Ex-Geheimdienstkoordinator Ermittlungen gegen Schmidbauer
Seit Jahren gibt es offene Fragen zu Kontakten des Ex-Geheimdienstkoordinators der Bundesregierung in das Umfeld des mutmaßlichen russischen Spions Marsalek. Nun bestätigte die Staatsanwaltschaft Wien dem SWR: Gegen Schmidbauer wird ermittelt.
Bereits in den 1990er-Jahren war er eine schillernde Figur: Bernd Schmidbauer - unter Bundeskanzler Helmut Kohl Staatsminister im Kanzleramt und Geheimdienstkoordinator. Auch lange nach seiner aktiven Zeit bewegt sich der heute 85-Jährige weiter in Geheimdienstkreisen. Nun wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Wien gegen ihn ermittelt.
Es geht demnach um den Verdacht der "Bestimmung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses", so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien gegenüber dem SWR. "Bestimmung" entspreche im deutschen Recht in etwa der "Anstiftung" zu der entsprechenden Tat. Weitere Details zu den Ermittlungen gegen Schmidbauer wollte die Sprecherin nicht mitteilen.
Der ehemalige Geheimdienstkoordinator Schmidbauer hatte Jan Marsalek im Jahr 2018, also rund eineinhalb Jahre vor dem Zusammenbruch des Dax-Konzerns Wirecard, in dessen Münchner Villa gegenüber dem russischen Generalkonsulat getroffen, wie der SWR Anfang 2021 berichtete.
Kontakt nach Österreich
Der Wirecard-Vorstand habe "Interesse an Nachrichtendiensttechnik gehabt", sagte Schmidbauer damals. Zudem sei es um Libyen gegangen. Verbindungen Marsaleks zu russischen Geheimdiensten waren der Öffentlichkeit damals nicht bekannt. Über die Rolle Schmidbauers, der als Geheimdienstkoordinator von 1991 bis 1998 einer der höchsten Geheimnisträger Deutschlands war, wird deshalb gerätselt.
Klar ist mittlerweile: Schmidbauer hatte 2018 und 2019 häufiger Kontakt zu Akteuren aus dem Umfeld einer mutmaßlichen russischen Spionagezelle in Österreich. Diese wurde nach Ansicht von Ermittlern von Marsalek geführt. Recherchen internationaler Medien zufolge arbeitet er offenbar seit rund zehn Jahren für Russland. Schlüsselfigur des Spionageskandals, der in Österreich eine Staatsaffäre ausgelöst hat, ist der ehemalige Polizei-Chefinspektor Egisto Ott, der am Karfreitag 2024 festgenommen wurde. Neben Ott sollen weitere Spitzenbeamte für Marsalek tätig gewesen sein.
Brisante Fotos
Nun gibt es neue Details, die weitere Fragen aufwerfen. Nach SWR-Informationen liegen den österreichischen Ermittlern Bilder vor, die Ott, Schmidbauer, einen Vertrauten Schmidbauers und eine unbekannte Person bei einem Restaurantbesuch zeigen.
Laut Ermittlungsunterlagen hat Ott die Bilder im Januar 2019 an Johannes Peterlik, den damals ranghöchsten Mitarbeiter der parteilosen Außenministerin Karin Kneissl, weitergeleitet. Dazu schrieb der heute inhaftierte Ott: "Friedlich vereint. Der Nachrichtendienstschwindler und der Maulwurf."
Peterlik steht im Verdacht, 2018 einen streng geheimen Untersuchungsbericht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zum Nowitschok-Attentat auf den russischen Überläufer Sergej Skripal im britischen Salisbury an sich gebracht und Ott weitergegeben zu haben. Von ihm soll die Unterlage schließlich Richtung Jan Marsalek gegangen sein.
Aussage vor Staatsanwaltschaft
Ermittlungsakten, die dem SWR vorliegen, zeigen, dass Schmidbauer vor Ermittlern eine andere Variante ins Spiel brachte. Schmidbauer meldete sich Ende August 2022 bei der Staatsanwaltschaft München I und bot sich als Zeuge an. Im November habe er schließlich ausgesagt, dass ein hochrangiger Brigadier aus dem österreichischen Verteidigungsministerium "die Informationen betreffend Nowitschok weitergab". Brigadier Gustav G. habe diese in Marsaleks Münchner Villa übergeben. Eine seiner Quellen dafür sei Martin Weiss.
