Krebs-Versicherung mit Bluttest Neue Kritik und offene Fragen
Die Versicherung HanseMerkur wirbt seit einem Jahr für einen Krebs-Bluttest, von dem die Werbung den Eindruck erweckt, er könne Leben retten. Fachleute üben immer schärfere Kritik an der Police.
Vergangenes Jahr startete die Versicherung HanseMerkur eine Werbekampagne für die Versicherungs-Police Krebs-Scan. Darin enthalten ist ein Bluttest namens PanTum Detect, der Hinweise auf Krebs liefern soll. Bei einem positiven Ergebnis zahlt die Versicherung weitere Untersuchungen. Die Medizinprofessorin Jutta Hübner kritisierte das Angebot im vergangenen Sommer scharf. Im Bayerischen Rundfunk sprach sie von "Scharlatanerie".
Hübner leitet in der Deutschen Krebsgesellschaft die Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie. Sie sieht keinen Grund, von ihrer vernichtenden Kritik abzurücken, im Gegenteil. Gegenüber BR und NDR legt sie nach. Die HanseMerkur vermarkte die Police Krebs-Scan ohne Einschränkungen. Deswegen sagt die Krebs-Expertin weiterhin: "Das Angebot dieser Versicherung ist Scharlatanerie."
Immer wieder Hoffnung auf Krebs-Bluttests
Seit vielen Jahren versuchen Forschende Tests zu entwickeln, mit denen sich im Blut Hinweise auf Krebs finden lassen. Der Test PanTum Detect sei hier "innovativ", wirbt die HanseMerkur für die Police Krebs-Scan auf ihrer Internetseite. Der Test erkenne "Krebs oftmals in einer frühen, symptomlosen Phase". Und für Krebs gelte: "Je früher man ihn erkennt, desto besser sind meist die Heilungschancen."
Die HanseMerkur stützt ihre optimistische Bewertung des Tests vor allem auf eine Studie mit rund 5.000 Teilnehmern, die am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) durchgeführt wurde. In einer Veröffentlichung zu der Studie heißt es, der Bluttest PanTum Detect könne zu einer "massiven Verringerung der Krebs-Sterblichkeit beitragen".
Harsche Kritik an Test-Studie
Die Medizinprofessorin Hübner von der Uni Jena sieht allerdings grobe handwerkliche Fehler in der Studie. Denn bei den Verdachtsfällen wurde nicht mit einer Gewebeprobe abgeklärt, ob die Patienten wirklich Krebs hatten. Die Ergebnisse stützen sich auf eine Durchleuchtung etwa mit PET/CT. Ebenfalls wurde nicht untersucht, ob die Studienteilnehmer durch einen Hinweis auf Krebs am Ende länger leben. Die Studie des UKE und der Umgang der HanseMerkur damit seien "unseriös", urteilt Hübner.
Die Medizinprofessorin ist nicht die einzige, die den Test PanTum Detect und die Versicherungspolice Krebs-Scan scharf kritisiert. Nachdem ARD-Sender im vergangenen Sommer kritisch über den Krebs-Test und die Krebs-Versicherung berichtet hatten, veröffentlichten zwölf medizinische Fachgesellschaften eine Stellungnahme. Darin heißt es: "Zum jetzigen Zeitpunkt warnen Expertinnen und Experten für Krebserkrankungen nachdrücklich vor Angeboten, die vor allem auf einem Geschäft mit der Angst beruhen."
Eine der Fachgesellschaften, die die Stellungnahme verfasst haben, ist die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin. Bei ihr ist Constantin Lapa im Vorstand, der Medizinprofessor leitet an der Uniklinik Augsburg die Abteilung für Nuklearmedizin. Lapa betont, ihm sei eines wichtig gewesen: "Ein Statement zu setzen, dass das im Moment seriös nicht beworben werden kann."
Abwägung von Chancen und Risiken
Hübner von der Arbeitsgruppe Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft betont: Auch Krebs-Früherkennungsmaßnahmen seien mit Risiken verbunden, die Patienten und Ärzte stets mit den Chancen abwägen müssten. Neben dem Risiko falsch positiver Ergebnisse gebe es auch die Gefahr falsch negativer Ergebnisse.
Davon sprechen Ärzte, wenn Patienten die Auskunft erhalten, sie hätten keinen Krebs, in Wirklichkeit hat der jeweilige Test ihn aber nur nicht erkannt. Falsch negative Ergebnisse können nach Einschätzung von Krebs-Fachleuten dazu führen, dass Betroffenen sich in einer falschen Sicherheit wiegen und nicht auf Warnsignale achten.
Große Zweifel an PanTum-Studie
An der Studie, mit der die HanseMerkur für ihr Versicherungspaket Krebs-Scan wirbt, gibt es aber noch andere Kritik. Es geht zwar bei dem Bluttest PanTum Detect um eine Idee, die die Früherkennung weltweit revolutionieren könnte. Doch die Forschungsergebnisse wurden nicht in einem bekannten Wissenschaftsjournal veröffentlicht, sondern in einem Online-Verlag mit Postanschrift in der amerikanischen Glücksspiel-Metropole Las Vegas. Unter der gleichen Adresse lassen sich virtuelle Büroadressen mieten.
