Dieses Bild zeigt die Wellen im Wasser über dem Gasleck der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee.
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Nord-Stream-Ermittlungen Früher Hinweis auf verdächtiges Segelboot

Stand: 31.03.2023 06:04 Uhr

Nach Recherchen von NDR und WDR wussten deutsche Ermittler im Fall der Nord-Stream-Sabotage früher vom Segelboot "Andromeda" als bisher bekannt. Vor dem BKA hatte der Verfassungsschutz schon die Charterfirma besucht.

Von Von Manuel Bewarder, Florian Flade, Reiko Pinkert und Volkmar Kabisch, NDR/WDR

Deutsche Sicherheitsbehörde haben offenbar bereits kurz nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines Hinweise auf das Segelschiff "Andromeda" erhalten - und damit wesentlich früher als bislang bekannt. Laut Generalbundesanwalt hatten Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) das Schiff Mitte Januar dieses Jahres durchsucht. Nach Recherchen von NDR und WDR sollen die Nachrichtendienste die Spur allerdings schon länger verfolgt haben. 

Danach befragte bereits im vergangenen Jahr das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Mitarbeitenden der Charterfirma, der das Schiff gehört. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) war danach informiert. Beide Nachrichtendienste - BfV und BND - sollen ihre Erkenntnisse jedoch erst später an den ermittelnden Generalbundesanwalt weitergegeben haben.

Wie wurde die "Andromeda"-Spur gefunden?

Unklar ist, wann genau und wie die Nachrichtendienste auf die Spur der "Andromeda" kamen. Eine massenhafte Abfrage bei Schiffsvermietern an der Ostsee fand nach Recherchen von WDR und NDR offensichtlich nicht statt. Zahlreiche Schiffsverleiher erklärten auf Anfrage, sie seien nicht von deutschen Ermittlern kontaktiert worden.

Eine Sprecherin des Generalbundesanwalts teilte mit, man wolle sich zu den Ermittlungen nicht äußern. Der Verfassungsschutz sei allerdings nicht im Auftrag des Generalbundesanwalts unterwegs gewesen. Weder BND noch BfV äußerten sich auf Anfrage. Die Bundesregierung teilte auf Anfrage mit, dass man sich zu den Ermittlungen des Generalbundesanwalts nicht äußere.

Vertraulichkeitsgebot bei ausländischen Tipps

Schaut man zurück auf vergangene Fälle, könnte es für die Zurückhaltung der Nachrichtendienste einen Grund geben: Wenn Geheimdienste einen Hinweis aus dem Ausland erhalten, gilt oft die sogenannte Third-Party-Rule. Danach ist es der Behörde, die eine solchen Hinweis aus dem Ausland bekommt, grundsätzlich nicht erlaubt, diese Informationen unmittelbar mit anderen Behörden - etwa der Polizei oder Justiz - zu teilen. In solch einem Fall müssen deutsche Dienste erst einmal selbst ermitteln, um dann die eigenen Ergebnisse an den Generalbundesanwalt und an die für ihn tätigen Polizeibehörden weitergeben zu können. 

Anfang März hatten ARD und "Zeit" erstmals Erkenntnisse aus den polizeilichen Ermittlungen zum Nord-Stream-Anschlag veröffentlicht. Seitdem steht die Segeljacht "Andromeda" im Fokus. Mehrere Personen sollen Anfang September 2022 von Rostock aus in See gestochen sein. Über Wiek auf Rügen sei das Schiff weiter auf die kleine dänische Insel Christiansø bei Bornholm gefahren - ganz in der Nähe der Pipelines.

Von Briefkastenfirma gechartert

Rund zwei Wochen später kehrte das Schiff wieder zurück. Angemietet worden sei das Schiff von einer Firma aus Polen, die wiederum Ukrainern gehören soll. Deutsche Ermittler gehen nach Recherchen von NDR und WDR inzwischen davon aus, dass es sich wohl um eine Briefkastenfirma handelt, es sollen keinerlei Geschäftsaktivitäten bekannt sein.

