Gerodetes Holz liegt auf dem Boden.
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Greenwashing Holzverbrennung - eine Gefahr für Klimaziele

Stand: 03.03.2023 15:31 Uhr

Seit Jahren wird in der EU die Holzverbrennung gefördert, angeblich um den Klimawandel zu mildern. Internationale Recherchen zeigen nun, dass der Hunger auf Holz das Gegenteil bewirken kann - auch weil Zertifikate versagen.

Von Petra Blum, Andreas Braun, Achim Pollmeier, Marcus Engert, Fabian Grieger, Isabel Schneider und Benedikt Strunz, (WDR/NDR)

Ein gesunder Wald ist eine Voraussetzung im Kampf gegen den Klimawandel. Doch die Wälder in Europa sind krank. Das führt schon jetzt dazu, dass sie eine wichtige Funktion immer weniger erfüllen: CO2 aus der Atmosphäre einzufangen. Hat der deutsche Wald 2016 noch knapp 64 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich aufgenommen, waren es 2020 nur noch knapp 46 Millionen Tonnen. Besonders alarmierend: Selbst in waldreichen Ländern wie Finnland oder Estland kippt die Situation. Der Wald, der dort lange ein CO2-Speicher war, ist inzwischen zur CO2-Quelle geworden - weil der Hunger nach immer mehr Holz und der Klimawandel dem Wald stark zugesetzt haben.

Recherche: Milliarden-Subventionen für Holzverfeuerung

A. Henze, P. Blum, A. Pollmeier, WDR, tagesthemen, tagesthemen, 01.03.2023 22:15 Uhr

Recherchen des "Deforestation Inc."-Projekts (auf Deutsch "Abholzung Inc.") unter Leitung des Internationalen Konsortiums für investigative Journalisten (ICIJ), in dem mehr als 100 Journalisten weltweit recherchiert haben, zeigen nun, wie Greenwashing und systematische Abholzung den Wald und das Klima gefährden. Die Reporterinnen und Reporter recherchierten zu zahlreichen Phänomen im Zusammenhang mit der weltweit fortschreitenden Entwaldung - unter anderem zum illegalen Handel mit Edelholz, zu den Geschäften der rumänischen Holzmafia und zur fragwürdigen Praxis großer Zertifizierungsunternehmen. In Deutschland sind WDR, NDR, SZ und der "Spiegel" daran beteiligt.

40 Prozent erneuerbarer Energie in Europa mit Holz

Was viele nicht wissen: Fast 40 Prozent der erneuerbaren Energie in Europa werden mit Holz erzeugt. Holz wird nicht nur in Form sogenannter Pellets in Pelletöfen verbrannt, sondern auch in Heizkraftwerken und zum Teil in großen Kohlekraftwerken, um Kohle als Brennstoff zu ersetzen. Die EU-Kommission stuft das bislang als CO2-neutral ein. Die Logik dahinter: Die Wälder würden das bei der Holzverbrennung freigesetzte CO2 direkt wieder einbinden und nachwachsen. Mit bis zu 17 Milliarden Euro pro Jahr fördert die EU den Einsatz von Biomasse, 60 Prozent davon ist Holz.

Wolfgang Lucht, Mitglied des Sachverständigenraten für Umweltfragen, sieht das kritisch, aber "es geht es nicht darum, dass Holz grundsätzlich gar nicht energetisch genutzt werden kann." Unter ganz bestimmten Bedingungen, unter denen die Nachhaltigkeit garantiert sei und in sehr überschaubarem Umfang gebe es natürlich vertretbare Modelle. Problematisch sei die großindustrielle Nutzung.

Denn anders als bei der Kohleverbrennung müssen für das Verbrennen von Holz keine CO2-Zertifikate gekauft werden, obwohl wissenschaftliche Studien nachweisen, dass Holzverbrennung im Verhältnis zur erzeugten Energiemenge sogar mehr CO2 freisetzt als Kohleverbrennung. Da die EU Holz als klimaneutralen Brennstoff definiert hat, wird er massiv von der EU und den Nationalstaaten subventioniert. Das hat den Hunger nach Holz als Brennstoff weiter angeheizt - mit Auswirkungen nicht nur auf Europas Wälder, sondern inzwischen auch auf die Ökosysteme anderer Kontinente, wie die Recherchen zeigen.

Pellets aus North Carolina

Im US-Bundesstaat North Carolina etwa macht sich Europas Hunger nach immer mehr Holz bemerkbar. Aus dem hier geernteten Holz macht der weltgrößte Pellethersteller Enviva erst Pellets und verschifft dann den Großteil davon nach Europa. Verbrannt werden sie unter anderem von deutschen Konzernen. So bestätigt RWE, unter anderem Pellets von Enviva zu beziehen, für zwei Kohlekraftwerke in den Niederlanden, die nicht nur Kohle verbrennen.