Fachleute der Staats- und Universitätsbibliothek der Uni Bremen haben sich auf Bitte des BR die Internetseite des Verlags angeschaut und eine Reihe von Unstimmigkeiten gefunden: Etwa, dass eine sehr schnelle Begutachtung wissenschaftlicher Arbeiten versprochen wird, dass der redaktionelle Beirat der Zeitschrift fragwürdig erscheine, und dass das Englisch des in Amerika ansässigen Verlages holprig sei.
Die Fachleute der Uni Bremen kommen zu dem Ergebnis: "Die Verlagspraktiken scheinen unseriös. Wir würden unseren Wissenschaftler:innen von einer Publikation in diesem Verlag abraten und die Publikationskosten nicht aus unserem Open Access Fonds übernehmen." Auch andere wissenschaftliche Recherchedienste, bei denen der BR angefragt hat, kommen zum gleichen Urteil.
Auffällige Geschäftsverflechtungen
Die HanseMerkur selbst dürfte ein großes Interesse daran haben, dass sich der Krebs-Bluttest durchsetzt. Die Versicherung hält einen Anteil von 49,9 Prozent an der Zyagnum Detect DACH Vertriebs-GmbH. 50,1 Prozent gehören der Zyagnum AG. Das Ziel dieser GmbH ist laut Handelsregister "die breite Markteinführung und Vermarktung" des PanTum Detect-Tests und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Zielmärkten Österreich, Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg.
Eine so enge wirtschaftliche Verflechtung habe sie noch nicht gesehen, sagt Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. Man könne zu dem Schluss kommen, "dass hier einfach nur die eigene Geschäftemacherei im Vordergrund steht und nicht das Wohlergehen der Verbraucherinnen".
Aber nicht nur zwischen der HanseMerkur und dem Bluttest-Hersteller Zyagnum gibt es Verflechtungen. Für Krebs-Scan wird damit geworben, dass die entsprechenden Untersuchungen bei einem "ausgewählten Ärztenetzwerk" vorgenommen würden.
Der NDR hat die Adressen der beteiligten Ärztinnen und Ärzte mit den Aktionären abgeglichen, die Anteile an der Firma halten, die den Bluttest entwickelt hat. Bei einer Ärztin in Heilbronn findet sich eine Übereinstimmung. Auf die Frage, ob ihre medizinische Beratung zu dem Test unabhängig sein kann, wenn sie indirekt an ihm verdient, antwortet die Medizinerin nicht.
Viele Fragen, keine Antworten
Die Zahl der Fragen, die sich rund um Krebs-Scan stellen, ist beträchtlich. Die Versicherung HanseMerkur hat die Studie, die bei der Police Krebs-Scan eine wichtige Rolle spielt, vergangenes Jahr als "unabhängig" bezeichnet. Die Studie wurde allerdings von Zyagnum, der Herstellerfirma des Bluttests, um den es in der Studie geht, finanziert.
Zu den Studienautoren zählen Mitarbeiter von Zyagnum. In der Wissenschaft gilt es als zwingend notwendig, auf solche Verquickungen als "Interessenskonflikt" hinzuweisen. Als die Studie veröffentlicht wurde, war kein solcher Vermerk enthalten.
Ein Hinweis auf einen Interessenskonflikt wurde erst nach Recherchen des BR nachträglich in die Studie eingefügt. In einer frühen Manuskriptversion war ein Absatz zu Interessenskonflikten enthalten, doch er wurde wieder entfernt. Warum dieser Hinweis gestrichen wurde, und von wem: Darauf gibt die Universität Hamburg keine Antwort.
Die Kritik an Krebs-Scan wirft noch weitere Fragen auf. Was sagen die Autoren der Studie, die bei der Versicherungspolice eine wichtige Rolle spielt, zu den Vorwürfen zahlreicher Fachkollegen? Warum wurde eine Studie, die die Krebs-Früherkennung weltweit revolutionieren könnte, bei einem Online-Verlag in Las Vegas veröffentlicht, und nicht bei einem renommierten Verlag? Wie viel Geld hat der Verlag von der Uni Hamburg bekommen? Wie viel Geld hat die Uni Hamburg wiederum vom Hersteller des Bluttests, der Firma Zyagnum, für die Studie erhalten?
Schweigen seit dem letzten Sommer
Seit achteinhalb Monaten antwortet die Uni Hamburg nicht auf Fragen von BR und NDR. Sie begründet ihr Schweigen damit, es laufe ein sogenanntes "internes Prüfverfahren", das mögliche Unstimmigkeiten aufklären soll. Die Versicherung HanseMerkur erklärt inzwischen, auch sie selbst warne vor falschen Erwartungen und biete Krebs-Scan lediglich als Ergänzung zu den Früherkennungsuntersuchungen an, die die gesetzlichen Kassen zahlen. Die Hersteller-Firma des Bluttests, die Zyagnum AG, betont, die wissenschaftliche Grundlage ihres Tests sei sehr fundiert.
Bei vielen Medizinern stößt dieses Verhalten auf ungläubiges Kopfschütteln. Die Krebsspezialistin Hübner von der Uni Jena befürchtet einen beträchtlichen Schaden, wenn Krebs-Früherkennung insgesamt in ein schiefes Licht gerät. Seit Langem etablierte Untersuchungen wie Mammographie zur Früherkennung von Brustkrebs oder Darmspiegelung könnten in Verruf geraten, warnt sie: "Das wäre ein absoluter Schaden."
Den Film zur Recherche "Umstrittener Krebstest: Hoffnung oder Scharlatanerie?" sehen Sie in der ARD Mediathek.