Probleme im Glasfaserausbau Bauarbeiter ausgebeutet und schikaniert
In der Glasfaser-Branche häufen sich nach Report-Mainz-Recherchen Fälle von Lohnbetrug und illegaler Beschäftigung. Die Rufe nach schärferen Gesetzen werden lauter.
Für Tahir, Jovan und Sasa waren es harte Monate: Im vergangenen Sommer kamen die drei Männer aus Serbien und Bosnien nach Deutschland, um hier beim Ausbau des Glasfasernetzes zu arbeiten. In Mössingen in Baden-Württemberg rissen sie Straßen und Gehwege auf, um darin dann die Leerrohre für die hauchdünnen Glasfaser zu legen.
"Alles, was ich im Leben geschafft habe, habe ich mit meinen zehn Fingern geschafft", erzählt Tahir stolz. So sollte es auch dieses Mal sein. Doch ihre direkten Arbeitgeber aus Slowenien und Kroatien hätten sie nur ausgenutzt, sagen die drei. Das Versprechen, einen ordentlichen Arbeitsvertrag zu erhalten, kranken- und sozialversichert zu sein, sei nie eingehalten worden.
Vorwurf: Schwarzarbeit und Lohnprellerei
Die drei Arbeiter sind im vergangenen Herbst in ihre Heimat zurückgekehrt, warten aber bis heute auf einen Teil ihres Lohns. Zwölf Euro pro Stunde seien damals vereinbart gewesen, sagt Sasa. Allein ihm fehlten noch rund 3.000 Euro. Geld, auf das der alleinerziehende Vater dringend angewiesen ist.
Inzwischen geben rund 20 weitere Personen an, dass ihnen bei denselben Arbeitgebern Ähnliches passiert sei. In Mössingen war es die Deutsche Glasfaser, die vor Ort das Netz baute. Allerdings bedient sich der Konzern - wie insgesamt in der Glasfaser- und Baubranche üblich - weiterer General-, Nach- und Subunternehmen, die die Arbeiten vor Ort koordinieren und ausführen.
Kette von Sub-Subunternehmern
Report Mainz hat alle beteiligten Unternehmen kontaktiert und um Stellungnahmen gebeten. Die direkten Arbeitgeber der osteuropäischen Männer haben nicht geantwortet. Die Deutsche Glasfaser betont allgemein, dass man sich "selbstverständlich an alle arbeitsrechtlichen Regelungen" halte. Eine Kollegin aus dem Bau-Partnermanagement habe im August die Baustelle in Mössingen kontrolliert. "Im Gespräch mit verschiedenen Arbeitern (…) wurden ihr keinerlei Beschwerden zu den Arbeitsbedingungen vorgebracht."
Hingegen schreibt die Kubus Projektbau, die ebenfalls am Glasfaserausbau in Mössingen beteiligt gewesen war, "dass unsere Subunternehmer ihren Verpflichtungen nicht vollständig nachkamen". Man könne bei dem Subunternehmer "nicht vollständig kontrollieren (…), wie und ob seine Arbeitskräfte bezahlt werden".
Gesetzesverstöße auf Baustellen bundesweit
Was den Bauarbeitern in Mössingen widerfahren ist, scheint kein Einzelfall zu sein. Report Mainz hat Dutzende weiterer Vorfälle dokumentiert, die sich seit Anfang 2022 in verschiedenen Regionen Deutschlands ereignet haben. Die Palette reicht von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Lohnprellerei über 16-Stunden-Arbeitstage bis hin zu organisierter Kriminalität und Menschenhandel - alles passiert im Glasfaserausbau.
In einem Fall wurde ein Mann aus Ungarn, der in Nordrhein-Westfalen arbeitete, von seinem Subunternehmer geschlagen. Als er nach dem fehlenden Lohn fragte, wurde er vor die Tür gesetzt. In einem anderen Fall, im Frühjahr 2023, haben Zollbeamte drei Unternehmer aus dem Raum Marburg festgenommen, die im Auftrag der Glasfaser Plus - ein Joint Venture von Deutscher Telekom und dem IFM Global Infrastructure Fund - aktiv gewesen sind. Sie sollen in größerem Stil Steuern und Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen haben.
In einem dritten Fall wiederum, in Rittersheim in Rheinland-Pfalz, erzählt der Ortsbürgermeister von Bauarbeitern, die hungern mussten.
