Engpass in Großbritannien Die Medikamente werden knapp
In Großbritannien werden die Medikamente knapp. Die genaue Ursache ist unklar. Die Regierung betont, dass im Falle eines ungeordneten Brexit jedoch alles unter Kontrolle sei. Manche Briten zweifeln daran
Vor zweieinhalb Jahren infizierte sich Max Morris mit HIV, seit seinem elften Lebensjahr leidet er an Diabetes. Der 26-jährige Soziologe ist darauf angewiesen, dass er täglich seine Medikamente pünktlich einnimmt. "Wenn ich meine HIV-Medikamente nicht nehme, könnte ich eine Resistenz entwickeln, die Medikamente würden nicht mehr wirken", sagt er. Selbst ein oder zwei Tage Verzögerung könnten gefährlich werden.
Mit dem Insulin sei es ähnlich gelagert: "Wenn ich es nicht täglich nehme, dann würde sich mein Gesundheitszustand ernsthaft verschlechtern. Für mich ist es wirklich wichtig, dass ich jeden einzelnen Tag meine Medikamente nehme." Aus Angst vor einem ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU hat Morris bereits begonnen, Medikamente zu horten - entgegen den Empfehlungen der Behörden. Ein halbes Jahr würde er damit auskommen.
Gesundheitsminister Hancock bemüht sich, den Hamsterkäufen entgegenzuwirken
Die Regierung hat Vorkehrungen getroffen
Gesundheitsminister Matt Hancock versucht, diesen Hamsterkäufen entgegenzuwirken, weil sie erst recht zu Engpässen führen könnten. "Wir sind zuversichtlich, dass im Falle eines ungeordneten Austritts keine Probleme mit der Arzneimittelversorgung geben wird, wenn alle das tun was sie tun sollten", erklärte Hancock in der BBC. Die Regierung habe große Anstrengungen unternommen und "einiges an Steuergeldern investiert", damit die Menschen an ihre Medikamente kämen - egal was bei den Brexit-Verhandlungen herauskomme, so der Minister.
Angesichts des Brexit hat die Regierung die Pharmaunternehmen angewiesen, zusätzliche Vorräte für sechs Wochen anzulegen. Doch Fakt ist auch, dass Medikamente knapper sind denn je. Im vergangenen Oktober standen 45 Medikamente auf der Engpass-Liste, inzwischen werden bereits 80 Medikamente darauf geführt.
Die Gründe dafür sind allerdings vielfältig: Es gibt Schwankungen bei der weltweiten Nachfrage, oder auch Probleme bei den Herstellern. Das Thema sei komplex, sagt Sandra Gidley von der Royal Pharmaceutical Society: "Die Regierung hat die Pharmaunternehmen darum gebeten, einen Vorrat anzulegen. Falls es wegen des Brexit zu Problemen kommen sollte - etwa wegen Zollkontrollen - dann bekommen die Menschen auf diese Weise trotzdem ihre Medikamente."
Mehr Transparenz bei Notfallplänen gefordert
Über Weihnachten sei in den sozialen Medien jedoch zu beobachten gewesen, "dass die Leute eins und eins zusammengezählt haben und den aktuellen Engpass auf den Brexit zurückführen. Aber es sind globale Zusammenhänge", so Gidley.
Das Royal College of Physicians, das Tausende Ärzte vertritt, fordert mehr Transparenz bei den Notfallplänen der Regierung. Dies würde mehr Vertrauen schaffen und Menschen davon abhalten, selbst Arzneimittel zu hamstern.
Allein die Vorstellung, im Fall eines ungeordneten Austritts nicht rechtzeitig an seine Medikamente zu kommen, sorgt bei Max Morris für Panik. "Ich kann das einfach nicht verstehen, wie Theresa May - die selber an Diabetes leidet und genau weiß was das bedeutet - wie sie das anderen Menschen antun kann", sagt Morris. "Wie kann sie nicht erkennen wie beängstigend diese Aussicht ist, nicht jeden Tag an Insulin oder die Nadeln zu kommen?"
Sollte es tatsächlich zu einem ungeordneten Austritt kommen, würde Morris seine Konsequenzen ziehen: "Ich will nicht in einem Land leben, wo mit meinem Leben auf diese Art und Weise gespielt wird." Im schlimmsten Fall würde er dorthin ziehen, wo er seine Medikamente garantiert bekomme.
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