Krebs-Früherkennung Im Windschatten der Corona-Tests
Im Kampf gegen Krebs ist Früherkennung wichtig. Einige Firmen werben für entsprechende Bluttests - und setzen auf eine wegen Corona erhöhte Testbereitschaft. Doch Experten sind skeptisch.
Zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Ankündigung eines neuen Bluttests zur Früherkennung von Brustkrebs für einen handfesten Skandal sorgte. Die "Bild"-Zeitung hatte den von Universität Heidelberg mitentwickelten Test als "Weltsensation" gefeiert. Bald stellte sich heraus, dass viel zu viel versprochen worden war. Eine Reihe hochrangiger Mitarbeiter der Universität verlor ihren Posten.
Beim Thema Krebs-Bluttests gibt es aber weiter Bewegung. In den USA wie auch in Deutschland wollen Biotech-Firmen das Thema voranbringen. Der Mannheimer Medizin-Professor Michael Neumaier, der auch im Executive Board des Europäischen Dachverbands der Fachgesellschaften für Labormedizin ist, warnt allerdings davor, Krebs-Tests zu vermarkten, die nicht perfekt ausgereift sind.
Debatte um Zuverlässigkeit von Tests
Das trifft seiner Ansicht nach etwa auch auf einen neuen Test der Firma Zyagnum AG mit Sitz südlich von Darmstadt zu. Sie bietet im Internet Patienten eine Blutuntersuchung zum Preis von 139 Euro an. Vor allem stört Neumaier die seiner Ansicht nach zu hohe Zahl von Menschen, bei denen durch Bluttests wie den von Zyagnum Krebs-Alarm geschlagen wird, obwohl die Untersuchten gar keinen Krebs haben. In diesen Fällen spricht man von einem falsch positiven Ergebnis des Tests.
Die Firma wirbt zwar mit einer sogenannten Spezifität von 99 Prozent. Das bedeute aber immer noch, dass einer von hundert Tests ein falsch positives Ergebnis liefert. Bei 100.000 Tests sind das 1000 Menschen, die eine falsche Krebsdiagnose erhalten. Nötig sei eigentlich eine Spezifität von 100 Prozent, sagt Neumaier. Er bewertet Tests wie den von Zyganum deshalb als "überhaupt nicht hilfreich".
Zyagnum verweist darauf, dass der Test nach EU-Richtlinien als diagnostisches Medizinprodukt zugelassen sei und deshalb bereits vermarktet werden könne. Der Test werde weiter wissenschaftlich und klinisch überprüft. Aufgrund der aktuellen Datenlage gehe das Unternehmen davon aus, dass sich positive Ergebnisse bisheriger Studien bestätigen würden, erklärt die Firmenleitung in einer schriftlichen Stellungnahme.
Um die Zuverlässigkeit von Testverfahren zu beschreiben, werden in der Regel zwei wichtige Kriterien betrachtet:
1. Sensitivität: Damit ist die Testempfindlichkeit gemeint. Dieser Wert gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der zum Beispiel eine infizierte/erkrankte Person tatsächlich ein positives Testergebnis erhält. Es ist somit ein Indikator dafür, wie sicher eine Infektion/Erkrankung durch den Test erkannt wird.
2. Spezifität: Damit ist die Wahrscheinlichkeit gemeint, dass ein nicht infizierter/erkrankter Mensch auch tatsächlich ein negatives Testergebnis erhält. Eine geringe Spezifität bedeutet somit, dass der betreffende Test vergleichsweise viele falsch positive Ergebnisse liefert. Die Spezifität ist also ein Gradmesser für ein korrektes negatives Testergebnis.
Hersteller wirbt für Zusammenarbeit
Zyagnum hat vor einigen Wochen Mails an Ärzte verschickt, in denen von einer geplanten Zusammenarbeit mit dem privaten Versicherungsunternehmen Hanse Merkur die Rede ist. Der Test wird in dem Schreiben mit den Worten "Sicherheit bei über 40 Krebsarten" beworben.
Die Hanse Merkur kooperiert mit der drittgrößten bundesweiten gesetzlichen Krankenkasse, der DAK - die rund fünfeinhalb Millionen Versicherte hat. Allerdings wollen weder die Hanse Merkur noch die DAK zu dem möglichen Projekt derzeit Stellung nehmen.
Vorstoß aus den USA
Bewegung beim Thema Krebs-Bluttests gibt es auch in den Vereinigten Staaten. Dort startete die Firma Grail im April ein Programm, das 50 Krebsarten aus einer Blutprobe erkennen können soll. "Grail" ist im Englischen das Wort für den Heiligen Gral, in dem der Legende nach das Blut Christi aufgefangen wurde. Das Gefäß soll wundertätige Kräfte haben.
Die Firma wirbt damit, dass die Zahl der falsch-positiven Befunde ihres Tests sehr niedrig sei. Das Unternehmen hat gleichzeitig angekündigt, den Test in den USA und Großbritannien weiter erforschen zu wollen. Zu den Investoren, die hinter der Firma stehen, gehört auch der Amazon-Gründer Jeff Bezos.
Neue Chancen durch Corona
Nach Einschätzung vieler Mediziner könnte die massenhafte Verbreitung von Tests während der Coronakrise auch die Offenheit von Menschen für Labor-Krebstests erhöhen. "Die Hürde, sich zu testen - selbst zu testen oder testen zu lassen - ist niedriger, als das früher der Fall war", meint der Labormedizin-Experte Neumaier.
Firmen vermarkten dabei nicht nur Bluttests zur Krebs-Früherkennung. Das Münchner Unternehmen Wellster Healthtech warb vor einigen Wochen in Anzeigen für Stuhl-Tests zur Darmkrebs-Vorsorge, unter anderem mit der Aussage: "Schnell Gewissheit". Vertrieben werden die Krebs-Labortests über das Internet.
Lebensstil bleibt ausschlaggebend
Die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, die Münchner Medizinprofessorin Eva Grill, warnt allerdings, dass Tests gerade bei Krebs eine falsche Sicherheit vorgaukeln können. Sie fürchtet, dass Menschen, die sich nach einem negativen Krebstest sicher fühlen, weniger auf einen gesunden Lebensstil achten. Um Krebs vorzubeugen, sei es aber wichtig, etwa nicht zu rauchen, nur moderat Alkohol zu trinken, sich ausreichend zu bewegen und nicht zu viel in die Sonne zu gehen.
Die Medizinprofessorin fürchtet, dass gut untersuchte Früherkennungs-Programme wie die Darmspiegelung vernachlässigt werden könnten, wenn Menschen Werbeversprechen wie "Sicherheit" und "Gewissheit" glauben, mit denen Krebs-Labortests beworben werden.