kaum irgendwo ran", so Sachs.
Fazit: KI kann Fachkräfte entlasten, schafft aber neue Aufgaben
Zwar lassen sich inzwischen für so gut wie alle Branchen Beispiele finden, wie Künstliche Intelligenz Fach- und Arbeitskräfte entlasten soll, in allen Fällen gilt aber: Irgendwer muss die Technik auch programmieren und überwachen. Die Arbeitsmarktsoziologin Sabine Pfeiffer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg glaubt deswegen, dass das Potenzial von KI auf dem Arbeitsmarkt überschätzt werde. "Wir werden erst mal mehr Fachkräfte beschäftigen müssen", so Pfeiffer.
Diesen Effekt habe es auch bei anderen Technologiesprüngen in der Vergangenheit gegeben, ergänzt der KI-Experte Terstegen. Bisher seien nach technologischen Veränderungen eigentlich immer mehr Jobs neu entstanden, als durch die Technologie entfallen seien. Ohnehin stehe die Entwicklung erst ganz am Anfang. "Ich glaube, dass das noch sehr lange dauern wird, bis man wirklich grundlegende Änderungen am Arbeitsmarkt oder in den einzelnen Berufen feststellen wird", so Terstegen.