Tschechien und der EU-Arbeitsmarkt "Die deutschen Ängste sind überzogen"
Viele Tschechen fühlen sich als EU-Bürger zweiter Klasse, weil ihnen die Arbeitsmärkte von Deutschland und Österreich weitgehend verschlossen sind. Diese Regelung dürften die EU-Arbeitsmininister heute verlängern. In Tschechien versteht das kaum jemand.
Von Christina Janssen, ARD-Hörfunkstudio Prag
Mittagspause im Prager Café Hany Bany. Viele Studenten gehen hier zwischen zwei Vorlesungen schnell einen Happen essen oder einen Kaffee trinken. Und sie diskutieren - über ihr Studium, die vielen Prüfungen und die Aussichten auf einen Job. Dass Deutschland weiterhin sein eigenes Süppchen kochen will, wenn es um das Thema Freizügigkeit in Europa geht, das können viele junge Leute hier nicht verstehen. Widersinnig sei das, meint Studentin Alice, denn: "Soweit ich die Prinzipien der EU verstanden habe, geht es doch darum, dass alle Länder sich gegenseitig bereichern." Überzogen seien die Ängste, fügt Alice hinzu, und schließt die Österreicher in ihre Kritik ein.
Ihr Kommilitone Jan sieht es ähnlich. Für Deutschland, meint er, sollte ein offener Arbeitsmarkt doch kein Problem sein. "Ich glaube kaum, dass Tausende von Tschechen nach Deutschland aufbrechen wollen. Wer nach Deutschland wollte, ist schon längst dort - zum Beispiel als Krankenpfleger."
"Gewinn für beide Seiten"
In Deutschland grassiert noch immer die Furcht vor osteuropäischen Dumping-Arbeitern. Auf der anderen Seite sehen sich Tschechen, Polen oder Slowaken gedemütigt. Das Wort von den "Europäern erster und zweiter Klasse" macht wieder einmal die Runde. Eine Debatte, die man sich sparen könnte, meint der Ökonom Daniel Münich von der Prager Karlsuniversität, wenn man sie nur richtig führen würde. Bislang habe die Diskussion einen rein politischen Charakter gehabt. Fakt aber sei: "Die Gefahren durch die Öffnung der Arbeitsmärkte sind minimal. Wenn man sich auf die ökonomischen Fakten konzentrieren würde, würde sich zeigen, dass die Beschränkungen viel schneller abgebaut werden können als geplant. Die Freizügigkeit wäre ein Gewinn für beide Seiten."
Der Ökonom weiß, dass Deutschland auf seinem Standpunkt beharren und sich damit wohl auch durchsetzen wird. Als politisches Signal sei das aber höchst fragwürdig und Wasser auf die Mühlen der Euroskeptiker in Tschechien. "Sie argumentieren, die EU sei keine Union gleichwertiger Partner. Die größeren Staaten wie Deutschland und Frankreich seien immer im Vorteil. Allein deswegen müssen die Barrieren abgebaut werden."
Akademiker bereits willkommen
Doch die Parolen der radikalen Parteien fürchtet man auch in Deutschland. Deshalb will Berlin den Arbeitsmarkt nicht früher öffnen als unbedingt nötig. Dabei sieht es in der Praxis längst so aus, dass die meisten EU-Bürger, die in Deutschland arbeiten wollen, das auch können. Für Akademiker aus den neuen Mitgliedsländern hat Deutschland die Beschränkungen im letzten Jahr sogar weitgehend aufgehoben.
Darüber lächeln die Tschechen allerdings nur: Denn gerade die jungen Akademiker - die Computerexperten oder Ingenieure - bleiben lieber zu Hause. Und das mit gutem Grund, sagt Jiri Vachulka. Der 26-Jährige legt diese Woche sein Examen als Maschinenbau-Ingenieur ab: "Die Voraussetzungen hier in Tschechien sind perfekt. Deshalb ist mir nie in den Sinn gekommen, im Ausland zu arbeiten." Seinen Freunden und Kollegen gehe es genauso. "Wir bekommen hier ausgezeichnete Angebote und gute Gehälter. Ich kenne niemanden, der zurzeit ins Ausland gehen würde."
Trotzdem ist auch der junge Ingenieur der Ansicht, dass ein Europa ohne Barrieren ein besseres Europa wäre. Er hat während seines Studiums für deutsche und tschechische Unternehmen gearbeitet und möchte diese Erfahrung nicht missen. Die Tschechen seien ganz anders als die Deutschen. "Alles, was aus Deutschland kommt, ist präzise ausgearbeitet. Was aus Tschechien kommt, ist oft chaotisch. Aber es funktioniert - und niemand weiß warum. So können wir uns doch gegenseitig ergänzen."