Ermittlungen in Österreich Mord beunruhigt Exil-Tschetschenen
Bei Wien ist am Samstagabend ein Tschetschene erschossen worden. Während die Ermittlungen laufen, verweisen Exil-Tschetschenen auf seine Kritik an Präsident Kadyrow und Anschläge auf weitere Landsleute in der EU.
Auf offener Straße ist in Österreich am Samstagabend ein Tschetschene getötet worden. Der 43-jährige Asylbewerber aus Russland wurde in Gerasdorf bei Wien erschossen. Die Polizei nahm zwei Verdächtige fest, der mutmaßliche Schütze und ein zweiter Mann sind ebenfalls Tschetschenen und sitzen in Untersuchungshaft. Sie schweigen bislang.
Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ermittelt - die Motivlage sei offen, sagte der Leiter des Amtes in Niederösterreich, Roland Scherscher. Es könne eine politische Handlung oder etwa ein Streit gewesen sein.
Das Opfer war seit 2007 als anerkannter Flüchtling im Land. Der Mann hatte nach österreichischen Medienberichten Polizeischutz angeboten bekommen, diesen aber abgelehnt. Er war unter anderem wegen Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung, falscher Zeugenaussage und Schlepperei vorbestraft.
Auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichte er seit April zahlreiche Videos, in denen er Kadyrow und auch dessen Familie massiv kritisierte. Die Nachrichtenagentur APA zitierte Mitglieder aus der tschetschenischen Exilgemeinde und deren Umfeld in Wien, wonach sich das Opfer mit dem Videoblog in Lebensgefahr gebracht habe. Seit längerem sei die Rede von Mordaufträgen und entsprechenden Summen gewesen.
Der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Harlem Desir, zeigte sich "erschüttert" über den Mord an dem Blogger und forderte eine "rasche und gründliche Untersuchung dieses schrecklichen Verbrechens".
Demonstration vor der russischen Botschaft
Ein bekannter tschetschenischer Exilpolitiker rief für Dienstag zu einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Wien auf. "Wir versuchen, auf diesen Mord zu reagieren", sagte Khuseyn Iskhanov österreichischen Medien. Seiner Ansicht nach handle es sich um einen politischen Auftragsmord unter Beteiligung russischer Geheimdienste und ihrer Agentennetzwerke. Russland müsse politische Morde an tschetschenischen Flüchtlingen in Europa beenden.
Bereits im Jahr 2009 war in Wien ein tschetschenischer Asylbewerber erschossen worden. Umar Israilow hatte vor dem Europäischen Menschrechtsgerichtshof mit Foltervorwürfen gegen die tschetschenische Führung geklagt. Die Staatsanwaltschaft Wien kam zu dem Schluss, dass Israilow zumindest mit Billigung Kadyrows verschleppt werden sollte. Als er sich dieser widersetzte, wurde er demnach erschossen.
Tausende Tschetschenen flohen in den vergangenen Jahren aus ihrer Heimat im russischen Nordkaukasus und erhielten Asyl. Bis 2009 herrschte Kriegszustand in der Teilrepublik, danach trieb die von Menschenrechtsverletzungen begleitete diktatorische Politik von Präsident Kadyrow viele Tschetschenen ins Exil.
Anschläge in Schweden und Lille
Doch es kam auch außerhalb Russlands zu Anschlägen auf Gegner Kadyrows, so in der Türkei und in der Ukraine. Dass Tschetschenen nicht einmal in der EU sicher sind, zeigte sich verstärkt in den vergangenen Monaten: Im Februar wurde der tschetschenische Blogger und Kadyrow-Kritiker Tumso Abdurachmanow nach eigenen Angaben in seiner Wohnung in Schweden von einem Mann mit einem Hammer angegriffen. Er habe den Angreifer überwältigen können und so den Anschlag überlebt. Die schwedischen Behörden nahmen eine Frau und einen Mann mit russischer Staatsbürgerschaft wegen versuchten Mordes fest.
Wenige Tage zuvor war der tschetschenische Blogger Imran Alijew mit tödlichen Stichwunden in einem Hotel in der nordfranzösischen Stadt Lille aufgefunden worden. Die Nachrichtenagentur AFP schrieb mit Berufung auf Aussagen aus Ermittlerkreisen, dass der Mord alle Anzeichen politischen Motivs trage. Auch Alijew war als harscher Kritiker Kadyrows bekannt, hatte sich aber mit seinen Videos auch Feinde in den Teilrepubliken Inguschetien und Dagestan gemacht.
Mord im Auftrag der russischen Regierung
Mehr Klarheit herrscht über die Hintergründe des Mordes an dem tschetschenisch-stämmigen Georgier Zelimkhan Khangosvhili, der am 23. August 2019 im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen worden war. Der Generalbundesanwalt geht laut Anklage vom 18. Juni von einem Mord im Auftrag der Regierung in Moskau aus. Khangoshvili hatte im zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft und war Gegner der russischen Führung und Kadyrows.
Der Tatverdächtige in diesem Fall ist nicht Tschetschene und handelte offenbar auch nicht im Auftrag Kadyrows, sondern stand investigativen Recherchen zufolge in Verbindung mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB in Moskau. Indizien deuten darauf hin, dass er bei der Ausführung der Tat mindestens einen Komplizen hatte.
Dieser Umstand und die Taten in der Europäischen Union sorgen für Unruhe unter den Diaspora-Tschetschen, besonders aber bei den Angehörigen der Opfer.
Über ihre Anwälte forderten Angehörige Khangoshvilis, dass dessen Verwandte in Deutschland und Schweden, die bislang keinen Schutzstatus haben, diesen nun gewährt bekommen. Zugleich zeigten sie sich froh über die Anklageerhebung in Deutschland. Angehörige und Bekannte Khangoshvilis in dessen georgischen Heimatregion äußerten die Hoffnung, dass die deutschen Behörden auch die Hintermänner ausmachen werden und das Töten von Tschetschenen zumindest in der EU ein Ende nimmt.