Weiss war bis 2017 ranghoher Mitarbeiter des Österreichischen Bundesamts für Terrorismusbekämpfung und Verfassungsschutz (BVT). Auch er ist ein Vertrauter Marsaleks. Ihm wurde vorgeworfen, Marsalek nach dem Zusammenbruch des Konzerns im Juni 2020 bei der fluchtartigen Ausreise gen Belarus geholfen zu haben. Weiss streitet ab, dass ihm bewusst gewesen sei, dass Marsalek sich absetzen wollte. Ermittlungen dazu wurden inzwischen eingestellt.
Enger Kontakt zu Weiss
Bemerkenswert ist, dass Schmidbauer seit Jahren auch engen Kontakt zu Weiss hatte. Ähnlich wie im Fall Peterlik setzte sich der Deutsche im April 2018 nach einem dem SWR vorliegenden Vernehmungsprotokoll auch bei der Staatsanwaltschaft Wien für Weiss ein, als dieser im Verdacht stand, Mitverfasser eines Konvoluts mit Falschanschuldigungen gegen BVT-Mitarbeiter zu sein.
Das Konvolut war Ausgangspunkt einer Geheimdienstaffäre in Wien. Dem damaligen Innenminister und heutigen Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Herbert Kickl, wurde vorgeworfen, das Papier im Februar 2018 als Grundlage genutzt zu haben, um das BVT stürmen zu lassen. Später stellte sich das Konvolut als substanzlos heraus, die Durchsuchung der Behörde als rechtswidrig.
Nicht zuletzt die Stürmung des BVT führte dazu, dass ausländische Partnerdienste und inländische Informanten die Zusammenarbeit einstellten. Der Verfassungsschutz wurde dadurch in seiner Arbeit stark eingeschränkt. Die Behörde wurde zum 1. Dezember 2021 aufgelöst. An ihrer Stelle wurde die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst gegründet.
Ott plante nach der Stürmung des BVT eine neue Geheimdienststruktur unter Leitung von Peterlik im Außenministerium. Über die Planungen ließ sich auch Außenministerin Karin Kneissl informieren, die heute in Russland lebt und Putin-Propaganda macht. Regelmäßig trat Kneissl in russischen Propagandakanälen auf. International bekannt wurde die Ministerin, als im Sommer 2018 überraschend Wladimir Putin bei ihrer Hochzeitsfeier in der Südsteiermark erschien.
Pläne gescheitert
Das Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition von Sebastian Kurz nach der Veröffentlichung des "Ibiza-Videos" ließ die Pläne für den neuen Geheimdienst scheitern. Mit Peterlik und Ott hätte dieser unter maßgeblicher Kontrolle von Leuten gestanden, die im Verdacht stehen, für Russland zu arbeiten.
Die Rolle Schmidbauers rund um Marsaleks mutmaßliche Spionagezelle treibt auch deutsche Parlamentarier um. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer, ein Parteifreund Schmidbauers, saß im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Dem SWR sagte er, dass es ihn erstaune, wie Schmidbauer im Untersuchungsausschuss "die Rollen von Egisto Ott und Martin Weiss auffallend verharmlosend darstellte".
Anwalt: Schmidbauer soll "kriminalisiert" werden
Auf SWR-Nachfrage ließ Schmidbauer nun über seinen Anwalt ausrichten, dass versucht werde, sein Verhalten "zu kriminalisieren". Der Anwalt teilte weiter mit, dass sich sein Mandant nichts vorzuwerfen habe, das würden auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien ergeben. Antworten auf die Fragen zur Nähe Schmidbauers zu den Marsalek-Akteuren seien jedoch nicht möglich, da es um Informationen "zu geheimen Vorgängen" gehe, "deren Offenbarung eine Gefahr für Leib und Leben mit sich bringen kann".
Ähnlich argumentiert auch ein Vertrauter Schmidbauers, der auf den Bildern zu sehen ist, die Ott mit den Begriffen "Nachrichtendienstschwindler" und "Maulwurf" an Johannes Peterlik schickte. Gegen diesen Vertrauten Schmidbauers laufen laut Staatsanwaltschaft Wien ebenfalls Ermittlungen aus denselben Gründen wie bei Schmidbauer selbst. Der Vertraute teilt mit, die unbekannte Person auf den Bildern habe mitgeholfen, zwei Österreicher aus arabischen Staaten zu befreien. Mit Marsalek habe das alles nichts zu tun.
Auf SWR-Anfrage wollte sich der Anwalt Peterliks mit Verweis auf das "offene Verfahren" nicht äußern. Der Rechtsbeistand von Egisto Ott ließ eine Anfrage unbeantwortet.