Die Jacht "Andromeda" liegt in einem Trockendock in Dranske auf der Insel Rügen.
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Nord-Stream-Anschläge Segeljacht mit Zwischenstopp in Polen

Stand: 22.06.2023 06:00 Uhr

Polen spielt bei den Ermittlungen zu den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines eine größere Rolle als bisher bekannt: Das verdächtige Boot "Andromeda" machte dort Zwischenstopp. Die Crew wurde sogar von Behörden überprüft.

Von Manuel Bewarder, Florian Flade, Michael Götschenberg, Georg Heil und Holger Schmidt, ARD

Nachdem die Segeljacht "Andromeda" den Hafen auf Rügen verlassen hatte, machte sie sich übers offene Meer auf nach Christiansø, einer kleinen dänischen Insel. Und zwar direkt. Kurze Zeit später, Ende September explodierten Sprengsätze an den Nord-Stream-Pipelines. So geht die bislang bekannte Geschichte rund um jenes Boot, das eine zentrale Rolle bei den Anschlägen gespielt haben soll. Doch jetzt gibt es neue Hinweise: Die Route könnte anders verlaufen sein.

Die "Andromeda" hat offenbar in Polen Halt gemacht. Entsprechende Recherchen von ARD, "Süddeutscher Zeitung" und "Zeit" mit internationalen Partnern wurden nun von polnischen Behörden offiziell bestätigt.

Kontrolle durch polnische Grenzschutzbeamte

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Danzig sollen die Ermittlungen ergeben haben, dass die Jacht von Wiek auf Rügen nach Polen segelte - und zwar mit sechs Personen an Bord. Nach einem zwölfstündigen Aufenthalt habe das Boot polnische Gewässer wieder verlassen. Die Crew sei sogar einer Kontrolle durch polnische Grenzschutzbeamte unterzogen worden.

Die polnische Staatsanwaltschaft betont aber, den Untersuchungsergebnissen zufolge seien während des Aufenthalts im Hafen keine Gegenstände an Bord geladen worden. Sie kommt zu dem Zwischenfazit: "Der Untersuchung fehlen direkte Beweise dafür, dass Personen auf der Jacht an der Beschädigung der Nord-Stream-Pipelines beteiligt waren."

Diese neuen Äußerungen aus Polen zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen gehen über das hinaus, was bisher mitgeteilt wurde. Allerdings, so zeigt die Recherche auch, gibt es andere Hinweise zum Fahrtverlauf und den Zeitpunkt des Aufenthalts der "Andromeda" in Polen: Demnach soll das Schiff am 19. September 2022 - und damit wohl auf der Rückfahrt nach Deutschland - im polnischen Kolberg angekommen sein. Kurz darauf sei es wieder ausgelaufen. Das bestätigte eine Mitarbeiterin der Marina in Kolberg.

Der Druck auf Polen war zuletzt gestiegen, nachdem über die Rolle Warschaus bei dem Anschlag diskutiert und manches gemutmaßt wurde. Ähnlich wie die Ukraine hatte Polen das Pipeline-Projekt Nord-Stream-2 immer strikt abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft in Danzig erklärt jetzt: Es gebe nicht "irgendeinen Beweis, der auf eine Beteiligung von polnischen Bürgern an der Pipeline-Sprengung hindeuten würde."

Deutsche Ermittler schließen weiterhin kein Szenario aus

Die deutschen Ermittler schließen jedoch weiterhin kein Szenario für den Anschlag aus. Seit mehreren Monaten verfolgen sie vor allem die heiße Spur der rund 15 Meter langen "Andromeda" - auch weiterhin. Das Schiff soll von Rostock aus zunächst nach Rügen gefahren sein. Die Personen sollen beim Bootsverleiher verfälschte Pässe vorgelegt haben. Das Bundeskriminalamt (BKA) entdeckte später auf der Jacht Sprengstoffspuren.

Nur wenige Monate vor den Explosionen an den Ostsee-Pipelines hatte der niederländische Militärnachrichtendienst MIVD ausgerechnet vor einem solchen Szenario gewarnt: Die Spione hatten offenbar Kenntnis von einem Anschlagsplan auf die Pipeline von Nord-Stream-1 erhalten. Ukrainer, so die brisante Information aus dem Juni 2022, planten angeblich ein Boot anzumieten, um damit ein Attentat auf die Erdgasröhren zu verüben.

Der Hinweis aus den Niederlanden soll zunächst beim US-Geheimdienst CIA gelandet sein, der wiederum europäische Partnerdienste, darunter den Bundesnachrichtendienst (BND) informierte - allerdings mit der Einschätzung, dass ein solcher Anschlagsplan eher wenig glaubwürdig erscheine.

Nach der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines allerdings meldete sich der niederländische Militärnachrichtendienst erneut: Der Anschlag sei von Ukrainern verübt worden, hieß es schließlich, vermutlich mit einem Boot, das an der deutschen Ostseeküste angemietet worden sein soll. Darüber berichteten unter anderem ARD und "Zeit". Und so stießen die deutschen Ermittler von BKA und Bundespolizei tatsächlich auf die "Andromeda".

Mitte Mai trafen sich deutsche und polnische Ermittler

Die Spuren führten die Ermittler schnell in Richtung Ukraine. Das ist politisch ziemlich heikel angesichts der engen Zusammenarbeit gegen den russischen Aggressor. Mit offiziellen Rechtshilfeersuchen hielten sich die Deutschen lange zurück. Mit Warschau wagte man sich jetzt erstmals voraus: Mitte Mai trafen sich deutsche und polnische Ermittler in Polen, das BKA soll mittlerweile eine europäische Ermittlungsanordnung auf den Weg gebracht haben.

Die deutschen Beamten interessieren zum Beispiel die Hintergründe einer dubiosen Firma mit Sitz in Warschau. Über das angebliche Reisebüro "Feeria Lwowa" soll die "Andromeda" angemietet worden sein. Bei dem Unternehmen handelt es sich aber offenbar um eine klassische Briefkastenfirma. Vor ein paar Tagen nun sollen die Geschäftsräume in Warschau durchsucht worden sein, heißt es aus Sicherheitskreisen. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht. 

Komplizierter könnte der Austausch mit der Ukraine werden. Tatsächlich sollen die deutschen Behörden der Recherche zufolge annehmen, dass es sich bei einem Tatverdächtigen um einen ukrainischen Staatsangehörigen handelt: ein Mann, Mitte 20, aus einer Stadt südöstlich von Kiew. Er soll früher in einer Infanterieeinheit gedient haben. Um seine DNA abzugleichen, sollen deutsche Ermittler Ende Mai in Frankfurt/Oder eine Frau besucht haben - sie soll mit dem Ukrainer ein gemeinsames Kind haben.

Ausgang ungewiss

Wie die Ermittlungen in den kommenden Wochen weitergehen, ist ungewiss. Der deutsche Generalbundesanwalt hält sich mit offiziellen Aussagen zurück. Es heißt, weitere Rechtshilfeersuchen in andere Länder, etwa nach Skandinavien, aber auch nach Osteuropa würden derzeit vorbereitet.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in der vergangenen Woche zwar davon, dass das Aufklärungsinteresse "sehr groß" sei. Über die Spur in die Ukraine wollte er aber nicht reden. "Geheimdienstliche Erkenntnisse sind ja geheim, und wenn es gut läuft, bleiben sie es auch", sagte Scholz.

Nadja Mitzkat, NDR, tagesschau, 22.06.2023 06:09 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 21. Mai 2023 um 19:00 Uhr.