Brexit Mays gefährliche Zockerei
Mays Taktik beim Brexit ist verantwortungslos. Sie hält damit schon jetzt internationale Unternehmen von Großbritannien fern. Und niemand weiß, ob ihr Kalkül aufgeht.
Noch mehr Zeit für Verhandlungen? Und das mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum und mehr als eineinhalb Jahre nach Beginn der Verhandlungen mit der EU? Das Unverständnis über das bisher nicht Erreichte ist bei vielen in Großbritannien inzwischen in Wut übergegangen. Vor allem bei Geschäftsleuten und vielen einfachen Bürgern. Zu Recht.
Lange untätig
Allzu lang war die britische Regierung untätig, hat wertvolle Zeit verstreichen lassen. Viel zu lange hat Theresa May die Strömungen und Kräfte in der eigenen konservativen Partei falsch eingeschätzt, hat sich Gesprächen mit anderen Parteien verschlossen. Nur so ist zu erklären, dass sie einen Deal ins Parlament einbrachte, der scheitern musste.
Nachdem May mit dem Argument für ihren Deal geworben hatte, dass mehr nicht zu erreichen war, behauptet sie seitdem demonstrativ optimistisch, Änderungen am Backstop seien möglich. Und: Die Gespräche mit Brüssel seien jetzt in der entscheidenden Phase. In den Äußerungen der EU-Verantwortlichen spiegelt sich dieser Optimismus aber nicht wider.
May spielt auf Zeit
In Mays Verhalten steckt wohl ein Stück Realitätsverweigerung. Vor allem aber spielt die Premierministerin gnadenlos auf Zeit. Sie hofft auf kleine Zugeständnisse der EU in letzter Minute, vielleicht sogar in den letzten Tagen vor dem Austritt am 29. März - und, was wahrscheinlicher ist, auf das Einlenken einer Mehrheit im Unterhaus mit dem drohenden harten Brexit vor Augen.
May pokert mit hohem Einsatz und hohem Risiko. Denn niemand kann vorhersagen, ob ihr Kalkül aufgeht. Oder ob am Ende jene Kräfte im Parlament die Oberhand behalten, die einen harten Brexit für die beste aller schlechten Lösungen halten.
Harter Brexit wäre katastrophal
Mays Taktik ist verantwortungslos. Sie schwächt jetzt schon die Wirtschaft ihres Landes, treibt Unternehmer in den Wahnsinn und internationale Firmen dazu, sich für andere Standorte und Märkte zu entscheiden. Ein harter Brexit wäre für die Briten katastrophal, in nahezu allen Bereichen. Und er hätte das zur Folge, was angeblich alle verhindern wollen: eine harte Grenze auf der irischen Insel. Das würde nicht nur der ohnehin schwachen Wirtschaft Nordirlands einen Schlag versetzen, sondern es würde auch jenen in die Hände spielen, die das Chaos für neue Gewalt nutzen wollen. Damit geriete der Frieden auf der Insel in Gefahr.
Diese Risiken sind für Zockereien bis zur letzten Minute zu hoch. May muss jetzt einen Strich unter die Verhandlungen ziehen und das britische Unterhaus mit der Wahrheit konfrontieren, statt ihre bislang leeren Versprechen immer wieder zu erneuern. Wenn May nicht will, muss das Parlament sie dazu zwingen - bevor es zu spät ist und noch weiterer Schaden entsteht.
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