Uiguren in China Anzeige gegen deutsche Unternehmen
Menschenrechtler haben verantwortliche Mitarbeiter deutscher Firmen angezeigt, weil diese von Verbrechen an Uiguren in China profitiert haben sollen. Report Mainz und der SZ liegt die Anzeige exklusiv vor.
Systematische Überwachung, Misshandlungen und Zwangsarbeit - immer mehr Details kamen in den vergangenen Jahren ans Licht, wie die chinesische Regierung die muslimische Minderheit der Uiguren unterdrückt.
Mindestens eine Million Menschen sollen in der Region Xinjiang in Umerziehungslagern festgehalten werden, wo sie kulturell und politisch auf Linie gebracht werden sollen. Aus ländlichen Regionen sollen Tausende über staatlich organisierte Arbeitsprogramme zu Jobs genötigt werden, etwa in Garn- oder Textilfabriken.
Anzeige beim Generalbundesanwalt
Bis heute kommt aus Xinjiang ein wesentlicher Teil der weltweit verarbeiteten Baumwolle. Mit Blick auf die Lage in China sehen Menschenrechtsorganisationen daher auch eine Verantwortung bei der globalen Textilindustrie, womöglich sogar eine strafrechtliche.
Deshalb hat das Berliner "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) eine Anzeige beim Generalbundesanwalt eingereicht. Sie betrifft fünf große deutsche Konzerne, darunter den Discounter Lidl, und richtet sich gegen verantwortliche Mitarbeiter. Dem ARD-Politikmagazin Report Mainz und der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) liegt die Anzeige exklusiv vor.
Auf etwa 100 Seiten versuchen die Menschenrechtler, den Vorwurf zu begründen, dass sich verantwortliche Mitarbeiter der fünf Unternehmen der Beihilfe zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Versklavung verdächtig gemacht haben. Denn die Unternehmen hätten in den vergangenen Jahren direkte oder indirekte Lieferbeziehungen zu Textilfirmen in Xinjiang unterhalten, für die es Hinweise auf den Einsatz von Zwangsarbeitern gebe.
Keine Belege, aber Verdachtsmomente
China-Wissenschaftler Björn Alpermann, der seit Jahren an der Universität Würzburg zur Situation in Xinjiang forscht, hat die Anzeige analysiert. Auch er geht davon aus, dass Uiguren vielfach unter Zwang arbeiten müssen - zum Beispiel wenn sie nach der Inhaftierung in Umerziehungslagern in Jobs vermittelt werden.
"Die gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Massenverhaftungen seit Frühjahr 2017 lassen keinen anderen Schluss zu, als dass die Entlassenen nicht freiwillig in Beschäftigungen eintreten", so Alpermann gegenüber Report Mainz. Auch bei den Programmen zur Arbeitsbeschaffung für Uiguren aus ländlichen Regionen halte er es für plausibel, dass diese zu Jobs gedrängt werden.
Diesen Zwang für einzelne Zuliefererunternehmen zu belegen, so wie es die Anzeigensteller versuchen, sei jedoch äußerst schwierig. Denn die Situation vor Ort erlaube es weder Menschenrechtlern noch Journalisten, frei zu recherchieren. Aktuelle Augenzeugenberichte seien selten. Deshalb wagt der Experte mit Blick auf die Anzeige keine eindeutige Bewertung. "Ich kann in keinem der angezeigten Fälle glasklare Belege für Zwangsarbeit entdecken", aber es gebe "viele Verdachtsmomente, denen man nachgehen sollte", so Alpermann.
Zulieferlisten zeigen Verbindung nach Xinjiang
So richtet sich die Anzeige unter anderem gegen Lidl. Aus Zulieferlisten gehe hervor, dass Lidl Lieferbeziehungen mit zwei Firmen in Xinjiang unterhalten habe. Beide Zulieferer stehen laut Anzeige im Verdacht, ehemalige Insassen beziehungsweise "Graduierte" aus Umerziehungslagern beschäftigt zu haben.
Die Menschenrechtler beziehen sich unter anderem auf chinesische Behördendokumente. Diese zeigten, dass einer von Lidls Zulieferern 119 "Schulabsolventen, die noch keine Anstellung gefunden haben", beschäftigt habe. Dahinter verberge sich möglicherweise "eine euphemistische Bezeichnung für ehemalige Insassen von Lagern", sagt China-Experte Alpermann.
Für den zweiten Zulieferer von Lidl erkennt er in der Anzeige lediglich Belege dafür, dass sich dieser an der Beschäftigung "ländlicher Überschussarbeitskräfte" beteiligt habe. So bezeichnet die chinesische Regierung Uiguren aus ländlichen Regionen, die im Rahmen von Arbeitsprogrammen in Jobs vermittelt werden sollen. Wie viel Zwang bei beiden Firmen tatsächlich herrsche, lohne sich zu untersuchen, so Alpermann.
Unternehmen distanzieren sich
Auf Anfrage von Report Mainz und SZ teilte Lidl mit, man nehme die Hinweise sehr ernst und verurteile die genannten Praktiken ausdrücklich. Lidl prüfe "fortlaufend und systematisch potenzielle Risiken wie Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten" und treffe "bei Bedarf Abhilfemaßnahmen".
Mit den beiden Zulieferern arbeite man seit "über einem Jahr" beziehungsweise seit "Ende Juni" nicht mehr zusammen. Die anderen vier Unternehmen weisen die Vorwürfe ebenfalls zurück oder distanzieren sich von Zwangsarbeit in ihren Lieferketten. Einige verweisen darauf, Beziehungen zu Zulieferern, die in der Anzeige genannt werden, bereits beendet zu haben.
"Zwangsarbeit ist kein moralisches Problem"
Bei wie vielen deutschen Unternehmen in den vergangenen Jahren Spuren in die Uiguren-Provinz führten, ist unklar. Denn nicht alle veröffentlichen ihre Zulieferlisten wie Lidl und die vier anderen von der Anzeige betroffenen Unternehmen. Nur deshalb sind sie in den Fokus der Menschenrechtler vom ECCHR geraten.
Doch denen geht es ausdrücklich nicht nur um diese Konzerne. "Wir zielen in erster Linie natürlich nicht darauf ab, dass einzelne Manager verurteilt werden", sagt Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. Die fünf Unternehmen stünden stellvertretend für eine riesige Branche. "Wir gehen davon aus, dass viel mehr Unternehmen in den vergangenen Jahren in der Region produzierten oder Baumwolle von dort bezogen." Sie alle müssten erkennen, dass Zwangsarbeit nicht nur ein moralisches Thema sei, sondern es womöglich um schwerste Straftaten gehe. "Die Unternehmen müssen hinterfragen, inwieweit sie dazu beitragen", sagt Saage-Maaß.
Genau dieser Frage sollen durch die Anzeige jetzt auch unabhängige Ermittler aus Deutschland nachgehen, so das Ziel der Menschenrechtler. Denn dass die Situation vor Ort in China aufgeklärt werde, darauf hoffen sie nicht. "Wir brauchen nicht zu glauben, dass die chinesische Regierung etwas aufarbeiten oder ändern wird."
Ein Schreiben der chinesischen Botschaft in Berlin an Report Mainz und SZ scheint diese Erwartung zu bestätigen. In Xinjiang gebe es weder Umerziehungslager noch Zwangsarbeit, heißt es. Die Vorwürfe seien aus der Luft gegriffen und politisch motiviert.