Fleischindustrie Wie Leiharbeiter weiter ausgebeutet werden
Nach Recherchen von Report Mainz hat sich entlang der Grenze zu den Niederlanden ein neues System der Leiharbeiter-Ausbeutung etabliert. Betroffen sind zumeist aus Osteuropa stammende Arbeitsmigranten.
Unwürdige Wohnbedingungen und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse - Probleme, die in Deutschland seit der Einführung des Verbots von Werksverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie 2021 beendet zu sein schienen. Entlang der Grenze zu den Niederlanden hat sich jedoch ein neues System der Ausbeutung etabliert. Personalvermittler aus dem Ausland haben in nordrhein-westfälischen Städten in großem Stil Immobilien aufgekauft und angemietet. Dort bringen sie die Arbeiter unter. Diese arbeiten jedoch nicht in Deutschland, sondern in der Fleischbranche in den Niederlanden.
Schlupflöcher im Rechtssystem
Die Leiharbeiter sind dort für die Personalvermittler tätig. Obwohl die Leiharbeiter in Deutschland leben, greift das hierzulande geltende Verbot der Leiharbeit in der Fleischbranche daher nicht. Durch die Unterbringung in Deutschland wiederum können sich die Personalvermittler den scharfen Kontrollen des niederländischen Arbeitsschutzes entziehen. Die Folge: desolate Wohnzustände mit horrenden Mieten und willkürliche Rauswürfe.
"Nach unserer Beobachtung machen die Leiharbeitsfirmen das meiste Geld mit den Unterkünften und dem Transport", sagt Pagonis Pagonakis vom Projekt "Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten" des DGB. "Die Arbeiter zahlen im Schnitt 350 bis 400 Euro für eine Matratze oder Pritsche. Dann werden ihnen noch mal 50 Euro Transportkosten für die Fahrt zu den Betrieben abgezogen. Auf diese Weise machen die Leiharbeitsfirmen einen riesigen Profit."
Arbeiter sind den Leiharbeitsfirmen ausgeliefert
Report Mainz liegen niederländische Arbeitsverträge vor, denen zufolge Miete und Transportkosten direkt vom Lohn abgezogen werden. Weitere Recherchen zeigen, dass die Leiharbeiter oft keine schriftlichen Mietverträge haben.
Sascha Ruelfs von der grenznahen Hilfsorganisation "Goch hilft" erzählt, dass es in der Region immer wieder obdachlose Leiharbeiter gäbe, da der Arbeitsplatzverlust den sofortigen Rauswurf aus der Unterkunft nach sich ziehen würde. Die Arbeiter würden meist ihre Rechte nicht kennen, seien massiv eingeschüchtert und hätten teilweise "Todesangst", erzählt er.
So wie der rumänische Arbeiter Eugen*, den Report Mainz kurz vor seiner Abreise nach Rumänien in der deutschen Grenzstadt Goch getroffen hat: "Ich war krank und konnte nicht arbeiten. Mein Koordinator hat gesagt, ich soll trotzdem kommen, aber ich konnte nicht. Dann sagte er: 'Pack deine Sachen'. Er drohte mir, wenn ich nicht abhaue, bringe er mich mit seinen eigenen Händen um. Ich fragte ihn, wo soll ich hin? Es war Nacht und ich hatte kein Geld."
Die Arbeiter seien einem brutalen Willkürsystem ihrer Arbeitgeber ausgesetzt, sagt auch Der DGB-Experte Pagonakis.
Neues Gesetz ohne Durchschlagskraft
Gegen unwürdige und ausbeuterische Unterbringungen sind die zuständigen Behörden in Deutschland im vergangenen Jahr mit mehreren Razzien vorgegangen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat schließlich sogar ein neues Gesetz erlassen: das sogenannte Wohnraumstärkungsgesetz. Danach sollen die Behörden informiert werden, wenn Wohnraum als "Unterkunft" zum Beispiel für Leiharbeiter genutzt wird.
Auf Anfrage von Report Mainz beim zuständigen Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung NRW, wie dieses gegen die aktuellen Missstände im Grenzgebiet vorginge, räumte ein Sprecher ein:
Aufgrund mangelnder Kenntnisse über die tatsächlichen Bewohner können die zuständigen Behörden in Nordrhein-Westfalen […] weder sicherstellen, dass Brandschutzvorschriften, die Vorschriften der Bauordnung NRW, des Wohnraumstärkungsgesetzes NRW oder die Anforderungen an die Unterbringung nach dem Arbeitsschutzgesetz eingehalten werden.
Rechtsanwalt Klaus Körner vom Verein "Würde und Gerechtigkeit" berät Leiharbeiter ehrenamtlich: "Wir haben hier die strafrechtliche Grenze des Mietwuchers. Strafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren." Doch zu Gerichtsverfahren komme es meist nicht, weil die Arbeiter keine Anzeige erstatten würden: "Die Menschen werden davon abgehalten, notfalls mit Gewalt." Der Kampf gegen die Ausbeutung von Leiharbeitern in der Fleischbranche steht im Jahr 2023 also vor neuen, grenzüberschreitenden Herausforderungen.
* Name von der Redaktion geändert