Nord-Stream-Pipelines CIA warnte Ukraine vor Anschlagsplänen
Der US-Geheimdienst CIA hat die Ukraine Monate vor dem Anschlag davor gewarnt, die Nord-Stream-Pipelines anzugreifen. Zuvor hatten westliche Regierungen, darunter die Bundesregierung, Kenntnis von möglichen Anschlagsplänen erlangt.
Im Juni 2022, rund drei Monate vor dem Anschlag auf die beiden Nord-Stream-Pipelines auf dem Meeresgrund der Ostsee, hat der US-Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) die Ukraine eindringlich davor gewarnt, die Gasleitungen durch einen Sabotageakt anzugreifen.
Das ergeben gemeinsame Recherchen von ARD-Hauptstadtstudio, dem ARD-Politikmagazin Kontraste, dem SWR und der Wochenzeitung "Die Zeit" zusammen mit Kollegen des niederländischen Fernsehens NOS/Nieuwsuur. Die Informationen der beteiligten Medien stützen sich auf Quellen in mehreren Ländern, die CIA wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Sachverhalt äußern.
Erster Hinweis vom niederländischen Militärgeheimdienst
Erste Hinweise auf einen möglichen Anschlag durch ein Kommando aus der Ukraine erlangte offenbar der niederländische Militärgeheimdienst MIVD. Die Niederländer hatten demnach Kenntnis von einem Anschlagsplan auf die Pipeline von Nord-Stream 1 erhalten. Laut MIVD sollte der Anschlag bereits im Juni 2022 stattfinden, unter Nutzung eines angemieteten Bootes.
Die Niederländer teilten ihre Erkenntnisse offenbar zunächst mit den USA und warnten dann auch diverse europäische Staaten, darunter Deutschland, vor dem möglichen Anschlag. Aufgrund dieses Berichtes soll die CIA wiederum einen der ukrainischen Geheimdienste eindringlich davor gewarnt haben, einen solchen Plan in die Tat umzusetzen.
CIA warnte vor Anschlag im Umfeld eines NATO-Seemanövers
Kurz nach dem MIVD-Bericht verschickte die CIA selbst einen Hinweis, der neue, brisante Details eines Anschlagplans enthielt. Dem US-Geheimdienst zufolge, so hatte es die "Washington Post" berichtet, sollte die Nord-Stream-Sabotage im zeitlichen Umfeld des NATO-Seemanövers BALTOPS geschehen, das vom 5. bis 17. Juni 2022 in der Ostsee stattfand.
Das Anschlagskommando würde ein unter falschen Identitäten angemietetes Boot nutzen und aus sechs Personen bestehen, und bei Taucheinsätzen Sprengstoff anbringen. Das ukrainische Kommando stünde dem Bericht der "Washington Post" zufolge unter dem Kommando von General Walerij Saluschnyj, des obersten Generals der ukrainischen Streitkräfte. Eine Anfrage zu den neuen Recherchen an den ukrainischen Präsidentenberater Mychaljo Podoljak blieb zunächst unbeantwortet.
Zweifel an Glaubwürdigkeit der Informationen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei jedoch nicht in die Anschlagspläne involviert. Laut "Washington Post" gab es jedoch bei den Amerikanern auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Information, auch weil der eigentlich genannte Anschlagszeitpunkt bereits verstrichen war.
Über den CIA-Hinweis aus dem Juni hatten im September, kurz nach den Anschlägen auf Nord-Stream 1 und 2, erstmals der "Spiegel" sowie die "New York Times" berichtet, ohne allerdings Details zu nennen. Laut "Washington Post" hatten die US-Behörden nach der Warnung an die Ukrainer den Eindruck, diese hätten ihre Pläne zunächst ausgesetzt.
Anschlag ist politischer Sprengstoff
Politisch besonders brisant ist die Tatsache, dass die Bundesregierung, neben anderen westlichen Regierungen, offenbar Kenntnis von einem möglichen Anschlagsplan ukrainischer Täter hatte. Schon kurz nach den Anschlägen meldete sich der niederländische MIVD zudem erneut und nannte die Ukraine als das Land, von dem aus der Angriff erfolgt sei.
Weder durch die Geheimdiensthinweise noch durch die polizeilichen Ermittlungen ist jedoch tatsächlich bewiesen, dass der ukrainische Staat hinter dem Nord-Stream-Anschlag steckt. Die Bundesregierung wollte sich auf Anfrage von "Zeit", ARD-Hauptstadtstudio, Kontraste und SWR nicht zu den neuen Recherchen äußern. Man kommentiere "etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten" grundsätzlich nicht, hieß es. Auch die Bundesanwaltschaft, die in Deutschland die Ermittlungen führt, wollte eine entsprechende Anfrage mit Blick auf die Ermittlungen nicht kommentieren.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte vergangene Woche im Interview mit der "Bild"-Zeitung bestritten, dass die Ukraine für die Tat verantwortlich sei. "Ich bin Präsident und ich gebe entsprechende Befehle. Nichts dergleichen hat die Ukraine getan. Ich würde nie so handeln", so, Selenskyj.
Ermittlungen weitgehend deckungsgleich mit Warnung
Die Warnungen vor dem möglichen Anschlag decken sich jedoch in vielen Teilen mit dem, was deutsche Sicherheitsbehörden später über den Anschlag ermitteln konnten. Wie das ARD-Hauptstadtstudio, Kontraste, SWR und die "Zeit" bereits im März berichteten, gelang es deutschen Ermittlern, den mutmaßlichen Hergang im Vorfeld des Anschlags weitgehend zu rekonstruieren.
Den Ermittlern von Bundespolizei und Bundeskriminalamt gelang es, das Boot zu finden, mit dem der Anschlag auf die Pipelines mutmaßlich vorbereitet worden sein soll. Die Ermittler gehen außerdem davon aus, dass ein Team aus sechs Personen, darunter zwei Taucher und zwei Tauchassistenten, den Sprengstoff an den Pipelines platziert haben könnte.
Dieses Team soll am 6. September, also drei Wochen bevor die Pipelines durch Explosionen zerstört wurden, mit einer gecharterten Segeljacht namens "Andromeda" aus dem Rostocker Hafen aufgebrochen sein. Die "Andromeda" soll danach Wiek auf Rügen angesteuert haben und später im Hafen der dänischen Insel Christianso Station gemacht haben, unweit der Stellen, wo die Pipelines zerstört wurden.
Später berichteten NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung", dass es sich bei der Firma, die die Segeljacht "Andromeda" anmietete, um ein Reisebüro in Warschau handele, das jedoch eine Briefkastenfirma sein könnte - mit einer Frau als Chefin, die sich in Kiew aufhält. Wobei unklar ist, ob sie überhaupt eine Rolle in dem mutmaßlichen Anschlagsplan gespielt hat.
In Frankfurt (Oder) wurde zudem Ende Mai die Wohnung einer Frau durchsucht, die die Lebensgefährtin eines Mannes in der Ukraine gewesen sein soll, der wiederum in Verdacht steht, in den Anschlag auf die Pipelines verwickelt zu sein. Darüber berichteten neben anderen NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung".
Die Spuren Richtung Ukraine verdichten sich durch die neuen Recherchen zwar, es bleibt aber nach wie vor unklar, wer tatsächlich hinter dem Anschlag steckt.