Nach Corona-Lockdowns Warum kommen Arbeitskräfte nicht zurück?
Nach dem Ende des Lockdowns zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt ein gravierendes Problem: Arbeitskräfte fehlen. In Branchen, die von Schließungen betroffen waren, ist der Mangel besonders drastisch, wie Zahlen zeigen, die Panorama vorliegen.
Obwohl Restaurants und Hotels wieder geöffnet sind und die Nachfrage vorhanden ist, bleiben die Beschäftigungszahlen bisher deutlich unter dem Niveau der Zeit vor Corona zurück. Das zeigen Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit, die das ARD-Politikmagazins Panorama angefragt hat. Im Juli 2021 waren demnach im Gastgewerbe 15,6 Prozent weniger Menschen beschäftigt als im Vergleichsmonat vor der Pandemie, dem Juli 2019. Konkret sind das 272.812 Beschäftigte weniger im Gastgewerbe.
Corona befeuert Arbeitskräftemangel
"In weiten Teilen der Dienstleistungsbranche, die besonders betroffen waren von den Betriebsschließungen, muss man von einem Corona-Schock sprechen", sagt der Volkswirtschaftler und Sozialforscher Stefan Sell im Interview mit Panorama.
Laut dem Forscher Sell zeichnete sich der Arbeitskräftemangel schon vor der Corona-Pandemie ab.
Der deutsche Arbeitsmarkt litt schon vor Corona unter einem massiven Arbeitskräftemangel. Grund dafür ist vor allem der demografische Wandel: Die Generation der "Baby-Boomer" geht in Rente, während weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachkommen. Seit Jahren weist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) darauf hin, dass Deutschland eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Arbeitskräften bräuchte, um dem entgegenzuwirken.
Corona habe beim Arbeitskräftemangel in einigen Branchen "wie ein Brandbeschleuniger gewirkt", so Sell. Aktuell besonders betroffen seien Bereiche mit niedriger Vergütung wie in der Hotel- und Gastrobranche. "Sie haben ein sehr niedriges Kurzarbeitergeld bekommen, so dass es einen starken Anreiz gab, während der letzten Monate zu versuchen, sich Jobs in anderen Branchen zu suchen, um über die die Runden zu kommen."
Ein Viertel weniger Minijobs im Gastgewerbe
Tatsächlich ist der Rückgang der Jobs mit geringer Bezahlung innerhalb des Gastgewerbes besonders deutlich. Im Juli 2021 gab es laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 25 Prozent weniger sogenannte Minijobs im Gastgewerbe als im Juli vor der Pandemie.
Heftig hat die Corona-Pandemie auch den Luftverkehr getroffen und dabei eine negative Entwicklung der letzten Jahre massiv verschärft. Laut einer Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Sommer dieses Jahres haben bis zu 44 Prozent der Beschäftigten in den Bodenverkehrsdiensten die Branche verlassen, Mitarbeiter, die zum Beispiel für den Check-in oder die Gepäckabfertigung zuständig waren.
"Die Situation ist sehr alarmierend", betont Mira Neumeier von ver.di gegenüber Panorama. "Es war klar, dass die schlechten Arbeitsbedingungen und die hohe Quote an befristeten Verträgen ein großes Problem darstellen, das jetzt im Krisenjahr eben auch eine Abstimmung mit den Füßen zur Folge hat." Die Auswirkungen der Abwanderung waren an einigen deutschen Flughäfen wie dem BER in Berlin an den Hauptreisetagen der vergangenen Wochen zu beobachten: Lange Wartezeiten an den Schaltern und bei der Abfertigung.
Infolge des Arbeitskräftemangels schränken einige Gastrobetriebe nun ihren Betrieb ein. "Wir haben die Öffnungszeiten reduziert", erklärt etwa der Hamburger Hotelier Niklaus Kaiser von Rosenburg, Vizepräsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) in Hamburg. Früher habe man in der Gastronomie "hundertprozentige Jobsicherheit" bieten können, sagt Kaiser von Rosenburg. "Dieses Gefühl der Sicherheit hat die Coronakrise nachhaltig gestört."
Beschäftigte suchen krisenfestere Jobs
Viele Betriebe zahlten zwar übertariflich, sagt Kaiser von Rosenburg. Allerdings seien die Tarife in der Hotellerie und Gastronomie auch besonders niedrig. "Der einzige Weg da raus sind deutlich höhere Preise für gastronomische Leistungen", so der Hotelier.
Nicht wenige der Wechsler schließen eine Rückkehr in ihre alte Branche aus. "Da hat bei mir ein Umdenken stattgefunden, einen Job zu bekommen, wo man nicht durch irgendwelche Einflüsse von heute auf morgen auf der Straße sitzt", sagt ein ehemaliger Techniker für verschiedene Airlines, der nun für den Paketdienstleister DHL in Berlin arbeitet. "Geld spielt sicher eine Rolle, aber für mich war der sichere Arbeitsplatz das Wichtigste."
Die Hotelfachfrau aus Hamburg wechselte die Branche - und ist mit Ihrer Entscheidung zufrieden.
Eine Hotelfachfrau aus Hamburg, die als Team-Assistentin zu einer Immobilienfirma gegangen ist, sagt: "Corona hat mir die Augen geöffnet. Wenn der Lockdown nicht gewesen wäre, wäre ich bestimmt noch im Hotel. So ist mir aber bewusst geworden, wie schwierig die Arbeitsbedingungen dort sind. Und dass es Alternativen gibt, die viel attraktiver sind." Geregelte Arbeitszeiten, mehr Freizeit, mehr Geld, mehr Anerkennung - das sind Aspekte, die für Wechsler vielfach ausschlaggebend für ihre Entscheidung sind.
Neue Strukturen verstärken Abwanderung
Wohin Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer während der Pandemie besonders abgewandert sind, konnte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung noch nicht im Detail auswerten. Die Arbeitsmarktforscher gehen aber davon aus, dass viele in den boomenden Branchen Logistik und Einzelhandel gelandet sind - und jetzt nicht sofort zurückkommen.
Sie profitierten dabei von einer fundamentalen Veränderung der Beschäftigungsstrukturen, hat Sozialforscher Sell beobachtet: "Vielen bietet sich nun die Chance, auch im Niedriglohnbereich Alternativen zu finden. Man ist nicht mehr gezwungen, auf diesen Jobs zu bleiben, sondern man hat zunehmend die Möglichkeit, in andere Branchen abzuwandern, wo bessere Arbeitsbedingungen vorherrschen. Und das meint eben nicht nur andere Löhne."