Klar ist: Das Schiff wurde unter falschen Personalien gechartert. Es wurden verfälschte rumänische Pässe vorgelegt, den Ermittlern liegen Fotos davon vor. Die angegebenen Personen sollen tatsächlich existieren, allerdings sollen sie sich zum Zeitpunkt der Schifffahrt in ihrem Heimatland aufgehalten haben.

False-Flag-Operation möglich

Das Schiff ist die bislang wohl heißeste Spur der deutschen Ermittler. Denn auf einem Tisch in der Kabine des Schiffes wurde Sprengstoff nachgewiesen. Nach Recherchen von NDR und WDR soll es sich laut BKA-Untersuchungen um den gleichen Stoff handeln, der auch an den Wrackteilen der zerstörten Pipelines sichergestellt worden ist. Es gibt jedoch offenbar auch Zweifel an der Stichhaltigkeit. Denn in Ermittlerkreisen wird weiterhin die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass mit der angemieteten Segeljacht absichtlich eine falsche Spur gelegt werden sollte.

Der Generalbundesanwalt hat sich bislang nicht detailliert zum Ablauf der Ermittlungen geäußert. Offenbar sollen BKA und Bundespolizei schon Ende 2022 von den verfälschten Pässen und dem Schiff erfahren haben. Durchsucht wurde die "Andromeda" aber erst Mitte Januar - warum erst dann, ist unklar. In Sicherheitskreisen heißt es dazu, durch eine Durchsuchung und Spurensicherung werde eine Ermittlung "offen", also droht öffentlich bekannt zu werden. In manchen Fällen versuchen die Behörden, dies aus ermittlungstaktischen Gründen zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern.

Dänische Polizei fragte bereits im Dezember nach

Weitere Fragen werfen die Ermittlungen in Dänemark auf: Denn nach Angaben des Verwalters der Insel Christiansø hatte sich die dänische Polizei schon im Dezember 2022 nach Schiffen erkundigt, die im September im Hafen gelegen hatten. Doch erst im Januar kamen offenbar dänische Beamte vorbei - nahezu zeitgleich zum Besuch der BKAler bei der "Andromeda".

Ursprünglich war die Einrichtung eines internationalen "Joint Investigation Teams" geplant gewesen. Schweden hatte dies jedoch abgelehnt - mit der Begründung, die Sicherheitseinstufung der Ermittlungsergebnisse sei zu hoch. In Deutschland soll es zudem Vorbehalte gegeben haben, weil die Trennung zwischen Polizei und Geheimdienstarbeit in Schweden nicht genau ersichtlich sei. Die Länder ermitteln daher vor allem auf eigene Faust.

Generalbundesanwalt ermittelt

Im September 2022 hatten Detonationen an drei von vier Nord-Stream-Röhren der Pipelines für schwere Schäden gesorgt. Im Oktober leitete schließlich der Generalbundesanwalt Ermittlungen ein. Danach besteht der Verdacht der "vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion" und einer "verfassungsfeindliche Sabotage". Es handele sich um einen "schweren gewalttätigen Angriff auf die Energieversorgung". Dieser sei geeignet, die äußere und innere Sicherheit Deutschlands zu beeinträchtigen. Der Generalbundesanwalt hat Bundeskriminalamt und Bundespolizei mit den Ermittlungen beauftragt. 

Wer tatsächlich die Verantwortung für den Anschlag trägt, ist bislang völlig unklar. Neben der "Andromeda" gibt es weitere Schiffe, die sich vor den Explosionen in der Nähe aufgehalten haben. So bewegte sich beispielsweise ein griechischer Tanker tagelang kaum von der Stelle. Bereits im September hatte es zudem erste Berichte über russische Schiffe in der Nähe gegeben, die zuletzt von "t-online" konkretisiert wurden. Ein Aufklärungsschiff der dänischen Marine soll damals mit schwedischen Einheiten in die Gegend geeilt sein.

Lea Busch, Lea Busch, NDR, 31.03.2023 06:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 31. März 2023 um 08:36 Uhr.