Corona-Ausbruch bei Tönnies EU hofft auf Signalwirkung
Auch in der EU wird der Corona-Ausbruch auf dem Tönnies-Schlachthof genau beobachtet. Kritiker monieren, die Zustände seien wenig überraschend - und hoffen doch darauf, dass der Vorfall nun zu Veränderung führt.
Für die Köchin, Unternehmerin und grüne Europaparlamentarierin Sarah Wiener ist die Sache klar: Was in Rheda-Wiedenbrück im Unternehmen Tönnies passiert ist, hat Methode: in der gesamten Fleischindustrie.
Das ist ja nix Neues. Vielen scheinen da jetzt die Schuppen von den Augen zu fallen, aber wer sich mit der Agrarwirtschaft befasst, weiß das schon lange: dass dort Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen ausgebeutet werden.
Neu sei allerdings die Aufmerksamkeit, die das jetzt angesichts der Corona-Pandemie bekomme. Denn ohne Corona wäre wohl auch bei Tönnies erst einmal alles weitergegangen wie bisher. Eine Sicht, die auch Kristjan Bragason von der Europäischen Gewerkschaft für Landwirtschaft und Ernährung teilt. Seine Analyse: Das System aus intransparenten Werkverträgen, vielen Subunternehmen und ungezählten unterbezahlten Wander-Arbeitern vor allem aus Rumänien und Bulgarien sei in der deutschen Fleischwirtschaft geradezu perfektioniert worden.
EU-Agrarpolitik unterstützt Billigproduktion
Dadurch seien viele vergleichbare Jobs aus europäischen Nachbarländern nach Deutschland verlagert worden, sagt Bragason. Die österreichische Europaparlamentarierin Sarah Wiener allerdings geht noch einen Schritt weiter. Sie sieht die Verantwortung für die Zustände auch in der europäischen Agrarpolitik, der so genannten GAP. Denn Europas Landwirtschaftssubventionen fließen nach Fläche. Große Agrarbetriebe bekommen mehr Geld aus Brüssel als kleinere.
Für Wiener und viele Kritiker dieser Praxis ist klar: Das unterstützt vor allem Agrarunternehmen, die immer billiger und immer mehr produzieren, verdrängt kleinere Bauernhöfe und fördert so am Ende auch die Massentierhaltung und die massenhafte Fleischerzeugung. Ein Teufelskreis, sagt Wiener. Der jetzt sichtbar gewordene Skandal biete allerdings die Möglichkeit für einen Neuanfang - unter einer Bedingung:
Ohne GAP-Reform wird es nicht klappen.
Investitionen in Nachhaltigkeit seit Jahren das Ziel
Allerdings: Dass Europas milliardenschwere Agrarsubventionen künftig stärker in ökologische und nachhaltige Landwirtschaft fließen, daran arbeitet die EU-Kommission schon seit Jahren. Bisher ohne großen Erfolg.
"Menschen sind lieber im Grauen verhaftet, selbst, wenn es sie selber schädigt, als mutig und großzügig und visionär nach vorne zu blicken und zu sagen: Diese Krise ist eine echte Chance", sagt Sarah Wiener.
Der CDU-Agrarpolitiker Norbert Lins sieht das anders. Nicht die europäische Agrarpolitik fördere Zustände wie bei Tönnies, sondern vor allem der Preiskampf auf dem Lebensmittelmarkt. Verbraucher wollten vor allem günstig einkaufen - ein Umsteuern zu einer Biolandwirtschaft in Europa werde deshalb nicht funktionieren:
Dafür muss auch ein Markt vorhanden sein. Da sehe ich im Moment noch viel zu tun - da ist allerdings auch der Verbraucher gefragt, der zuweilen sehr preissensibel reagiert.
Die Chance zum Umsteuern ist da
Jetzt allerdings, durch Tönnies, gibt es eine neue Sensibilität. In Brüssel spricht man ohnehin gern von der so genannten Farm-to-Fork-Strategie. Die Kommission sagt: Damit werde Europas Landwirtschaft tatsächlich umgebaut zu mehr Nachhaltigkeit. Bisher vor allem ein Lippenbekenntnis, sagt Köchin Sarah Wiener. Und doch:
Ich kenn niemanden, der sagen würde: Ist ja wurscht, machen wir so weiter.
Und genau darin liege die Chance zum Umsteuern. Jetzt.