"Co-firing" nennt sich das und RWE tut das im großen Stil. Auf Anfrage bestätigt der Konzern, ein Kohlekraftwerk in Amer mit 80 Prozent Biomasse und eines in Eemshaven mit 20 Prozent Biomasse zu betreiben. Biomasse bedeutet hier vor allem Holzpellets. Auf die Frage, wie das Verbrennen von Pellets mit den ehrgeizigen Zielen zur Reduzierung von Emissionen zusammenpasst, die sich RWE gesetzt hat, teilt der Konzern mit: "RWE verwendet in seinen Anlagen ausschließlich Holzabfälle aus der Forstwirtschaft und aus Sägewerken als Biomasse."

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Zum Projekt

Das Recherche-Projekt #deforestationinc wurde vom Internationale Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) geleitet. An den neunmonatigen Recherchen waren 140 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt beteiligt.

Zu den 39 an den Recherchen beteiligten Medien gehören in Deutschland NDR, WDR, "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel". International waren unter anderen CBC in Kanada, der ORF in Österreich, "Le Monde" und "Radio France" in Frankreich sowie "The Indian Express" in Indien involviert.

Das Projekt konzentriert sich auf die weltweit fortschreitende Entwaldung und fokussiert unter anderem auf den fragwürdigen Handel mit Nachhaltigkeitszertifikaten, auf den illegalen Handel mit Edelholz und auf die rumänische Holzmafia. Alle Rechercheergebnisse werden international veröffentlicht.

Die Recherchen bei Pelletwerken von Enviva vor Ort zeigen, dass für die Produktion in großem Stil schmalere Holzstämme unterschiedlicher Dicke und Qualität verwendet werden. Enviva teilt auf Anfrage mit, man verwende für die Pelletproduktion überwiegend Holz, das in der Regel auf anderen höherwertigen Märkten nicht verwertet werden kann, wie etwa Baumkronen und Äste, krumme oder kranke Bäume, Kalamitätsholz, Abraum, Unterholz oder dünne Baumstämme.

Umweltaktivisten bezweifeln Aussagekraft

Außerdem wende man beim Thema Nachhaltigkeit die Standards von einigen der größten Zertifizierer an. Nur drei Prozent ihres Holzes stamme aus den natürlichen Laubwäldern ihrer Gegend. Von 2011 bis 2021 habe der Wald in Envivas primären Beschaffungsbezirken um mehr als 20 Prozent zugenommen. Umweltaktivisten bezweifeln die Aussagekraft dieser Zahlen.

Die Recherche zeigt außerdem: Große Zertifizierer und Labels erkennen offenbar nicht immer, wenn Standards bei zeritifzierten Unternehmen unterlaufen werden. Das ergab eine systematische Datenauswertung des internationalen Investigativ-Projektes. Viele der großen Zertifizierer und Labels arbeiten mit Unterzertifizierungsfirmen zusammen.

Das ICIJ hat in einer Datenauswertung Prüfberichte, Gerichtsdokumente und Ermittlungen gegen eine Vielzahl von Firmen weltweit ausgewertet. Es ging dabei hauptsächlich um Holzprodukte, Holzverarbeitung und Landnutzung. Die Analyse identifzierte 48 Unterzertifizierungsfirmen, die Produkte von Firmen für nachhaltig erklärt hatten, die ihrerseits bereits beschuldigt worden waren, geschützten Wald abzuholzen, falsche Genehmigungen zu nutzen oder illegal geschlagenes Holz zu importieren.

Seit 1998 wurden nach dieser Analyse mehr als 340 zertfizierten holzverarbeitenden Betrieben Umweltdelikte oder anderer Vergehen vorgeworfen, rund 50 davon hatten auch dann noch Zertifikate erhalten, die ihre Nachhaltigkeit bestätigten, als sie bereits Strafen zahlen mussten oder verurteilt worden waren.

Die Zertifizierungsfirmen betonen, man gehe aktiv gegen betrügerische Firmen vor und habe in der Vergangenheit deshalb mehrere Geschäftsbeziehungen eingestellt.

Anmerkung der Redaktion - In einer früheren Version des Artikels hieß es: Hat der deutsche Wald 2016 noch knapp 64.000 Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich aufgenommen, waren es 2020 nur noch knapp 46.000 Tonnen. Wir haben die Zahlen zur CO2-Aufnahme des deutschen Waldes auf 64 / 46 Millionen Tonnen pro Jahr korrigiert.