Till Lindemann
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Rammstein-Frontmann Lindemann zieht Verfügung gegen Petition zurück

Stand: 17.08.2023 09:54 Uhr

Der Rammstein-Sänger Till Lindemann geht offenbar nicht mehr juristisch gegen die Organisation Campact vor. Laut Landgericht Berlin darf man das Rekrutierungssystem um Lindemann wohl als "sexuellen Missbrauch" bezeichnen.

Von Daniel Drepper, Elena Kuch, Sebastian Pittelkow und Isabel Schneider, NDR

Till Lindemanns Anwalt Simon Bergmann hat nach Informationen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" einen Unterlassungsantrag gegen Campact zurückgezogen, mit dem er bestimmte Formulierungen in einer Petition auf der Kampagnenplattform gerichtlich verbieten lassen wollte.

Vor den drei Rammstein-Konzerten Mitte Juli in Berlin war die Petition mit dem Titel "Keine Bühne für Rammstein" von knapp 78.000 Personen unterzeichnet worden. Die Petition forderte, die Konzerte abzusagen. Berlin dürfe nicht zum Ort für sexuellen Missbrauch werden. "Der Rammstein-Sänger Till Lindemann soll junge Frauen bei Konzerten reihenweise und systematisch sexuell missbraucht haben", heißt es in dem kurzen Text.

Lindemann wollte Formulierung verbieten lassen

Lindemann wollte der Plattform diese und ähnlich lautende Formulierungen im Petitionstext verbieten lassen. Campact hatte die geforderte Unterlassungserklärung aber nicht unterschrieben, da sich die Organisation "die Verwendung klarer Worte nicht verbieten" lassen wolle. Das Landgericht Berlin zeigte sich in einem vorläufigen Hinweis im Laufe des Verfahrens der Argumentation der Gegenseite aufgeschlossen.

Der Begriff "sexueller Missbrauch" dürfte vor dem Hintergrund der "unstreitigen sexuellen Kontakte des Antragstellers im Zusammenhang mit seinen Konzerten" als zulässige Meinungsäußerung zu werten sein, heißt es in dem Schreiben des Gerichts vom 27. Juli, das NDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegt. 

Die Pressekammer schrieb in ihrem Hinweis weiterhin: "Sexueller Missbrauch" entspreche keinem konkreten Straftatbestand. "Die Bezeichnung als 'Täter' eines sexuellen Missbrauchs ist damit nicht mit der Behauptung gleichzusetzen, der Antragsteller sei strafrechtlich verurteilt oder müsse sich auch nur gegen strafrechtliche Vorwürfe verteidigen."

"Keine Relevanz mehr"

Daraufhin zog Lindemanns Anwalt Simon Bergmann den Antrag am 10. August zurück. Da die Konzerte "seit langem vorbei" seien, habe das erstrebte Verbot keine Relevanz mehr, schrieb er zur Begründung ans Gericht. In einer zur Angelegenheit veröffentlichten Pressemitteilung sagte Bergmann: "In der Sache bleiben wir dabei, dass die Begründung des Aufrufs, unser Mandant habe reihenweise und systematisch junge Frauen sexuell missbraucht, rechtswidrig ist."

Campact interpretiert Lindemanns Rückzug als Eingeständnis einer Niederlage. Es sei "ein wichtiges Signal" für alle, die sich zu den Vorfällen bei Rammstein-Konzerten öffentlich geäußert hätten, sagte Felix Kolb, Geschäftsführender Vorstand von Campact. "Und es ermutigt hoffentlich auch Menschen in anderen Fällen, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen." Die Strategie Lindemanns sämtliche Kritikerinnen und Kritiker mundtot zu machen, sei letztlich gescheitert, sagte Kolb.

Zuvor hatte bereits das Landgericht Hamburg in einem anderen Verfahren festgestellt, dass es um Lindemann ein System gegeben hat, in dem Frauen für After-Show-Partys mit reichlich Alkohol und Sex rekrutiert wurden. "Dass eine Band ein solches System unterhält, ist ein Vorgang von hohem öffentlichem Interesse, der besonders bemerkenswert ist", so das Gericht.

Nach Recherchen von NDR und SZ waren in den vergangenen Jahren rund ein halbes Dutzend Personen an diesem System beteiligt, darunter Lindemanns Manager und früherer Bodyguard.

Intimsphäre Lindemanns laut Landgericht Hamburg nicht verletzt

Das Landgericht Hamburg hatte außerdem entschieden, dass die Intimsphäre Lindemanns durch die Berichterstattung nicht verletzt werde. Schließlich habe er Teile seines Sexuallebens selbst in die Öffentlichkeit getragen, so die Begründung. Das Gericht verwies auf ein Video, das bei seinen Solo-Konzerten gezeigt wurde. Darin ist zu sehen, wie der Sänger in einer unter der Bühne eigens dafür installierten Vorrichtung Sex mit Besucherinnen eines Konzerts hat.

Mehrere Frauen hatten in den vergangenen Wochen gegenüber NDR und SZ von Situationen berichtet, die sie als übergriffig empfanden. Lindemann und weitere Mitglieder von Rammstein gehen gegen Teile der Berichterstattung von NDR und SZ presserechtlich vor. 

Das Landgericht Hamburg hatte dem NDR am 15. August 2023 vorläufig untersagt, die Schilderung einer Frau wiederzugeben, die im Anschluss an ein Konzert in Gera 1996 mit Rammstein-Mitgliedern in Kontakt gekommen war. Am 10. August hatte das Landgericht dem NDR in Bezug auf Schilderungen von jungen Frauen aus den vergangenen Jahren vorläufig untersagt, von sexuellen Handlungen zu schreiben, denen die Frauen nicht zugestimmt hätten. Der NDR prüft derzeit, gegen die Beschlüsse Rechtsmittel einzulegen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der NDR in der Sendung Nordmagazin am 06. Juli 2023 um 19:30 Uhr.