IG Bau appelliert an Internetanbieter
Carsten Burckhardt, der im Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sitzt, appelliert in erster Linie an die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen. "Die großen Auftraggeber müssen darauf achten, dass diejenigen, die Glasfaserkabel verlegen, vom Fach sind und ordentliche Arbeitsbedingungen vorfinden", sagt er.
Seine Gewerkschaft stelle allerdings ein hohes Maß an Scheinselbständigkeit auf den Baustellen fest. "Damit kann man als Deutsche Telekom, Vodafone - oder welches Telekom-Unternehmen auch immer - nicht zufrieden mit sein. Man will doch auch Werte vermitteln", so Burckhardt. Doch weil der Tiefbaumarkt sehr heiß umkämpft sei, würden jetzt auch Firmen in den Wettbewerb einsteigen, die mit der Bauwirtschaft gar nichts zu tun hätten.
Tatsächlich ist das Ausbautempo laut des Bundesverbands Breitbandkommunikation (BREKO) inzwischen recht hoch. Die Bundesregierung hatte Mitte 2022 ihre "Gigabitstrategie" vorgestellt. Danach soll bis zum Jahr 2025 die Hälfte aller Haushalte in Deutschland über einen schnellen Glasfaseranschluss verfügen. Der Branchenverband BREKO hält dieses Ziel derzeit für realistisch. Stellt sich die Frage: Findet der schnelle Ausbau auf dem Rücken der Bauarbeiter statt?
Intransparenz begünstigt Ausbeutung
Ein Problem für die betroffenen Arbeiter ist oft die Intransparenz des Sub-Subunternehmer-Systems. Beispiel Dawid Serafin: Der Pole arbeitete vor drei Jahren auf mehreren Glasfaser-Baustellen zwischen Schleswig und Rendsburg. Als sein Arbeitgeber den ausstehenden Lohn in Höhe von mehr als 8.000 Euro netto nicht zahlte, zog er vor das Arbeitsgericht Flensburg. Das Gericht gab ihm zwar recht, doch sein früherer Arbeitgeber meldete Insolvenz an - und zahlt deshalb bis heute nicht.
Jetzt müsste sich Serafin eigentlich an den nächsten in der Sub-Subunternehmerkette wenden, etwa den Generalunternehmer. Doch wer das ist, weiß er nicht - noch nicht einmal, welcher Anbieter damals in Norddeutschland den Netzbau beauftragte.
Bauarbeiter im Abhängigkeitsverhältnis
"An der Transparenz hapert es leider meistens", sagt Frederic Hüttenhoff, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen ist. Die Intransparenz erschwere es sowohl den Zollbehörden als auch den Beschäftigten, das Recht durchzusetzen.
Hinzu kommt laut Hüttenhoff, dass viele Bauarbeiter - ob aus Osteuropa oder aus Drittstaaten wie Nordafrika oder Nahost - oft über kein Netzwerk verfügten und es sich deshalb mit ihrem einzigen Arbeitgeber nicht verscherzen wollten. "Also gehen sie nicht gegen Arbeitsausbeutung vor." Noch schlimmer sei es oft für Personen aus Drittstaaten, die hier nur ein Aufenthaltsrecht hätten. "Das Aufenthaltsrecht ist hier an die Beschäftigung gekoppelt. Verlieren sie ihren Job, müssen sie zeitnah ausreisen." Die Arbeitnehmer befinden sich also in einem starken Abhängigkeitsverhältnis.
Ampel-Politiker fordert Sonderregelung
Wegen der bundesweiten Fälle von Sozialdumping im Glasfaserausbau werden die Rufe nach schärferen Regeln lauter. Im Interview mit Report Mainz fordert zum Beispiel Frank Bsirske, grüner Bundestagsabgeordneter und früherer Chef der Gewerkschaft ver.di, eine sogenannte Sonderregelung Glasfaser. "Das heißt, es sollen nur solche Generalunternehmen und solche Subunternehmen beauftragt werden dürfen, die nachweisen können, dass sie bei der SOKA-BAU, also der Sozialkasse der Bauwirtschaft, angemeldet sind."
Genauso kann sich der Ampel-Politiker weitere Gesetzesverschärfungen vorstellen: zum Beispiel eine Pflicht, wonach die Telekom-Anbieter regelmäßig alle Unternehmen in der Kette kontrollieren müssen, um zu überprüfen, ob diese sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Auch sollten die milliardenschweren Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen für den Glasfaserausbau an Sozialstandards gekoppelt sein. Denn eines sei für die Branche klar, so Bsirske: "Das sind himmelschreiende Verhältnisse, das ist organisierter Lohnbetrug, der danach schreit, zu handeln."